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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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erfüllt die Wissenschaft die ihr hier obliegende Anfgabe keineswegs ganz ge-
nügend oder allgemein. Es läßt sich nicht läugnen, daß erst die socialisti-
schen und communistischen Anfechtungen die Meisten aufmerksam darauf
gemacht haben, wie unser ganzes jetziges Leben mit allen Wundern seiner
Industrie und der Erfindungen wesentlich auf einem Vermögenssysteme ruht,
welches keineswegs das einzig mögliche ist, ja sogar großen Anfechtungen
offen liegt. Namentlich ließ sich die Nationalökonomie, welche doch so recht
eigentlich die Wissenschaft dieses Zustandes ist, bis vor Kurzem nicht davon
träumen, daß sie nur hypothetische Wahrheiten gebe und geben könne; und
selbst jetzt pflegt sie von ihrer Unfehlbarkeit und Alleingültigkeit so über-
zeugt zu sein, daß sie das Vorhandensein anderer wirthschaftlicher Grund-
auffassungen ganz und gar übersieht. Dieß ist nun aber weder wissen-
schaftlich noch klug.
7) Es ist nicht nur verständig, sondern in der That sittliche und staat-
liche Pflicht, unumwunden einzugestehen, daß der richtige Gedanke für eine
gründliche Verbesserung der Nachtheile des Systemes der freien Mitwerbung
noch nicht gefunden ist; nicht aber durch übertriebene Geltendmachung ein-
zelner zweifelhafter oder mindestens untergeordneter Hülfsmittel eine Weisheit
zu heucheln, welche nicht vorhanden ist, und eine Ruhe in Aussicht zu
stellen, welche auf diese Weise nicht herbeigeführt werden kann. Damit ist
dem guten Willen der Humanitarier und der theilweisen Brauchbarkeit ihrer
Hülfsvorschläge sowie noch einer Menge anderer Besserungsmaßregeln nicht
im mindesten zu nahe getreten. Es wird nur behauptet, daß noch
so wohlthätige Mittel gegen einzelne Krankheitssymptome die Gefahr des
constitutionellen Uebels nicht brechen, und daß nur Empirismus nicht aber
rationelles Heilverfahren solche an die Hand gibt.
8) Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei hier bemerkt, daß die
Möglichkeit eines geringen Staatsvermögens in der Patriarchie und in dem
Patrimonialstaate nur in Beziehung auf die unmittelbaren Leistungen des
Staates zu Förderung der Volkszwecke ausgesprochen ist. Damit wohl ver-
einbar ist ein großes eigenes Vermögen des Stammeshauptes und des Patri-
monialfürsten, über welches sie zu ihren persönlichen Zwecken verfügen. In
der Patrimonialherrschaft ist ein bedeutendes Vermögen des Herrn sogar
Bedingung der Existenz des Staates; nur kömmt den Unterthanen, außer
allgemeiner Schutz, grundsätzlich nichts davon zu Gute.
9) Ein völliges Verkennen von Ursache und Wirkung war es, wenn
man, und zwar sehr allgemein, vor etwa einem Menschenalter von
der Einführung der Volksvertretung einer Seits kräftige Förderung aller
gerechtfertigten Interessen der Völker, anderer Seits aber große Wohl-
feilheit der Regierung erwartete. Der erstere Nutzen schloß das Eintreten
des anderen selbstredend aus. Allerdings bringt eine tüchtige Ständever-
erfüllt die Wiſſenſchaft die ihr hier obliegende Anfgabe keineswegs ganz ge-
nügend oder allgemein. Es läßt ſich nicht läugnen, daß erſt die ſocialiſti-
ſchen und communiſtiſchen Anfechtungen die Meiſten aufmerkſam darauf
gemacht haben, wie unſer ganzes jetziges Leben mit allen Wundern ſeiner
Induſtrie und der Erfindungen weſentlich auf einem Vermögensſyſteme ruht,
welches keineswegs das einzig mögliche iſt, ja ſogar großen Anfechtungen
offen liegt. Namentlich ließ ſich die Nationalökonomie, welche doch ſo recht
eigentlich die Wiſſenſchaft dieſes Zuſtandes iſt, bis vor Kurzem nicht davon
träumen, daß ſie nur hypothetiſche Wahrheiten gebe und geben könne; und
ſelbſt jetzt pflegt ſie von ihrer Unfehlbarkeit und Alleingültigkeit ſo über-
zeugt zu ſein, daß ſie das Vorhandenſein anderer wirthſchaftlicher Grund-
auffaſſungen ganz und gar überſieht. Dieß iſt nun aber weder wiſſen-
ſchaftlich noch klug.
7) Es iſt nicht nur verſtändig, ſondern in der That ſittliche und ſtaat-
liche Pflicht, unumwunden einzugeſtehen, daß der richtige Gedanke für eine
gründliche Verbeſſerung der Nachtheile des Syſtemes der freien Mitwerbung
noch nicht gefunden iſt; nicht aber durch übertriebene Geltendmachung ein-
zelner zweifelhafter oder mindeſtens untergeordneter Hülfsmittel eine Weisheit
zu heucheln, welche nicht vorhanden iſt, und eine Ruhe in Ausſicht zu
ſtellen, welche auf dieſe Weiſe nicht herbeigeführt werden kann. Damit iſt
dem guten Willen der Humanitarier und der theilweiſen Brauchbarkeit ihrer
Hülfsvorſchläge ſowie noch einer Menge anderer Beſſerungsmaßregeln nicht
im mindeſten zu nahe getreten. Es wird nur behauptet, daß noch
ſo wohlthätige Mittel gegen einzelne Krankheitsſymptome die Gefahr des
conſtitutionellen Uebels nicht brechen, und daß nur Empirismus nicht aber
rationelles Heilverfahren ſolche an die Hand gibt.
8) Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen ſei hier bemerkt, daß die
Möglichkeit eines geringen Staatsvermögens in der Patriarchie und in dem
Patrimonialſtaate nur in Beziehung auf die unmittelbaren Leiſtungen des
Staates zu Förderung der Volkszwecke ausgeſprochen iſt. Damit wohl ver-
einbar iſt ein großes eigenes Vermögen des Stammeshauptes und des Patri-
monialfürſten, über welches ſie zu ihren perſönlichen Zwecken verfügen. In
der Patrimonialherrſchaft iſt ein bedeutendes Vermögen des Herrn ſogar
Bedingung der Exiſtenz des Staates; nur kömmt den Unterthanen, außer
allgemeiner Schutz, grundſätzlich nichts davon zu Gute.
9) Ein völliges Verkennen von Urſache und Wirkung war es, wenn
man, und zwar ſehr allgemein, vor etwa einem Menſchenalter von
der Einführung der Volksvertretung einer Seits kräftige Förderung aller
gerechtfertigten Intereſſen der Völker, anderer Seits aber große Wohl-
feilheit der Regierung erwartete. Der erſtere Nutzen ſchloß das Eintreten
des anderen ſelbſtredend aus. Allerdings bringt eine tüchtige Ständever-
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[596/0610] ⁶⁾ erfüllt die Wiſſenſchaft die ihr hier obliegende Anfgabe keineswegs ganz ge- nügend oder allgemein. Es läßt ſich nicht läugnen, daß erſt die ſocialiſti- ſchen und communiſtiſchen Anfechtungen die Meiſten aufmerkſam darauf gemacht haben, wie unſer ganzes jetziges Leben mit allen Wundern ſeiner Induſtrie und der Erfindungen weſentlich auf einem Vermögensſyſteme ruht, welches keineswegs das einzig mögliche iſt, ja ſogar großen Anfechtungen offen liegt. Namentlich ließ ſich die Nationalökonomie, welche doch ſo recht eigentlich die Wiſſenſchaft dieſes Zuſtandes iſt, bis vor Kurzem nicht davon träumen, daß ſie nur hypothetiſche Wahrheiten gebe und geben könne; und ſelbſt jetzt pflegt ſie von ihrer Unfehlbarkeit und Alleingültigkeit ſo über- zeugt zu ſein, daß ſie das Vorhandenſein anderer wirthſchaftlicher Grund- auffaſſungen ganz und gar überſieht. Dieß iſt nun aber weder wiſſen- ſchaftlich noch klug. ⁷⁾ Es iſt nicht nur verſtändig, ſondern in der That ſittliche und ſtaat- liche Pflicht, unumwunden einzugeſtehen, daß der richtige Gedanke für eine gründliche Verbeſſerung der Nachtheile des Syſtemes der freien Mitwerbung noch nicht gefunden iſt; nicht aber durch übertriebene Geltendmachung ein- zelner zweifelhafter oder mindeſtens untergeordneter Hülfsmittel eine Weisheit zu heucheln, welche nicht vorhanden iſt, und eine Ruhe in Ausſicht zu ſtellen, welche auf dieſe Weiſe nicht herbeigeführt werden kann. Damit iſt dem guten Willen der Humanitarier und der theilweiſen Brauchbarkeit ihrer Hülfsvorſchläge ſowie noch einer Menge anderer Beſſerungsmaßregeln nicht im mindeſten zu nahe getreten. Es wird nur behauptet, daß noch ſo wohlthätige Mittel gegen einzelne Krankheitsſymptome die Gefahr des conſtitutionellen Uebels nicht brechen, und daß nur Empirismus nicht aber rationelles Heilverfahren ſolche an die Hand gibt. ⁸⁾ Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen ſei hier bemerkt, daß die Möglichkeit eines geringen Staatsvermögens in der Patriarchie und in dem Patrimonialſtaate nur in Beziehung auf die unmittelbaren Leiſtungen des Staates zu Förderung der Volkszwecke ausgeſprochen iſt. Damit wohl ver- einbar iſt ein großes eigenes Vermögen des Stammeshauptes und des Patri- monialfürſten, über welches ſie zu ihren perſönlichen Zwecken verfügen. In der Patrimonialherrſchaft iſt ein bedeutendes Vermögen des Herrn ſogar Bedingung der Exiſtenz des Staates; nur kömmt den Unterthanen, außer allgemeiner Schutz, grundſätzlich nichts davon zu Gute. ⁹⁾ Ein völliges Verkennen von Urſache und Wirkung war es, wenn man, und zwar ſehr allgemein, vor etwa einem Menſchenalter von der Einführung der Volksvertretung einer Seits kräftige Förderung aller gerechtfertigten Intereſſen der Völker, anderer Seits aber große Wohl- feilheit der Regierung erwartete. Der erſtere Nutzen ſchloß das Eintreten des anderen ſelbſtredend aus. Allerdings bringt eine tüchtige Ständever-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/610>, abgerufen am 21.11.2024.