Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erhalten gesucht, theils durch direkte Verbote des Besitzes
gewisser Sachen oder der Ausübung gewisser Erwerbsarten,
theils wenigstens durch indirekte Erschwerung oder Verhinderung
von Gewerben. Als Gründe einer solchen freiwilligen Be-
schränkung hinsichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens-
zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und
Verunsittlichung durch den Reichthum; die durch den Besitz
entstehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern
Spaltungen, zu Beherrschung durch die Reichen, oder zu
neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der
Anreiz fremder Habsucht zu Eroberungen und Ueberfällen.
Diese Gründe sind denn nun aber doch höchstens in Volks-
herrschaften so triftig, daß im Allgemeinen bescheidene und
möglichst gleiche Vermögensverhältnisse verlangt werden kön-
nen. In allen übrigen Staaten sind die Vortheile eines
großen Besitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und
es ist somit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung
und Niederhaltung, sondern im Gegentheile auf Steigerung
hinzuwirken.

1) Die Lehre von den verschiedenen Vermögenssystemen ist lange nicht
mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert.
Selbst in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthschaft ist das
System des persönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be-
ziehung auf Eigenthum als sich von selbst verstehend und stillschweigend vor-
ausgesetzt. Nur von Zeit zu Zeit stört ein Staatsroman oder, dann freilich
gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das bestehende System gerichteten
Massenbewegung dieses Stillleben. So müssen denn die Angriffe auf die
verschiedenen Systeme und deren Vertheidigung mit Mühe gesammelt werden;
und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Besitzver-
hältnisse in ihrem ganzen Umgange, das heißt sowohl mit Berücksichtigung der
Geschichte als der Wissenschaft und im Hinblicke auf die verschiedenen Staats-
arten, darstellte. Noch am meisten ist in den beiden letzten Jahrzehnten ge-
schehen, seitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der
Eigenthumsfrage besonders nahe legten. -- Es sind somit dreierlei Gattungen
von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorerst die Schriften der Socia-

zu erhalten geſucht, theils durch direkte Verbote des Beſitzes
gewiſſer Sachen oder der Ausübung gewiſſer Erwerbsarten,
theils wenigſtens durch indirekte Erſchwerung oder Verhinderung
von Gewerben. Als Gründe einer ſolchen freiwilligen Be-
ſchränkung hinſichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens-
zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und
Verunſittlichung durch den Reichthum; die durch den Beſitz
entſtehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern
Spaltungen, zu Beherrſchung durch die Reichen, oder zu
neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der
Anreiz fremder Habſucht zu Eroberungen und Ueberfällen.
Dieſe Gründe ſind denn nun aber doch höchſtens in Volks-
herrſchaften ſo triftig, daß im Allgemeinen beſcheidene und
möglichſt gleiche Vermögensverhältniſſe verlangt werden kön-
nen. In allen übrigen Staaten ſind die Vortheile eines
großen Beſitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und
es iſt ſomit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung
und Niederhaltung, ſondern im Gegentheile auf Steigerung
hinzuwirken.

1) Die Lehre von den verſchiedenen Vermögensſyſtemen iſt lange nicht
mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert.
Selbſt in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthſchaft iſt das
Syſtem des perſönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be-
ziehung auf Eigenthum als ſich von ſelbſt verſtehend und ſtillſchweigend vor-
ausgeſetzt. Nur von Zeit zu Zeit ſtört ein Staatsroman oder, dann freilich
gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das beſtehende Syſtem gerichteten
Maſſenbewegung dieſes Stillleben. So müſſen denn die Angriffe auf die
verſchiedenen Syſteme und deren Vertheidigung mit Mühe geſammelt werden;
und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Beſitzver-
hältniſſe in ihrem ganzen Umgange, das heißt ſowohl mit Berückſichtigung der
Geſchichte als der Wiſſenſchaft und im Hinblicke auf die verſchiedenen Staats-
arten, darſtellte. Noch am meiſten iſt in den beiden letzten Jahrzehnten ge-
ſchehen, ſeitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der
Eigenthumsfrage beſonders nahe legten. — Es ſind ſomit dreierlei Gattungen
von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorerſt die Schriften der Socia-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0608" n="594"/>
zu erhalten ge&#x017F;ucht, theils durch direkte Verbote des Be&#x017F;itzes<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Sachen oder der Ausübung gewi&#x017F;&#x017F;er Erwerbsarten,<lb/>
theils wenig&#x017F;tens durch indirekte Er&#x017F;chwerung oder Verhinderung<lb/>
von Gewerben. Als Gründe einer &#x017F;olchen freiwilligen Be-<lb/>
&#x017F;chränkung hin&#x017F;ichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens-<lb/>
zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und<lb/>
Verun&#x017F;ittlichung durch den Reichthum; die durch den Be&#x017F;itz<lb/>
ent&#x017F;tehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern<lb/>
Spaltungen, zu Beherr&#x017F;chung durch die Reichen, oder zu<lb/>
neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der<lb/>
Anreiz fremder Hab&#x017F;ucht zu Eroberungen und Ueberfällen.<lb/>
Die&#x017F;e Gründe &#x017F;ind denn nun aber doch höch&#x017F;tens in Volks-<lb/>
herr&#x017F;chaften &#x017F;o triftig, daß im Allgemeinen be&#x017F;cheidene und<lb/>
möglich&#x017F;t gleiche Vermögensverhältni&#x017F;&#x017F;e verlangt werden kön-<lb/>
nen. In allen übrigen Staaten &#x017F;ind die Vortheile eines<lb/>
großen Be&#x017F;itzes bei den Bürgern weit überwiegend; und<lb/>
es i&#x017F;t &#x017F;omit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung<lb/>
und Niederhaltung, &#x017F;ondern im Gegentheile auf Steigerung<lb/>
hinzuwirken.</p><lb/>
              <note place="end" n="1)">Die Lehre von den ver&#x017F;chiedenen Vermögens&#x017F;y&#x017F;temen i&#x017F;t lange nicht<lb/>
mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert.<lb/>
Selb&#x017F;t in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirth&#x017F;chaft i&#x017F;t das<lb/>
Sy&#x017F;tem des per&#x017F;önlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be-<lb/>
ziehung auf Eigenthum als &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehend und &#x017F;till&#x017F;chweigend vor-<lb/>
ausge&#x017F;etzt. Nur von Zeit zu Zeit &#x017F;tört ein Staatsroman oder, dann freilich<lb/>
gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das be&#x017F;tehende Sy&#x017F;tem gerichteten<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;enbewegung die&#x017F;es Stillleben. So mü&#x017F;&#x017F;en denn die Angriffe auf die<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Sy&#x017F;teme und deren Vertheidigung mit Mühe ge&#x017F;ammelt werden;<lb/>
und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Be&#x017F;itzver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e in ihrem ganzen Umgange, das heißt &#x017F;owohl mit Berück&#x017F;ichtigung der<lb/>
Ge&#x017F;chichte als der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und im Hinblicke auf die ver&#x017F;chiedenen Staats-<lb/>
arten, dar&#x017F;tellte. Noch am mei&#x017F;ten i&#x017F;t in den beiden letzten Jahrzehnten ge-<lb/>
&#x017F;chehen, &#x017F;eitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der<lb/>
Eigenthumsfrage be&#x017F;onders nahe legten. &#x2014; Es &#x017F;ind &#x017F;omit dreierlei Gattungen<lb/>
von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorer&#x017F;t die <choice><sic>Schri&#x017F;ten</sic><corr>Schriften</corr></choice> der Socia-<lb/></note>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[594/0608] zu erhalten geſucht, theils durch direkte Verbote des Beſitzes gewiſſer Sachen oder der Ausübung gewiſſer Erwerbsarten, theils wenigſtens durch indirekte Erſchwerung oder Verhinderung von Gewerben. Als Gründe einer ſolchen freiwilligen Be- ſchränkung hinſichtich der Mittel zu Erreichung der Lebens- zwecke werden denn aber angegeben: die Verweichlichung und Verunſittlichung durch den Reichthum; die durch den Beſitz entſtehende Ungleichheit unter den Bürgern, welche zu innern Spaltungen, zu Beherrſchung durch die Reichen, oder zu neidigem Haß der Proletarier führen könne; endlich der Anreiz fremder Habſucht zu Eroberungen und Ueberfällen. Dieſe Gründe ſind denn nun aber doch höchſtens in Volks- herrſchaften ſo triftig, daß im Allgemeinen beſcheidene und möglichſt gleiche Vermögensverhältniſſe verlangt werden kön- nen. In allen übrigen Staaten ſind die Vortheile eines großen Beſitzes bei den Bürgern weit überwiegend; und es iſt ſomit von Seiten des Staates nicht auf Begrenzung und Niederhaltung, ſondern im Gegentheile auf Steigerung hinzuwirken. ¹⁾ Die Lehre von den verſchiedenen Vermögensſyſtemen iſt lange nicht mit der Gründlichkeit bearbeitet, welche die Wichtigkeit der Sache erfordert. Selbſt in der unendlichen Mehrzahl der Werke über Volkswirthſchaft iſt das Syſtem des perſönlichen Eigenthumes und der gleichen Berechtigung in Be- ziehung auf Eigenthum als ſich von ſelbſt verſtehend und ſtillſchweigend vor- ausgeſetzt. Nur von Zeit zu Zeit ſtört ein Staatsroman oder, dann freilich gefährlicher, das Ausbrechen einer gegen das beſtehende Syſtem gerichteten Maſſenbewegung dieſes Stillleben. So müſſen denn die Angriffe auf die verſchiedenen Syſteme und deren Vertheidigung mit Mühe geſammelt werden; und es fehlt noch immer an einem gründlichen Werke, welches die Beſitzver- hältniſſe in ihrem ganzen Umgange, das heißt ſowohl mit Berückſichtigung der Geſchichte als der Wiſſenſchaft und im Hinblicke auf die verſchiedenen Staats- arten, darſtellte. Noch am meiſten iſt in den beiden letzten Jahrzehnten ge- ſchehen, ſeitdem Socialismus und Communismus eine Durchdenkung der Eigenthumsfrage beſonders nahe legten. — Es ſind ſomit dreierlei Gattungen von Schriften zur Zurechtfindung nöthig. Vorerſt die Schriften der Socia-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/608
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/608>, abgerufen am 17.05.2024.