Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

stellen ist, daß dieselben nicht über das erlaubte Ziel hinaus-
gehen und ihrerseits selbstständige und unnöthige, somit nicht
erlaubte Rechtsverletzungen werden.

Das gelindeste dieser thatsächlichen Schutzmittel ist die
Anwendung von Retorsion. Es besteht aber dieselbe darin,
daß der Staat gegenüber von einem andern Staate, welcher
seine Rechte verletzt hat, unfreundliche und den Interessen des-
selben nachtheilige Maßregeln ergreift. Der Zweck solchen
Verfahrens ist ein doppelter. Theils soll der Gegner auf
die widrigen Folgen eines unbilligen oder geradezu ungerechten
Benehmens aufmerksam gamacht, dadurch aber zur Zurücknahme
seiner beschwerenden Handlungen veranlaßt werden. Theils
aber sucht man insoferne eine bessere Stellung gegen ihn ein-
zunehmen, als ihm die Zurücknahme der neuen Maßregel als
Gegenleistung für die Wiederaufhebung der von ihm ausgehen-
den Verletzung in Aussicht gestellt wird. Die Retorsion
erscheint als gerechtfertigt, insoferne sie wirklich die Wieder-
herstellung der gestörten Verhältnisse bewerkstelligen kann; allein
das Lob der Sicherheit gebührt ihr nicht, weil möglicherweise
ein trotziger Gegner selbst noch mehr gereizt und zu neuen
mißliebigen Handlungen veranlaßt werden kann.

Der Gegenstand einer Retorsion kann jegliches
internationale Verhältniß sein und braucht mit den vom Gegner
zuerst vorgenommenen Störungen sachlich nicht zusammenzu-
hängen. Der Staat kann also, wenn er dieses zweckmäßig
findet, auf einem ganz andern Felde, als wo er angegriffen ist,
retorquiren 1). Unter allen Umständen aber darf eine Retorsion
kein förmliches Unrecht wider den Gegner enthalten, sondern
nur in einer ihm widrigen und nachtheiligen Maßregel bestehen.
Die Erduldung eines Unrechtes befugt zwar zur Beweisung
eines Unwillens, zur Zurückziehung einer bisher erzeigten
Gunst und zur Anwendung eines unmittelbaren Zwanges in

ſtellen iſt, daß dieſelben nicht über das erlaubte Ziel hinaus-
gehen und ihrerſeits ſelbſtſtändige und unnöthige, ſomit nicht
erlaubte Rechtsverletzungen werden.

Das gelindeſte dieſer thatſächlichen Schutzmittel iſt die
Anwendung von Retorſion. Es beſteht aber dieſelbe darin,
daß der Staat gegenüber von einem andern Staate, welcher
ſeine Rechte verletzt hat, unfreundliche und den Intereſſen des-
ſelben nachtheilige Maßregeln ergreift. Der Zweck ſolchen
Verfahrens iſt ein doppelter. Theils ſoll der Gegner auf
die widrigen Folgen eines unbilligen oder geradezu ungerechten
Benehmens aufmerkſam gamacht, dadurch aber zur Zurücknahme
ſeiner beſchwerenden Handlungen veranlaßt werden. Theils
aber ſucht man inſoferne eine beſſere Stellung gegen ihn ein-
zunehmen, als ihm die Zurücknahme der neuen Maßregel als
Gegenleiſtung für die Wiederaufhebung der von ihm ausgehen-
den Verletzung in Ausſicht geſtellt wird. Die Retorſion
erſcheint als gerechtfertigt, inſoferne ſie wirklich die Wieder-
herſtellung der geſtörten Verhältniſſe bewerkſtelligen kann; allein
das Lob der Sicherheit gebührt ihr nicht, weil möglicherweiſe
ein trotziger Gegner ſelbſt noch mehr gereizt und zu neuen
mißliebigen Handlungen veranlaßt werden kann.

Der Gegenſtand einer Retorſion kann jegliches
internationale Verhältniß ſein und braucht mit den vom Gegner
zuerſt vorgenommenen Störungen ſachlich nicht zuſammenzu-
hängen. Der Staat kann alſo, wenn er dieſes zweckmäßig
findet, auf einem ganz andern Felde, als wo er angegriffen iſt,
retorquiren 1). Unter allen Umſtänden aber darf eine Retorſion
kein förmliches Unrecht wider den Gegner enthalten, ſondern
nur in einer ihm widrigen und nachtheiligen Maßregel beſtehen.
Die Erduldung eines Unrechtes befugt zwar zur Beweiſung
eines Unwillens, zur Zurückziehung einer bisher erzeigten
Gunſt und zur Anwendung eines unmittelbaren Zwanges in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0464" n="450"/>
&#x017F;tellen i&#x017F;t, daß die&#x017F;elben nicht über das erlaubte Ziel hinaus-<lb/>
gehen und ihrer&#x017F;eits &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige und unnöthige, &#x017F;omit nicht<lb/>
erlaubte Rechtsverletzungen werden.</p><lb/>
                      <p>Das gelinde&#x017F;te die&#x017F;er that&#x017F;ächlichen Schutzmittel i&#x017F;t die<lb/>
Anwendung von <hi rendition="#g">Retor&#x017F;ion</hi>. Es be&#x017F;teht aber die&#x017F;elbe darin,<lb/>
daß der Staat gegenüber von einem andern Staate, welcher<lb/>
&#x017F;eine Rechte verletzt hat, unfreundliche und den Intere&#x017F;&#x017F;en des-<lb/>
&#x017F;elben nachtheilige Maßregeln ergreift. Der Zweck &#x017F;olchen<lb/>
Verfahrens i&#x017F;t ein doppelter. Theils &#x017F;oll der Gegner auf<lb/>
die widrigen Folgen eines unbilligen oder geradezu ungerechten<lb/>
Benehmens aufmerk&#x017F;am gamacht, dadurch aber zur Zurücknahme<lb/>
&#x017F;einer be&#x017F;chwerenden Handlungen veranlaßt werden. Theils<lb/>
aber &#x017F;ucht man in&#x017F;oferne eine be&#x017F;&#x017F;ere Stellung gegen ihn ein-<lb/>
zunehmen, als ihm die Zurücknahme der neuen Maßregel als<lb/>
Gegenlei&#x017F;tung für die Wiederaufhebung der von ihm ausgehen-<lb/>
den Verletzung in Aus&#x017F;icht ge&#x017F;tellt wird. Die Retor&#x017F;ion<lb/>
er&#x017F;cheint als gerechtfertigt, in&#x017F;oferne &#x017F;ie wirklich die Wieder-<lb/>
her&#x017F;tellung der ge&#x017F;törten Verhältni&#x017F;&#x017F;e bewerk&#x017F;telligen kann; allein<lb/>
das Lob der Sicherheit gebührt ihr nicht, weil möglicherwei&#x017F;e<lb/>
ein trotziger Gegner &#x017F;elb&#x017F;t noch mehr gereizt und zu neuen<lb/>
mißliebigen Handlungen veranlaßt werden kann.</p><lb/>
                      <p>Der <hi rendition="#g">Gegen&#x017F;tand einer Retor&#x017F;ion</hi> kann jegliches<lb/>
internationale Verhältniß &#x017F;ein und braucht mit den vom Gegner<lb/>
zuer&#x017F;t vorgenommenen Störungen &#x017F;achlich nicht zu&#x017F;ammenzu-<lb/>
hängen. Der Staat kann al&#x017F;o, wenn er die&#x017F;es zweckmäßig<lb/>
findet, auf einem ganz andern Felde, als wo er angegriffen i&#x017F;t,<lb/>
retorquiren <hi rendition="#sup">1</hi>). Unter allen Um&#x017F;tänden aber darf eine Retor&#x017F;ion<lb/>
kein förmliches Unrecht wider den Gegner enthalten, &#x017F;ondern<lb/>
nur in einer ihm widrigen und nachtheiligen Maßregel be&#x017F;tehen.<lb/>
Die Erduldung eines Unrechtes befugt zwar zur Bewei&#x017F;ung<lb/>
eines Unwillens, zur Zurückziehung einer bisher erzeigten<lb/>
Gun&#x017F;t und zur Anwendung eines unmittelbaren Zwanges in<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0464] ſtellen iſt, daß dieſelben nicht über das erlaubte Ziel hinaus- gehen und ihrerſeits ſelbſtſtändige und unnöthige, ſomit nicht erlaubte Rechtsverletzungen werden. Das gelindeſte dieſer thatſächlichen Schutzmittel iſt die Anwendung von Retorſion. Es beſteht aber dieſelbe darin, daß der Staat gegenüber von einem andern Staate, welcher ſeine Rechte verletzt hat, unfreundliche und den Intereſſen des- ſelben nachtheilige Maßregeln ergreift. Der Zweck ſolchen Verfahrens iſt ein doppelter. Theils ſoll der Gegner auf die widrigen Folgen eines unbilligen oder geradezu ungerechten Benehmens aufmerkſam gamacht, dadurch aber zur Zurücknahme ſeiner beſchwerenden Handlungen veranlaßt werden. Theils aber ſucht man inſoferne eine beſſere Stellung gegen ihn ein- zunehmen, als ihm die Zurücknahme der neuen Maßregel als Gegenleiſtung für die Wiederaufhebung der von ihm ausgehen- den Verletzung in Ausſicht geſtellt wird. Die Retorſion erſcheint als gerechtfertigt, inſoferne ſie wirklich die Wieder- herſtellung der geſtörten Verhältniſſe bewerkſtelligen kann; allein das Lob der Sicherheit gebührt ihr nicht, weil möglicherweiſe ein trotziger Gegner ſelbſt noch mehr gereizt und zu neuen mißliebigen Handlungen veranlaßt werden kann. Der Gegenſtand einer Retorſion kann jegliches internationale Verhältniß ſein und braucht mit den vom Gegner zuerſt vorgenommenen Störungen ſachlich nicht zuſammenzu- hängen. Der Staat kann alſo, wenn er dieſes zweckmäßig findet, auf einem ganz andern Felde, als wo er angegriffen iſt, retorquiren 1). Unter allen Umſtänden aber darf eine Retorſion kein förmliches Unrecht wider den Gegner enthalten, ſondern nur in einer ihm widrigen und nachtheiligen Maßregel beſtehen. Die Erduldung eines Unrechtes befugt zwar zur Beweiſung eines Unwillens, zur Zurückziehung einer bisher erzeigten Gunſt und zur Anwendung eines unmittelbaren Zwanges in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/464
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/464>, abgerufen am 18.12.2024.