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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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ratioren eines Volkes immerhin eine bemerkliche und wichtige
gesellschaftliche Gestaltung, allein doch weit weniger besonders und
ausgeschieden, als der Adel, und in der Regel ohne eine eigene
äußere Organisation. Auch hier geht eine, freilich ziemlich laxe,
Wahlverwandtschaft durch die Betheiligten aller Völker derselben
Gesittigungsart.

4. Gleiche Beschäftigung. Allerdings kann dieselbe,
wo Mitwerbung besteht, sogar ein Grund von Spaltung und
persönlicher Feindschaft sein; allein einmal treten diese stören-
den Beziehungen thatsächlich nicht immer ein unter Gleichbe-
schäftigten, sodann sind für Denkende und Leidenschaftslose die
Gründe des Zusammenschließens der Genossen und der Ab-
sonderung von Fremden weit überwiegend. Gleiche Beschäftigung
bringt übereinstimmende Lebensanschauungen und Sitten; das
Gedeihen aller Einzelnen hängt vielfach von denselben äußeren
Umständen ab; diese bedingen häufig eine gleiche Ordnung des
täglichen Lebens, und geben gemeinschaftliche Widersacher und
feindselige äußere Gestaltungen. Daher denn eine naturgemäße
Neigung nicht nur zu einem gleichartigen Verhalten gegenüber
von den Umgebungen, sondern selbst zu einer kräftigen Zusam-
menlegung der Einzelnkräfte und zu einer bestimmten Organi-
sation für gemeinschaftliche Erstrebung der von Allen getheilten
Vortheile. Wenn sich mit diesen Zuständen, wie leicht geschehen
mag, auch noch Erblichkeit, staatliche Einrichtungen oder religiöse
Vorschriften verbinden, so wird dieser gesellschaftliche Kreis ein
ebenso fester als bedeutsamer. Kaum bedarf es dabei der Be-
merkung, daß, je nach dem thatsächlichen Vorhandensein gemein-
samer Arbeiten, verschiedene einzelne Kreise dieser Art neben
einander bestehen können, welche unter sich wieder in den ver-
schiedensten freundlichen oder gegnerischen Beziehungen sein
mögen. Beispiele festester Ordnung und reichster Gliederung
dieser Art sind die Kasten Hindostans oder Egyptens; schon

ratioren eines Volkes immerhin eine bemerkliche und wichtige
geſellſchaftliche Geſtaltung, allein doch weit weniger beſonders und
ausgeſchieden, als der Adel, und in der Regel ohne eine eigene
äußere Organiſation. Auch hier geht eine, freilich ziemlich laxe,
Wahlverwandtſchaft durch die Betheiligten aller Völker derſelben
Geſittigungsart.

4. Gleiche Beſchäftigung. Allerdings kann dieſelbe,
wo Mitwerbung beſteht, ſogar ein Grund von Spaltung und
perſönlicher Feindſchaft ſein; allein einmal treten dieſe ſtören-
den Beziehungen thatſächlich nicht immer ein unter Gleichbe-
ſchäftigten, ſodann ſind für Denkende und Leidenſchaftsloſe die
Gründe des Zuſammenſchließens der Genoſſen und der Ab-
ſonderung von Fremden weit überwiegend. Gleiche Beſchäftigung
bringt übereinſtimmende Lebensanſchauungen und Sitten; das
Gedeihen aller Einzelnen hängt vielfach von denſelben äußeren
Umſtänden ab; dieſe bedingen häufig eine gleiche Ordnung des
täglichen Lebens, und geben gemeinſchaftliche Widerſacher und
feindſelige äußere Geſtaltungen. Daher denn eine naturgemäße
Neigung nicht nur zu einem gleichartigen Verhalten gegenüber
von den Umgebungen, ſondern ſelbſt zu einer kräftigen Zuſam-
menlegung der Einzelnkräfte und zu einer beſtimmten Organi-
ſation für gemeinſchaftliche Erſtrebung der von Allen getheilten
Vortheile. Wenn ſich mit dieſen Zuſtänden, wie leicht geſchehen
mag, auch noch Erblichkeit, ſtaatliche Einrichtungen oder religiöſe
Vorſchriften verbinden, ſo wird dieſer geſellſchaftliche Kreis ein
ebenſo feſter als bedeutſamer. Kaum bedarf es dabei der Be-
merkung, daß, je nach dem thatſächlichen Vorhandenſein gemein-
ſamer Arbeiten, verſchiedene einzelne Kreiſe dieſer Art neben
einander beſtehen können, welche unter ſich wieder in den ver-
ſchiedenſten freundlichen oder gegneriſchen Beziehungen ſein
mögen. Beiſpiele feſteſter Ordnung und reichſter Gliederung
dieſer Art ſind die Kaſten Hindoſtans oder Egyptens; ſchon

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[22/0036] ratioren eines Volkes immerhin eine bemerkliche und wichtige geſellſchaftliche Geſtaltung, allein doch weit weniger beſonders und ausgeſchieden, als der Adel, und in der Regel ohne eine eigene äußere Organiſation. Auch hier geht eine, freilich ziemlich laxe, Wahlverwandtſchaft durch die Betheiligten aller Völker derſelben Geſittigungsart. 4. Gleiche Beſchäftigung. Allerdings kann dieſelbe, wo Mitwerbung beſteht, ſogar ein Grund von Spaltung und perſönlicher Feindſchaft ſein; allein einmal treten dieſe ſtören- den Beziehungen thatſächlich nicht immer ein unter Gleichbe- ſchäftigten, ſodann ſind für Denkende und Leidenſchaftsloſe die Gründe des Zuſammenſchließens der Genoſſen und der Ab- ſonderung von Fremden weit überwiegend. Gleiche Beſchäftigung bringt übereinſtimmende Lebensanſchauungen und Sitten; das Gedeihen aller Einzelnen hängt vielfach von denſelben äußeren Umſtänden ab; dieſe bedingen häufig eine gleiche Ordnung des täglichen Lebens, und geben gemeinſchaftliche Widerſacher und feindſelige äußere Geſtaltungen. Daher denn eine naturgemäße Neigung nicht nur zu einem gleichartigen Verhalten gegenüber von den Umgebungen, ſondern ſelbſt zu einer kräftigen Zuſam- menlegung der Einzelnkräfte und zu einer beſtimmten Organi- ſation für gemeinſchaftliche Erſtrebung der von Allen getheilten Vortheile. Wenn ſich mit dieſen Zuſtänden, wie leicht geſchehen mag, auch noch Erblichkeit, ſtaatliche Einrichtungen oder religiöſe Vorſchriften verbinden, ſo wird dieſer geſellſchaftliche Kreis ein ebenſo feſter als bedeutſamer. Kaum bedarf es dabei der Be- merkung, daß, je nach dem thatſächlichen Vorhandenſein gemein- ſamer Arbeiten, verſchiedene einzelne Kreiſe dieſer Art neben einander beſtehen können, welche unter ſich wieder in den ver- ſchiedenſten freundlichen oder gegneriſchen Beziehungen ſein mögen. Beiſpiele feſteſter Ordnung und reichſter Gliederung dieſer Art ſind die Kaſten Hindoſtans oder Egyptens; ſchon

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/36>, abgerufen am 28.03.2024.