Die Stellung der vertretenden Körperschaft ist im Allgemeinen die einer allgemeinen Volksversammlung, da ihr die Rechte der Gesammtheit verfassungsmäßig übertragen sind. Doch bedarf es nicht erst eines Beweises, daß sich das Volk auch, wenn und so weit es dies für nothwendig oder passend erachtet, einzelne Gegenstände seiner schließlichen Ge- nehmigung oder Verwerfung (in Bezirksversammlungen und mit Zusammenzählung aller abgegebenen Stimmen) vorbehalten kann. Bei Beschlüssen über Verfassungsfragen und gar über Verfassungsänderungen ist ein solches Veto des gesammten Volkes selbst als rechtlich nothwendig zu verlangen 8). -- Im Uebrigen macht es allerdings in den Befugnissen und Geschäften der Versammlung einen großen Unterschied, ob die Besorgung der Verwaltung einer von der Versammlung getrennten phy- sischen oder moralischen Person anvertraut ist oder ob auch sie durch die Körperschaft geschieht 9). -- Im ersteren Falle be- schränkt sich der Auftrag der Versammlung auf die Feststellung der allgemeinen Normen, also auf Gesetzgebung, Feststellung der Abgaben und Dienste, und auf Genehmigung der Staats- verträge; sodann auf die Ueberwachung der handelnden Regierung. Die zur Verwaltung bestimmte Person aber hat die Hand- habung der Staatsgewalt, soweit dies zu dem Zwecke der Ausführung der Staatszwecke nothwendig ist. Sie unter- scheidet sich jedoch, namentlich in zwei Punkten, von einem aus eigenem Rechte Regierenden. Einmal stehen ihr nur die bestimmt übertragenen Rechte und Geschäfte zu, und sie kann, selbst in dringenden Fällen, diese nicht aus der Natur der Staatsauf- gabe ergänzen, sondern es ist Sache des Volkes, durch den Beschluß einer Verfassungsergänzung oder einer außerordent- lichen Maßregel nachzuhelfen. Zweitens aber ist sie verant- wortlich für die Ausübung der ihr anvertrauten Gewalt; grund- sätzlich dem gesammten Volke als dem rechtlichen Inhaber der
Die Stellung der vertretenden Körperſchaft iſt im Allgemeinen die einer allgemeinen Volksverſammlung, da ihr die Rechte der Geſammtheit verfaſſungsmäßig übertragen ſind. Doch bedarf es nicht erſt eines Beweiſes, daß ſich das Volk auch, wenn und ſo weit es dies für nothwendig oder paſſend erachtet, einzelne Gegenſtände ſeiner ſchließlichen Ge- nehmigung oder Verwerfung (in Bezirksverſammlungen und mit Zuſammenzählung aller abgegebenen Stimmen) vorbehalten kann. Bei Beſchlüſſen über Verfaſſungsfragen und gar über Verfaſſungsänderungen iſt ein ſolches Veto des geſammten Volkes ſelbſt als rechtlich nothwendig zu verlangen 8). — Im Uebrigen macht es allerdings in den Befugniſſen und Geſchäften der Verſammlung einen großen Unterſchied, ob die Beſorgung der Verwaltung einer von der Verſammlung getrennten phy- ſiſchen oder moraliſchen Perſon anvertraut iſt oder ob auch ſie durch die Körperſchaft geſchieht 9). — Im erſteren Falle be- ſchränkt ſich der Auftrag der Verſammlung auf die Feſtſtellung der allgemeinen Normen, alſo auf Geſetzgebung, Feſtſtellung der Abgaben und Dienſte, und auf Genehmigung der Staats- verträge; ſodann auf die Ueberwachung der handelnden Regierung. Die zur Verwaltung beſtimmte Perſon aber hat die Hand- habung der Staatsgewalt, ſoweit dies zu dem Zwecke der Ausführung der Staatszwecke nothwendig iſt. Sie unter- ſcheidet ſich jedoch, namentlich in zwei Punkten, von einem aus eigenem Rechte Regierenden. Einmal ſtehen ihr nur die beſtimmt übertragenen Rechte und Geſchäfte zu, und ſie kann, ſelbſt in dringenden Fällen, dieſe nicht aus der Natur der Staatsauf- gabe ergänzen, ſondern es iſt Sache des Volkes, durch den Beſchluß einer Verfaſſungsergänzung oder einer außerordent- lichen Maßregel nachzuhelfen. Zweitens aber iſt ſie verant- wortlich für die Ausübung der ihr anvertrauten Gewalt; grund- ſätzlich dem geſammten Volke als dem rechtlichen Inhaber der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><pbfacs="#f0357"n="343"/><p>Die <hirendition="#g">Stellung der vertretenden Körperſchaft</hi><lb/>
iſt im Allgemeinen die einer allgemeinen Volksverſammlung,<lb/>
da ihr die Rechte der Geſammtheit verfaſſungsmäßig übertragen<lb/>ſind. Doch bedarf es nicht erſt eines Beweiſes, daß ſich das<lb/>
Volk auch, wenn und ſo weit es dies für nothwendig oder<lb/>
paſſend erachtet, einzelne Gegenſtände ſeiner ſchließlichen Ge-<lb/>
nehmigung oder Verwerfung (in Bezirksverſammlungen und<lb/>
mit Zuſammenzählung aller abgegebenen Stimmen) vorbehalten<lb/>
kann. Bei Beſchlüſſen über Verfaſſungsfragen und gar über<lb/>
Verfaſſungsänderungen iſt ein ſolches Veto des geſammten<lb/>
Volkes ſelbſt als rechtlich nothwendig zu verlangen <hirendition="#sup">8</hi>). — Im<lb/>
Uebrigen macht es allerdings in den Befugniſſen und Geſchäften<lb/>
der Verſammlung einen großen Unterſchied, ob die Beſorgung<lb/>
der Verwaltung einer von der Verſammlung getrennten phy-<lb/>ſiſchen oder moraliſchen Perſon anvertraut iſt oder ob auch ſie<lb/>
durch die Körperſchaft geſchieht <hirendition="#sup">9</hi>). — Im erſteren Falle be-<lb/>ſchränkt ſich der Auftrag der Verſammlung auf die Feſtſtellung<lb/>
der allgemeinen Normen, alſo auf Geſetzgebung, Feſtſtellung<lb/>
der Abgaben und Dienſte, und auf Genehmigung der Staats-<lb/>
verträge; ſodann auf die Ueberwachung der handelnden Regierung.<lb/>
Die zur Verwaltung beſtimmte Perſon aber hat die Hand-<lb/>
habung der Staatsgewalt, ſoweit dies zu dem Zwecke der<lb/>
Ausführung der Staatszwecke nothwendig iſt. Sie unter-<lb/>ſcheidet ſich jedoch, namentlich in zwei Punkten, von einem aus<lb/>
eigenem Rechte Regierenden. Einmal ſtehen ihr nur die beſtimmt<lb/>
übertragenen Rechte und Geſchäfte zu, und ſie kann, ſelbſt in<lb/>
dringenden Fällen, dieſe nicht aus der Natur der Staatsauf-<lb/>
gabe ergänzen, ſondern es iſt Sache des Volkes, durch den<lb/>
Beſchluß einer Verfaſſungsergänzung oder einer außerordent-<lb/>
lichen Maßregel nachzuhelfen. Zweitens aber iſt ſie verant-<lb/>
wortlich für die Ausübung der ihr anvertrauten Gewalt; grund-<lb/>ſätzlich dem geſammten Volke als dem rechtlichen Inhaber der<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[343/0357]
Die Stellung der vertretenden Körperſchaft
iſt im Allgemeinen die einer allgemeinen Volksverſammlung,
da ihr die Rechte der Geſammtheit verfaſſungsmäßig übertragen
ſind. Doch bedarf es nicht erſt eines Beweiſes, daß ſich das
Volk auch, wenn und ſo weit es dies für nothwendig oder
paſſend erachtet, einzelne Gegenſtände ſeiner ſchließlichen Ge-
nehmigung oder Verwerfung (in Bezirksverſammlungen und
mit Zuſammenzählung aller abgegebenen Stimmen) vorbehalten
kann. Bei Beſchlüſſen über Verfaſſungsfragen und gar über
Verfaſſungsänderungen iſt ein ſolches Veto des geſammten
Volkes ſelbſt als rechtlich nothwendig zu verlangen 8). — Im
Uebrigen macht es allerdings in den Befugniſſen und Geſchäften
der Verſammlung einen großen Unterſchied, ob die Beſorgung
der Verwaltung einer von der Verſammlung getrennten phy-
ſiſchen oder moraliſchen Perſon anvertraut iſt oder ob auch ſie
durch die Körperſchaft geſchieht 9). — Im erſteren Falle be-
ſchränkt ſich der Auftrag der Verſammlung auf die Feſtſtellung
der allgemeinen Normen, alſo auf Geſetzgebung, Feſtſtellung
der Abgaben und Dienſte, und auf Genehmigung der Staats-
verträge; ſodann auf die Ueberwachung der handelnden Regierung.
Die zur Verwaltung beſtimmte Perſon aber hat die Hand-
habung der Staatsgewalt, ſoweit dies zu dem Zwecke der
Ausführung der Staatszwecke nothwendig iſt. Sie unter-
ſcheidet ſich jedoch, namentlich in zwei Punkten, von einem aus
eigenem Rechte Regierenden. Einmal ſtehen ihr nur die beſtimmt
übertragenen Rechte und Geſchäfte zu, und ſie kann, ſelbſt in
dringenden Fällen, dieſe nicht aus der Natur der Staatsauf-
gabe ergänzen, ſondern es iſt Sache des Volkes, durch den
Beſchluß einer Verfaſſungsergänzung oder einer außerordent-
lichen Maßregel nachzuhelfen. Zweitens aber iſt ſie verant-
wortlich für die Ausübung der ihr anvertrauten Gewalt; grund-
ſätzlich dem geſammten Volke als dem rechtlichen Inhaber der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/357>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.