Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.2) Die so zahlreichen neuern Verfassungsurkunden haben zu einem wesentlichen Theile auch die Bestimmung, die Grundsätze über die allgemeinen Rechte des Staatsoberhauptes und der Bürger im Rechtsstaate genau zu formuliren. Daß sie im Ganzen glücklicher gewesen sind in richtiger Fest- stellung der ersteren Gattung von Rechten, als hinsichtlich der Unterthanenrechte, muß zugegeben werden; namentlich ist man unläugbar in Zeiten großer Aufregung weiter in der Einräumung von Freiheitsrechten gegangen, als sich mit einer kräftigen Regierung und mit der Erhaltung der Ordnung im Staate verträgt. Doch folgt hieraus noch nicht, daß solche Formulirungen staatsbürgerlicher Rechte ganz zu unterlassen seien; sondern es ist nur eine vorsichtige Fassung und eine richtige Behandlung nothwendig. Vergl. das hierüber in § 31, Seite 232, Gesagte. -- Daselbst (Seite 234) auch die Literatur über die staatsbürgerlichen Rechte. 3) Die Rechtsverhältnisse der Unterthanen, wie sie sich überhaupt in sämmtlichen Gattungen von Staaten aus dem Wesen der organisirten Ein- heit des Volkslebens ergeben, sind oben, § 31, Seite 229, erörtert. In jeder einzelnen Staatsgattung treten jedoch, je nach der besonderen Natur derselben, eigenthümliche Modificationen dieser Rechte ein. Eine genauere Bezeichnung dieser letzteren ist namentlich im Rechtsstaate angedeutet, theils wegen dessen unmittelbarer Bedeutung für die Gegenwart, theils weil die Rechte der einzelnen Staatstheilnehmer in keiner andern Staatsgattung in gleichem Grade ausgebildet und ausgedehnt sind. 4) Nichts mag leichter zugegeben werden, als daß die Feststellung eines richtigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche thatsächlich eine sehr schwere Aufgabe der Staatskunst ist, namentlich in Beziehung auf die katholische Kirche, bei deren ungeheurem Umfange, mächtiger Organisation, eben so schlauer als zäher Ueberlieferung, endlich und hauptsächlich aber wegen ihrer wesentlich theokratischen Richtung und Lehre. Dagegen ist die Auffindung des richtigen rechtlichen Grundsatzes höchst einfach, vorausgesetzt, daß man weder dem Staate gelegenheitlich ein ungebührliches Regiment in kirchlichen Angelegenheiten verschaffen, noch den Beistand der Kirche zur Niederhaltung eines politischen Aufstrebens bedienen will, was dann durch Ueberantwortung wesentlicher Rechte des Staates und durch ungebührliche Gleichstellung der Kirche mit dem Staate erkauft werden muß. Schlagende Beispiele von Fehlern in beiden Richtungen bietet freilich, trotz aller Erfahrung, selbst die neuere Zeit. So auf der einen Seite Preu- ßen; auf der andern Oesterreich und, wenn schon in geringerem Grade, Frankreich. 2) Die ſo zahlreichen neuern Verfaſſungsurkunden haben zu einem weſentlichen Theile auch die Beſtimmung, die Grundſätze über die allgemeinen Rechte des Staatsoberhauptes und der Bürger im Rechtsſtaate genau zu formuliren. Daß ſie im Ganzen glücklicher geweſen ſind in richtiger Feſt- ſtellung der erſteren Gattung von Rechten, als hinſichtlich der Unterthanenrechte, muß zugegeben werden; namentlich iſt man unläugbar in Zeiten großer Aufregung weiter in der Einräumung von Freiheitsrechten gegangen, als ſich mit einer kräftigen Regierung und mit der Erhaltung der Ordnung im Staate verträgt. Doch folgt hieraus noch nicht, daß ſolche Formulirungen ſtaatsbürgerlicher Rechte ganz zu unterlaſſen ſeien; ſondern es iſt nur eine vorſichtige Faſſung und eine richtige Behandlung nothwendig. Vergl. das hierüber in § 31, Seite 232, Geſagte. — Daſelbſt (Seite 234) auch die Literatur über die ſtaatsbürgerlichen Rechte. 3) Die Rechtsverhältniſſe der Unterthanen, wie ſie ſich überhaupt in ſämmtlichen Gattungen von Staaten aus dem Weſen der organiſirten Ein- heit des Volkslebens ergeben, ſind oben, § 31, Seite 229, erörtert. In jeder einzelnen Staatsgattung treten jedoch, je nach der beſonderen Natur derſelben, eigenthümliche Modificationen dieſer Rechte ein. Eine genauere Bezeichnung dieſer letzteren iſt namentlich im Rechtsſtaate angedeutet, theils wegen deſſen unmittelbarer Bedeutung für die Gegenwart, theils weil die Rechte der einzelnen Staatstheilnehmer in keiner andern Staatsgattung in gleichem Grade ausgebildet und ausgedehnt ſind. 4) Nichts mag leichter zugegeben werden, als daß die Feſtſtellung eines richtigen Verhältniſſes zwiſchen Staat und Kirche thatſächlich eine ſehr ſchwere Aufgabe der Staatskunſt iſt, namentlich in Beziehung auf die katholiſche Kirche, bei deren ungeheurem Umfange, mächtiger Organiſation, eben ſo ſchlauer als zäher Ueberlieferung, endlich und hauptſächlich aber wegen ihrer weſentlich theokratiſchen Richtung und Lehre. Dagegen iſt die Auffindung des richtigen rechtlichen Grundſatzes höchſt einfach, vorausgeſetzt, daß man weder dem Staate gelegenheitlich ein ungebührliches Regiment in kirchlichen Angelegenheiten verſchaffen, noch den Beiſtand der Kirche zur Niederhaltung eines politiſchen Aufſtrebens bedienen will, was dann durch Ueberantwortung weſentlicher Rechte des Staates und durch ungebührliche Gleichſtellung der Kirche mit dem Staate erkauft werden muß. Schlagende Beiſpiele von Fehlern in beiden Richtungen bietet freilich, trotz aller Erfahrung, ſelbſt die neuere Zeit. So auf der einen Seite Preu- ßen; auf der andern Oeſterreich und, wenn ſchon in geringerem Grade, Frankreich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0346" n="332"/> <note place="end" n="2)">Die ſo zahlreichen neuern Verfaſſungsurkunden haben zu einem<lb/> weſentlichen Theile auch die Beſtimmung, die Grundſätze über die allgemeinen<lb/> Rechte des Staatsoberhauptes und der Bürger im Rechtsſtaate genau zu<lb/> formuliren. Daß ſie im Ganzen glücklicher geweſen ſind in richtiger Feſt-<lb/> ſtellung der erſteren Gattung von Rechten, als hinſichtlich der Unterthanenrechte,<lb/> muß zugegeben werden; namentlich iſt man unläugbar in Zeiten großer<lb/> Aufregung weiter in der Einräumung von Freiheitsrechten gegangen, als<lb/> ſich mit einer kräftigen Regierung und mit der Erhaltung der Ordnung im<lb/> Staate verträgt. 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²⁾ Die ſo zahlreichen neuern Verfaſſungsurkunden haben zu einem
weſentlichen Theile auch die Beſtimmung, die Grundſätze über die allgemeinen
Rechte des Staatsoberhauptes und der Bürger im Rechtsſtaate genau zu
formuliren. Daß ſie im Ganzen glücklicher geweſen ſind in richtiger Feſt-
ſtellung der erſteren Gattung von Rechten, als hinſichtlich der Unterthanenrechte,
muß zugegeben werden; namentlich iſt man unläugbar in Zeiten großer
Aufregung weiter in der Einräumung von Freiheitsrechten gegangen, als
ſich mit einer kräftigen Regierung und mit der Erhaltung der Ordnung im
Staate verträgt. Doch folgt hieraus noch nicht, daß ſolche Formulirungen
ſtaatsbürgerlicher Rechte ganz zu unterlaſſen ſeien; ſondern es iſt nur eine
vorſichtige Faſſung und eine richtige Behandlung nothwendig. Vergl. das
hierüber in § 31, Seite 232, Geſagte. — Daſelbſt (Seite 234) auch die
Literatur über die ſtaatsbürgerlichen Rechte.
³⁾ Die Rechtsverhältniſſe der Unterthanen, wie ſie ſich überhaupt in
ſämmtlichen Gattungen von Staaten aus dem Weſen der organiſirten Ein-
heit des Volkslebens ergeben, ſind oben, § 31, Seite 229, erörtert. In
jeder einzelnen Staatsgattung treten jedoch, je nach der beſonderen Natur
derſelben, eigenthümliche Modificationen dieſer Rechte ein. Eine genauere
Bezeichnung dieſer letzteren iſt namentlich im Rechtsſtaate angedeutet, theils
wegen deſſen unmittelbarer Bedeutung für die Gegenwart, theils weil die
Rechte der einzelnen Staatstheilnehmer in keiner andern Staatsgattung in
gleichem Grade ausgebildet und ausgedehnt ſind.
⁴⁾ Nichts mag leichter zugegeben werden, als daß die Feſtſtellung eines
richtigen Verhältniſſes zwiſchen Staat und Kirche thatſächlich eine ſehr
ſchwere Aufgabe der Staatskunſt iſt, namentlich in Beziehung auf die
katholiſche Kirche, bei deren ungeheurem Umfange, mächtiger Organiſation,
eben ſo ſchlauer als zäher Ueberlieferung, endlich und hauptſächlich aber
wegen ihrer weſentlich theokratiſchen Richtung und Lehre. Dagegen iſt die
Auffindung des richtigen rechtlichen Grundſatzes höchſt einfach,
vorausgeſetzt, daß man weder dem Staate gelegenheitlich ein ungebührliches
Regiment in kirchlichen Angelegenheiten verſchaffen, noch den Beiſtand der
Kirche zur Niederhaltung eines politiſchen Aufſtrebens bedienen will, was
dann durch Ueberantwortung weſentlicher Rechte des Staates und durch
ungebührliche Gleichſtellung der Kirche mit dem Staate erkauft werden muß.
Schlagende Beiſpiele von Fehlern in beiden Richtungen bietet freilich, trotz
aller Erfahrung, ſelbſt die neuere Zeit. So auf der einen Seite Preu-
ßen; auf der andern Oeſterreich und, wenn ſchon in geringerem Grade,
Frankreich.
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