Es versteht sich, daß die Befähigung theils durch persönlichen Nachweis, theils aber, und zwar in den meisten Fällen, durch die Erfüllung gewisser gesetzlicher und allgemeiner Bedingungen geliefert wird. -- Viertens, persönliche Freiheit, indem die Unterwerfung eines Staatsgenossen unter einen andern durch Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit irgend einer Art jenem die Verfolgung seiner Lebenszwecke rechtlich nicht gestattet, was im geraden Widerspruche mit dem Grundgedanken des Rechtsstaates ist. -- Fünftens, Freiheit der Gedanken- äußerung in jeder Form, als welche ein unentbehrliches Mittel ist zur allseitigen geistigen Ausbildung, auf welchen die Bürger des Rechtsstaates einen unbeschränkten Anspruch haben. Von selbst versteht sich jedoch, daß durch Form und Inhalt einer Gedankenäußerung keine Rechte verletzt werden dürfen, und daß hiergegen sowohl Strafen als vorbeugende Maßregeln vorzukehren sind, letztere soweit es ohne Beinträchtigung des ganzen Anspruches geschehen kann. -- Sechstens, freie Re- ligionsübung, soweit nicht dem Rechte Einzelner oder der Gesammtheit dadurch Eintrag gethan oder die Verfassung und der einheitliche Organismus des Staates dadurch gestört wird. Ein Bürger, dessen religiöse Ueberzeugungen unvereinbar sind mit dem rechtlich bestehenden Staate, kann wegen dieser sub- jektiven Auffassung weder eine Veränderung des der Gesammt- heit passenden Staatsgedankens verlangen, noch straflos unge- horsam sein. Ihm bleibt nichts übrig, als den Staat zu ver- lassen. Und auch ein ganzer religiöser Verein (Kirche oder Secte), dessen Lehre oder äußere Einrichtung unvereinbar ist mit dem Gedanken des Rechtsstaates oder mit der Verfassung im concreten Falle, hat so wenig ein Recht sich aufzudrängen, als irgend eine andere gesellschaftliche mit den Staatszwecken unvereinbare Gestaltung. Hat er so großen Umfang und so tiefen Einfluß, daß er eine seiner Auffassungen gemäßere
Es verſteht ſich, daß die Befähigung theils durch perſönlichen Nachweis, theils aber, und zwar in den meiſten Fällen, durch die Erfüllung gewiſſer geſetzlicher und allgemeiner Bedingungen geliefert wird. — Viertens, perſönliche Freiheit, indem die Unterwerfung eines Staatsgenoſſen unter einen andern durch Sklaverei, Leibeigenſchaft oder Hörigkeit irgend einer Art jenem die Verfolgung ſeiner Lebenszwecke rechtlich nicht geſtattet, was im geraden Widerſpruche mit dem Grundgedanken des Rechtsſtaates iſt. — Fünftens, Freiheit der Gedanken- äußerung in jeder Form, als welche ein unentbehrliches Mittel iſt zur allſeitigen geiſtigen Ausbildung, auf welchen die Bürger des Rechtsſtaates einen unbeſchränkten Anſpruch haben. Von ſelbſt verſteht ſich jedoch, daß durch Form und Inhalt einer Gedankenäußerung keine Rechte verletzt werden dürfen, und daß hiergegen ſowohl Strafen als vorbeugende Maßregeln vorzukehren ſind, letztere ſoweit es ohne Beinträchtigung des ganzen Anſpruches geſchehen kann. — Sechstens, freie Re- ligionsübung, ſoweit nicht dem Rechte Einzelner oder der Geſammtheit dadurch Eintrag gethan oder die Verfaſſung und der einheitliche Organismus des Staates dadurch geſtört wird. Ein Bürger, deſſen religiöſe Ueberzeugungen unvereinbar ſind mit dem rechtlich beſtehenden Staate, kann wegen dieſer ſub- jektiven Auffaſſung weder eine Veränderung des der Geſammt- heit paſſenden Staatsgedankens verlangen, noch ſtraflos unge- horſam ſein. Ihm bleibt nichts übrig, als den Staat zu ver- laſſen. Und auch ein ganzer religiöſer Verein (Kirche oder Secte), deſſen Lehre oder äußere Einrichtung unvereinbar iſt mit dem Gedanken des Rechtsſtaates oder mit der Verfaſſung im concreten Falle, hat ſo wenig ein Recht ſich aufzudrängen, als irgend eine andere geſellſchaftliche mit den Staatszwecken unvereinbare Geſtaltung. Hat er ſo großen Umfang und ſo tiefen Einfluß, daß er eine ſeiner Auffaſſungen gemäßere
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0344"n="330"/>
Es verſteht ſich, daß die Befähigung theils durch perſönlichen<lb/>
Nachweis, theils aber, und zwar in den meiſten Fällen, durch<lb/>
die Erfüllung gewiſſer geſetzlicher und allgemeiner Bedingungen<lb/>
geliefert wird. — Viertens, <hirendition="#g">perſönliche Freiheit</hi>, indem<lb/>
die Unterwerfung eines Staatsgenoſſen unter einen andern<lb/>
durch Sklaverei, Leibeigenſchaft oder Hörigkeit irgend einer<lb/>
Art jenem die Verfolgung ſeiner Lebenszwecke rechtlich nicht<lb/>
geſtattet, was im geraden Widerſpruche mit dem Grundgedanken<lb/>
des Rechtsſtaates iſt. — Fünftens, <hirendition="#g">Freiheit der Gedanken-<lb/>
äußerung</hi> in jeder Form, als welche ein unentbehrliches<lb/>
Mittel iſt zur allſeitigen geiſtigen Ausbildung, auf welchen die<lb/>
Bürger des Rechtsſtaates einen unbeſchränkten Anſpruch haben.<lb/>
Von ſelbſt verſteht ſich jedoch, daß durch Form und Inhalt<lb/>
einer Gedankenäußerung keine Rechte verletzt werden dürfen,<lb/>
und daß hiergegen ſowohl Strafen als vorbeugende Maßregeln<lb/>
vorzukehren ſind, letztere ſoweit es ohne Beinträchtigung des<lb/>
ganzen Anſpruches geſchehen kann. — Sechstens, <hirendition="#g">freie Re-<lb/>
ligionsübung</hi>, ſoweit nicht dem Rechte Einzelner oder der<lb/>
Geſammtheit dadurch Eintrag gethan oder die Verfaſſung und<lb/>
der einheitliche Organismus des Staates dadurch geſtört wird.<lb/>
Ein Bürger, deſſen religiöſe Ueberzeugungen unvereinbar ſind<lb/>
mit dem rechtlich beſtehenden Staate, kann wegen dieſer ſub-<lb/>
jektiven Auffaſſung weder eine Veränderung des der Geſammt-<lb/>
heit paſſenden Staatsgedankens verlangen, noch ſtraflos unge-<lb/>
horſam ſein. Ihm bleibt nichts übrig, als den Staat zu ver-<lb/>
laſſen. Und auch ein ganzer religiöſer Verein (Kirche oder<lb/>
Secte), deſſen Lehre oder äußere Einrichtung unvereinbar iſt<lb/>
mit dem Gedanken des Rechtsſtaates oder mit der Verfaſſung<lb/>
im concreten Falle, hat ſo wenig ein Recht ſich aufzudrängen,<lb/>
als irgend eine andere geſellſchaftliche mit den Staatszwecken<lb/>
unvereinbare Geſtaltung. Hat er ſo großen Umfang und ſo<lb/>
tiefen Einfluß, daß er eine ſeiner Auffaſſungen gemäßere<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[330/0344]
Es verſteht ſich, daß die Befähigung theils durch perſönlichen
Nachweis, theils aber, und zwar in den meiſten Fällen, durch
die Erfüllung gewiſſer geſetzlicher und allgemeiner Bedingungen
geliefert wird. — Viertens, perſönliche Freiheit, indem
die Unterwerfung eines Staatsgenoſſen unter einen andern
durch Sklaverei, Leibeigenſchaft oder Hörigkeit irgend einer
Art jenem die Verfolgung ſeiner Lebenszwecke rechtlich nicht
geſtattet, was im geraden Widerſpruche mit dem Grundgedanken
des Rechtsſtaates iſt. — Fünftens, Freiheit der Gedanken-
äußerung in jeder Form, als welche ein unentbehrliches
Mittel iſt zur allſeitigen geiſtigen Ausbildung, auf welchen die
Bürger des Rechtsſtaates einen unbeſchränkten Anſpruch haben.
Von ſelbſt verſteht ſich jedoch, daß durch Form und Inhalt
einer Gedankenäußerung keine Rechte verletzt werden dürfen,
und daß hiergegen ſowohl Strafen als vorbeugende Maßregeln
vorzukehren ſind, letztere ſoweit es ohne Beinträchtigung des
ganzen Anſpruches geſchehen kann. — Sechstens, freie Re-
ligionsübung, ſoweit nicht dem Rechte Einzelner oder der
Geſammtheit dadurch Eintrag gethan oder die Verfaſſung und
der einheitliche Organismus des Staates dadurch geſtört wird.
Ein Bürger, deſſen religiöſe Ueberzeugungen unvereinbar ſind
mit dem rechtlich beſtehenden Staate, kann wegen dieſer ſub-
jektiven Auffaſſung weder eine Veränderung des der Geſammt-
heit paſſenden Staatsgedankens verlangen, noch ſtraflos unge-
horſam ſein. Ihm bleibt nichts übrig, als den Staat zu ver-
laſſen. Und auch ein ganzer religiöſer Verein (Kirche oder
Secte), deſſen Lehre oder äußere Einrichtung unvereinbar iſt
mit dem Gedanken des Rechtsſtaates oder mit der Verfaſſung
im concreten Falle, hat ſo wenig ein Recht ſich aufzudrängen,
als irgend eine andere geſellſchaftliche mit den Staatszwecken
unvereinbare Geſtaltung. Hat er ſo großen Umfang und ſo
tiefen Einfluß, daß er eine ſeiner Auffaſſungen gemäßere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/344>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.