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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Platze oder in verfassungsmäßigen Versammlungen und Ge-
schäften zu; er hat Anspruch an den Genuß aller Güter und
Vortheile, welche dem Staate gehören; er kann vollständigen
Unterhalt vom Staate verlangen, wenn seine eignen Mittel
nicht ausreichen; ein Schutz im Auslande gebührt ihm als
einem integrirenden Theile des Staates. Die härteste Strafe
nach der Lebensberaubung ist Verbannung, als welche von
allen Gewohnheiten und Zwecken des ganzen Daseins aus-
schließt.

Der wesentliche Unterschied zwischen dieser Lebens- und
Staatsauffassung und der aller neueren Völker fällt in die
Augen. Bei den Alten dient der Einzelne dem Staate und
findet in dessen Wohl mittelbar auch die Befriedigung seiner
Zwecke; bei den Neuen ist der Staat für alle Einzelnen da,
und er findet seinen Ruhm in dem Wohle der Bürger. Dort
besteht die Freiheit in der Theilnahme an der Regierung, hier
im möglichst wenig regirt werden. Im antiken Staate sind
die Leistungen des Bürgers ein Ausleben seiner Persönlichkeit,
im neuzeitlichen eine Beschränkung derselben. Bei den Griechen
und Römern war die Volksherrschaft, bei uns ist fürstliche
Regierung der richtigste Ausdruck des Staatsgedankens 2).

In ein solches festgeschlossenes und in sich durchaus einiges
Ganzes können Fremde keine Aufnahme erhalten. Wenn sie,
aus Nützlichkeitsgründen, geduldet werden, so bilden sie eine
vollkommen gesonderte Klasse, welche von allem eigentlichen
staatlichen Rechte ausgeschlossen ist, und deren Nachkommen
erst, vielleicht nach mehrern Geschlechtern, wenn sie sich voll-
ständig eingelebt haben, als Bürger aufgenommen werden können.
Dasselbe gilt von Unfreien und Freigelassenen; und es ist ein
Beweis von schon weit vorgeschrittener Zersetzung und Fäulniß,
wenn solche schnell und in ganzen Massen aufgenommen werden.
-- Haussklaverei ist ein kaum vermeidlicher Zustand in einem

Platze oder in verfaſſungsmäßigen Verſammlungen und Ge-
ſchäften zu; er hat Anſpruch an den Genuß aller Güter und
Vortheile, welche dem Staate gehören; er kann vollſtändigen
Unterhalt vom Staate verlangen, wenn ſeine eignen Mittel
nicht ausreichen; ein Schutz im Auslande gebührt ihm als
einem integrirenden Theile des Staates. Die härteſte Strafe
nach der Lebensberaubung iſt Verbannung, als welche von
allen Gewohnheiten und Zwecken des ganzen Daſeins aus-
ſchließt.

Der weſentliche Unterſchied zwiſchen dieſer Lebens- und
Staatsauffaſſung und der aller neueren Völker fällt in die
Augen. Bei den Alten dient der Einzelne dem Staate und
findet in deſſen Wohl mittelbar auch die Befriedigung ſeiner
Zwecke; bei den Neuen iſt der Staat für alle Einzelnen da,
und er findet ſeinen Ruhm in dem Wohle der Bürger. Dort
beſteht die Freiheit in der Theilnahme an der Regierung, hier
im möglichſt wenig regirt werden. Im antiken Staate ſind
die Leiſtungen des Bürgers ein Ausleben ſeiner Perſönlichkeit,
im neuzeitlichen eine Beſchränkung derſelben. Bei den Griechen
und Römern war die Volksherrſchaft, bei uns iſt fürſtliche
Regierung der richtigſte Ausdruck des Staatsgedankens 2).

In ein ſolches feſtgeſchloſſenes und in ſich durchaus einiges
Ganzes können Fremde keine Aufnahme erhalten. Wenn ſie,
aus Nützlichkeitsgründen, geduldet werden, ſo bilden ſie eine
vollkommen geſonderte Klaſſe, welche von allem eigentlichen
ſtaatlichen Rechte ausgeſchloſſen iſt, und deren Nachkommen
erſt, vielleicht nach mehrern Geſchlechtern, wenn ſie ſich voll-
ſtändig eingelebt haben, als Bürger aufgenommen werden können.
Daſſelbe gilt von Unfreien und Freigelaſſenen; und es iſt ein
Beweis von ſchon weit vorgeſchrittener Zerſetzung und Fäulniß,
wenn ſolche ſchnell und in ganzen Maſſen aufgenommen werden.
— Hausſklaverei iſt ein kaum vermeidlicher Zuſtand in einem

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[320/0334] Platze oder in verfaſſungsmäßigen Verſammlungen und Ge- ſchäften zu; er hat Anſpruch an den Genuß aller Güter und Vortheile, welche dem Staate gehören; er kann vollſtändigen Unterhalt vom Staate verlangen, wenn ſeine eignen Mittel nicht ausreichen; ein Schutz im Auslande gebührt ihm als einem integrirenden Theile des Staates. Die härteſte Strafe nach der Lebensberaubung iſt Verbannung, als welche von allen Gewohnheiten und Zwecken des ganzen Daſeins aus- ſchließt. Der weſentliche Unterſchied zwiſchen dieſer Lebens- und Staatsauffaſſung und der aller neueren Völker fällt in die Augen. Bei den Alten dient der Einzelne dem Staate und findet in deſſen Wohl mittelbar auch die Befriedigung ſeiner Zwecke; bei den Neuen iſt der Staat für alle Einzelnen da, und er findet ſeinen Ruhm in dem Wohle der Bürger. Dort beſteht die Freiheit in der Theilnahme an der Regierung, hier im möglichſt wenig regirt werden. Im antiken Staate ſind die Leiſtungen des Bürgers ein Ausleben ſeiner Perſönlichkeit, im neuzeitlichen eine Beſchränkung derſelben. Bei den Griechen und Römern war die Volksherrſchaft, bei uns iſt fürſtliche Regierung der richtigſte Ausdruck des Staatsgedankens 2). In ein ſolches feſtgeſchloſſenes und in ſich durchaus einiges Ganzes können Fremde keine Aufnahme erhalten. Wenn ſie, aus Nützlichkeitsgründen, geduldet werden, ſo bilden ſie eine vollkommen geſonderte Klaſſe, welche von allem eigentlichen ſtaatlichen Rechte ausgeſchloſſen iſt, und deren Nachkommen erſt, vielleicht nach mehrern Geſchlechtern, wenn ſie ſich voll- ſtändig eingelebt haben, als Bürger aufgenommen werden können. Daſſelbe gilt von Unfreien und Freigelaſſenen; und es iſt ein Beweis von ſchon weit vorgeſchrittener Zerſetzung und Fäulniß, wenn ſolche ſchnell und in ganzen Maſſen aufgenommen werden. — Hausſklaverei iſt ein kaum vermeidlicher Zuſtand in einem

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/334>, abgerufen am 10.05.2024.