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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Gleichheit der Staatstheilnehmer vor dem Gesetze ist in
der Theokratie nicht möglich. Wenn auch sämmtliche Laien,
hoch oder nieder, in gleicher Unterordnung unter der geistigen
Gewalt in Religionssachen stehen, so muß doch jedenfalls für
die Priester ein besonderes Recht bestehen. Ihnen, als den
Gottgeweihten und der Gottheit Näherstehenden, gebühren Vor-
rechte vor den Laien; namentlich können sie ihren Gerichtsstand
nur bei ihren eigenen Oberen haben.

Von höchster Bedeutung für die Theokratie ist die Bestim-
mung über die Erwerbung der Priesterwürde. Es gibt
aber nur zwei folgerichtige Erwerbungsarten: entweder Geburt
aus einer erblichen Priesterkaste, oder Aufnahme durch eine
heilige und unerlöschliche Weihe. Im letzteren Falle ist Ehe-
losigkeit der Priester unerläßlich, damit nicht Unheiliges von
Heiligen entstehe, und der Priester nicht nähere Verhältnisse
habe, als die zu seinem Stande, der Kirche und dem Staate.

Endlich noch gilt für jede Theokratie die Forderung, daß
die Priesterschaft und überhaupt die ganze religiöse Einrichtung
wirthschaftlich selbstständig und von dem guten Willen der
Laien unabhängig sei. Daher denn namentlich der Grundsatz
der Unantastbarkeit und Unveräußerlichkeit alles Grundeigen-
thumes der Kirche.

Die äußere Einrichtung einer Theokratie ist dagegen aller-
dings sehr verschieden, je nachdem dieselbe eine reine oder eine
dualistische ist. Natürlich ist die erstere Art weit leichter zu
organisiren, als die verwickeltere Verbindung von Priester-
und Laien-Regiment.

In der reinen Theokratie steht an der Spitze der Ver-
einigung von Staat und Kirche die Personifikation oder der
Statthalter Gottes. Er ist der Leiter aller geistlichen und welt-
lichen Angelegenheiten; zu seiner Berathung und, wenn es
nöthig sein sollte, zu seiner Beschränkung steht ihm eine Ver-

Gleichheit der Staatstheilnehmer vor dem Geſetze iſt in
der Theokratie nicht möglich. Wenn auch ſämmtliche Laien,
hoch oder nieder, in gleicher Unterordnung unter der geiſtigen
Gewalt in Religionsſachen ſtehen, ſo muß doch jedenfalls für
die Prieſter ein beſonderes Recht beſtehen. Ihnen, als den
Gottgeweihten und der Gottheit Näherſtehenden, gebühren Vor-
rechte vor den Laien; namentlich können ſie ihren Gerichtsſtand
nur bei ihren eigenen Oberen haben.

Von höchſter Bedeutung für die Theokratie iſt die Beſtim-
mung über die Erwerbung der Prieſterwürde. Es gibt
aber nur zwei folgerichtige Erwerbungsarten: entweder Geburt
aus einer erblichen Prieſterkaſte, oder Aufnahme durch eine
heilige und unerlöſchliche Weihe. Im letzteren Falle iſt Ehe-
loſigkeit der Prieſter unerläßlich, damit nicht Unheiliges von
Heiligen entſtehe, und der Prieſter nicht nähere Verhältniſſe
habe, als die zu ſeinem Stande, der Kirche und dem Staate.

Endlich noch gilt für jede Theokratie die Forderung, daß
die Prieſterſchaft und überhaupt die ganze religiöſe Einrichtung
wirthſchaftlich ſelbſtſtändig und von dem guten Willen der
Laien unabhängig ſei. Daher denn namentlich der Grundſatz
der Unantaſtbarkeit und Unveräußerlichkeit alles Grundeigen-
thumes der Kirche.

Die äußere Einrichtung einer Theokratie iſt dagegen aller-
dings ſehr verſchieden, je nachdem dieſelbe eine reine oder eine
dualiſtiſche iſt. Natürlich iſt die erſtere Art weit leichter zu
organiſiren, als die verwickeltere Verbindung von Prieſter-
und Laien-Regiment.

In der reinen Theokratie ſteht an der Spitze der Ver-
einigung von Staat und Kirche die Perſonifikation oder der
Statthalter Gottes. Er iſt der Leiter aller geiſtlichen und welt-
lichen Angelegenheiten; zu ſeiner Berathung und, wenn es
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[314/0328] Gleichheit der Staatstheilnehmer vor dem Geſetze iſt in der Theokratie nicht möglich. Wenn auch ſämmtliche Laien, hoch oder nieder, in gleicher Unterordnung unter der geiſtigen Gewalt in Religionsſachen ſtehen, ſo muß doch jedenfalls für die Prieſter ein beſonderes Recht beſtehen. Ihnen, als den Gottgeweihten und der Gottheit Näherſtehenden, gebühren Vor- rechte vor den Laien; namentlich können ſie ihren Gerichtsſtand nur bei ihren eigenen Oberen haben. Von höchſter Bedeutung für die Theokratie iſt die Beſtim- mung über die Erwerbung der Prieſterwürde. Es gibt aber nur zwei folgerichtige Erwerbungsarten: entweder Geburt aus einer erblichen Prieſterkaſte, oder Aufnahme durch eine heilige und unerlöſchliche Weihe. Im letzteren Falle iſt Ehe- loſigkeit der Prieſter unerläßlich, damit nicht Unheiliges von Heiligen entſtehe, und der Prieſter nicht nähere Verhältniſſe habe, als die zu ſeinem Stande, der Kirche und dem Staate. Endlich noch gilt für jede Theokratie die Forderung, daß die Prieſterſchaft und überhaupt die ganze religiöſe Einrichtung wirthſchaftlich ſelbſtſtändig und von dem guten Willen der Laien unabhängig ſei. Daher denn namentlich der Grundſatz der Unantaſtbarkeit und Unveräußerlichkeit alles Grundeigen- thumes der Kirche. Die äußere Einrichtung einer Theokratie iſt dagegen aller- dings ſehr verſchieden, je nachdem dieſelbe eine reine oder eine dualiſtiſche iſt. Natürlich iſt die erſtere Art weit leichter zu organiſiren, als die verwickeltere Verbindung von Prieſter- und Laien-Regiment. In der reinen Theokratie ſteht an der Spitze der Ver- einigung von Staat und Kirche die Perſonifikation oder der Statthalter Gottes. Er iſt der Leiter aller geiſtlichen und welt- lichen Angelegenheiten; zu ſeiner Berathung und, wenn es nöthig ſein ſollte, zu ſeiner Beſchränkung ſteht ihm eine Ver-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/328>, abgerufen am 09.05.2024.