Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.dasselbe sogar als die Hauptstütze und das Hauptmittel des Systemes der Volksvertretung erklärt. Als thatsächlichen Beweis der Möglichkeit und Nützlichkeit aber pflegt man sich theils auf die Weigerung mittelalterlicher Stände gegen außerorbentliche Verwilligungen, theils auf England zu berufen. Hier ist nun vor Allem diese letztere Berufung ganz unpassend. Theils nämlich besteht in England das parlamentarische System, während auf dem ganzen Festlande die dualistische Auffassung der Volksvertretung herrscht, was denn zur Folge hat, daß dort nur einer im Unterliegen begriffenen Partei die Mittel zur Fortführung ihrer Herrschaft entzogen, hier aber die Regierung, ja der Staat selbst gelähmt würde. Theils aber ist thatsächlich in England von einer Verweigerung der gesammten Steuern seit einer festen Regelung der Verfassungsgrundsätze gar keine Rede mehr; sondern höchstens wird die Verweigerung irgend einer kleinen Einnahme oder Ausgabe als Probe benützt, ob das Ministerium noch die Mehrheit im Unterhause habe. Und ebensowenig ist die Berufung auf die Handlungsweise der älteren Stände schlagend. In diesen hausherrlichen Staaten war und blieb die Hauptsache der Staatseinnahmen und Ausgaben ganz unberührt durch eine solche Verhandlung. Bei den Verweigerungen der Stände handelte es sich hier nur von Anmuthung zu außerordentlichen Leistungen, zu deren Er- füllung keine rechtliche Verpflichtung war. Aber auch abgesehen hiervon ist der Gedanke, dem Staate alle Mittel zu seinem Bestande und zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu versagen und hierin einen Schutz der Volksrechte zu erblicken, geradezu widersinnig. Wie kann von einem Rechte, die bestimmtesten Verpflichtungen des Staates nicht zu erfüllen, verständigerweise gesprochen werden, und wie kann eine solche Auflösung aller Dinge ein Rechts- schutz sein? Auch vergesse man nicht, daß die Stände nur mit der Staats- gewalt zusammen zu wirken, nicht aber zur unbedingten Unterwerfung derselben durch Aushungerung berufen sind. -- Nicht zu verwechseln natürlich mit einer solchen Steuerverweigerung aus politischen Gründen ist ein Nicht- eingehen der Stände in einen größern oder kleinern Theil des Finanzplanes, und das hieraus hervorgehende Verlangen derselben, daß zweckmäßigere Besteuerungsvorschläge gemacht werden mögen. Eine solche Meinungsver- schiedenheit hat eine ganz andere rechtliche Bedeutung und ist viel leichter zu lösen. 11) Vgl. Schützenberger, a. a. O. -- Die schärfste, zum Theil freilich auch übertreibende, Kritik einer Erklärung von Menschen- und Bür- gerrechten hat Bentham geliefert in den beiden Schriften: The book of fallacies; und Anarchical fallacies. S. Works, Bd. II, S. 189 fg.; 480 fg. Beide sind auch von Dumont französisch bearbeitet worden; s. die Brüßler Ausgabe der Oeuvres de J. Bentham, Bd. I. daſſelbe ſogar als die Hauptſtütze und das Hauptmittel des Syſtemes der Volksvertretung erklärt. Als thatſächlichen Beweis der Möglichkeit und Nützlichkeit aber pflegt man ſich theils auf die Weigerung mittelalterlicher Stände gegen außerorbentliche Verwilligungen, theils auf England zu berufen. Hier iſt nun vor Allem dieſe letztere Berufung ganz unpaſſend. Theils nämlich beſteht in England das parlamentariſche Syſtem, während auf dem ganzen Feſtlande die dualiſtiſche Auffaſſung der Volksvertretung herrſcht, was denn zur Folge hat, daß dort nur einer im Unterliegen begriffenen Partei die Mittel zur Fortführung ihrer Herrſchaft entzogen, hier aber die Regierung, ja der Staat ſelbſt gelähmt würde. Theils aber iſt thatſächlich in England von einer Verweigerung der geſammten Steuern ſeit einer feſten Regelung der Verfaſſungsgrundſätze gar keine Rede mehr; ſondern höchſtens wird die Verweigerung irgend einer kleinen Einnahme oder Ausgabe als Probe benützt, ob das Miniſterium noch die Mehrheit im Unterhauſe habe. Und ebenſowenig iſt die Berufung auf die Handlungsweiſe der älteren Stände ſchlagend. In dieſen hausherrlichen Staaten war und blieb die Hauptſache der Staatseinnahmen und Ausgaben ganz unberührt durch eine ſolche Verhandlung. Bei den Verweigerungen der Stände handelte es ſich hier nur von Anmuthung zu außerordentlichen Leiſtungen, zu deren Er- füllung keine rechtliche Verpflichtung war. Aber auch abgeſehen hiervon iſt der Gedanke, dem Staate alle Mittel zu ſeinem Beſtande und zur Erfüllung ſeiner Verbindlichkeiten zu verſagen und hierin einen Schutz der Volksrechte zu erblicken, geradezu widerſinnig. Wie kann von einem Rechte, die beſtimmteſten Verpflichtungen des Staates nicht zu erfüllen, verſtändigerweiſe geſprochen werden, und wie kann eine ſolche Auflöſung aller Dinge ein Rechts- ſchutz ſein? Auch vergeſſe man nicht, daß die Stände nur mit der Staats- gewalt zuſammen zu wirken, nicht aber zur unbedingten Unterwerfung derſelben durch Aushungerung berufen ſind. — Nicht zu verwechſeln natürlich mit einer ſolchen Steuerverweigerung aus politiſchen Gründen iſt ein Nicht- eingehen der Stände in einen größern oder kleinern Theil des Finanzplanes, und das hieraus hervorgehende Verlangen derſelben, daß zweckmäßigere Beſteuerungsvorſchläge gemacht werden mögen. Eine ſolche Meinungsver- ſchiedenheit hat eine ganz andere rechtliche Bedeutung und iſt viel leichter zu löſen. 11) Vgl. Schützenberger, a. a. O. — Die ſchärfſte, zum Theil freilich auch übertreibende, Kritik einer Erklärung von Menſchen- und Bür- gerrechten hat Bentham geliefert in den beiden Schriften: The book of fallacies; und Anarchical fallacies. S. Works, Bd. II, S. 189 fg.; 480 fg. Beide ſind auch von Dumont franzöſiſch bearbeitet worden; ſ. die Brüßler Ausgabe der Oeuvres de J. Bentham, Bd. 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¹⁰⁾ daſſelbe ſogar als die Hauptſtütze und das Hauptmittel des Syſtemes der
Volksvertretung erklärt. Als thatſächlichen Beweis der Möglichkeit und
Nützlichkeit aber pflegt man ſich theils auf die Weigerung mittelalterlicher
Stände gegen außerorbentliche Verwilligungen, theils auf England zu berufen.
Hier iſt nun vor Allem dieſe letztere Berufung ganz unpaſſend. Theils
nämlich beſteht in England das parlamentariſche Syſtem, während auf dem
ganzen Feſtlande die dualiſtiſche Auffaſſung der Volksvertretung herrſcht,
was denn zur Folge hat, daß dort nur einer im Unterliegen begriffenen
Partei die Mittel zur Fortführung ihrer Herrſchaft entzogen, hier aber die
Regierung, ja der Staat ſelbſt gelähmt würde. Theils aber iſt thatſächlich
in England von einer Verweigerung der geſammten Steuern ſeit einer feſten
Regelung der Verfaſſungsgrundſätze gar keine Rede mehr; ſondern höchſtens
wird die Verweigerung irgend einer kleinen Einnahme oder Ausgabe als
Probe benützt, ob das Miniſterium noch die Mehrheit im Unterhauſe habe.
Und ebenſowenig iſt die Berufung auf die Handlungsweiſe der älteren
Stände ſchlagend. In dieſen hausherrlichen Staaten war und blieb die
Hauptſache der Staatseinnahmen und Ausgaben ganz unberührt durch eine
ſolche Verhandlung. Bei den Verweigerungen der Stände handelte es ſich
hier nur von Anmuthung zu außerordentlichen Leiſtungen, zu deren Er-
füllung keine rechtliche Verpflichtung war. Aber auch abgeſehen hiervon
iſt der Gedanke, dem Staate alle Mittel zu ſeinem Beſtande und zur Erfüllung
ſeiner Verbindlichkeiten zu verſagen und hierin einen Schutz der Volksrechte
zu erblicken, geradezu widerſinnig. Wie kann von einem Rechte, die
beſtimmteſten Verpflichtungen des Staates nicht zu erfüllen, verſtändigerweiſe
geſprochen werden, und wie kann eine ſolche Auflöſung aller Dinge ein Rechts-
ſchutz ſein? Auch vergeſſe man nicht, daß die Stände nur mit der Staats-
gewalt zuſammen zu wirken, nicht aber zur unbedingten Unterwerfung
derſelben durch Aushungerung berufen ſind. — Nicht zu verwechſeln natürlich
mit einer ſolchen Steuerverweigerung aus politiſchen Gründen iſt ein Nicht-
eingehen der Stände in einen größern oder kleinern Theil des Finanzplanes,
und das hieraus hervorgehende Verlangen derſelben, daß zweckmäßigere
Beſteuerungsvorſchläge gemacht werden mögen. Eine ſolche Meinungsver-
ſchiedenheit hat eine ganz andere rechtliche Bedeutung und iſt viel leichter
zu löſen.
¹¹⁾ Vgl. Schützenberger, a. a. O. — Die ſchärfſte, zum Theil
freilich auch übertreibende, Kritik einer Erklärung von Menſchen- und Bür-
gerrechten hat Bentham geliefert in den beiden Schriften: The book of
fallacies; und Anarchical fallacies. S. Works, Bd. II, S. 189 fg.;
480 fg. Beide ſind auch von Dumont franzöſiſch bearbeitet worden; ſ. die
Brüßler Ausgabe der Oeuvres de J. Bentham, Bd. I.
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