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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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selbe kann in solcher Vereinzelung nicht gedacht werden, und
noch weniger so leben; theils weil er schon in einer Verbindung
von Menschen geboren wird und nur in einer solchen am
Leben bleibt, theils weil er seine Lebenszwecke bei einem ato-
mistischen Verhalten nicht zu erreichen vermag. Ein Natur-
stand in diesem Sinne ist eine Unmöglichkeit, besteht nie und
nirgends; und es war daher auch ein vollkommen falscher und
irreleitender Ausgangspunkt, wenn frühere Staatslehrer (Hobbes,
Rousseau, Kant) einen solchen ihren Theorieen von dem Wesen
und der Entstehung des Staates zu Grunde legten. Bleibende
Verbindungen sind dem Menschen unbedingt nothwendig, auch
auf den untersten Stufen der Gesittigung und bei den einfachsten
Lebenszwecken. Allerdings ist bei diesen Genossenschaften freier
Wille des Einzelnen nicht ganz ausgeschlossen, und es findet
bei allen, mehr oder weniger, ein Zusammentreffen von Natur-
nothwendigkeit und Willkühr statt; doch ist die erstere bei
mehreren solcher Verbindungen so vorwiegend, daß sie überall
stattfindet.

Die erste, einfachste und nothwendigste dieser menschlichen
Verbindungen ist die Familie 1).

Dieselbe wird gegründet von Einem Mann und einer oder
mehreren Frauen 2). Ihr nächster Zweck ist der der Geschlechts-
gemeinschaft unter den Stiftern und die Fortpflanzung des
menschlichen Geschlechtes; dann aber dient sie auch zum innigsten
gemüthlichen und verständigen Zusammenleben, so wie zum ge-
meinschaftlichen Erwerbe und Genusse der nothwendigen Lebens-
bedürfnisse.

Im Allgemeinen ist ihre Entstehung und Dauer für
die Gründer eine physische, eine psychische und eine wirthschaft-
liche Nothwendigkeit; doch kommt in jedem einzelnen Falle
noch freie Wahl dazu und bestimmt Zeit und Personen. Für
die aus der geschlechtlichen Verbindung der Stifter Entstehenden

ſelbe kann in ſolcher Vereinzelung nicht gedacht werden, und
noch weniger ſo leben; theils weil er ſchon in einer Verbindung
von Menſchen geboren wird und nur in einer ſolchen am
Leben bleibt, theils weil er ſeine Lebenszwecke bei einem ato-
miſtiſchen Verhalten nicht zu erreichen vermag. Ein Natur-
ſtand in dieſem Sinne iſt eine Unmöglichkeit, beſteht nie und
nirgends; und es war daher auch ein vollkommen falſcher und
irreleitender Ausgangspunkt, wenn frühere Staatslehrer (Hobbes,
Rouſſeau, Kant) einen ſolchen ihren Theorieen von dem Weſen
und der Entſtehung des Staates zu Grunde legten. Bleibende
Verbindungen ſind dem Menſchen unbedingt nothwendig, auch
auf den unterſten Stufen der Geſittigung und bei den einfachſten
Lebenszwecken. Allerdings iſt bei dieſen Genoſſenſchaften freier
Wille des Einzelnen nicht ganz ausgeſchloſſen, und es findet
bei allen, mehr oder weniger, ein Zuſammentreffen von Natur-
nothwendigkeit und Willkühr ſtatt; doch iſt die erſtere bei
mehreren ſolcher Verbindungen ſo vorwiegend, daß ſie überall
ſtattfindet.

Die erſte, einfachſte und nothwendigſte dieſer menſchlichen
Verbindungen iſt die Familie 1).

Dieſelbe wird gegründet von Einem Mann und einer oder
mehreren Frauen 2). Ihr nächſter Zweck iſt der der Geſchlechts-
gemeinſchaft unter den Stiftern und die Fortpflanzung des
menſchlichen Geſchlechtes; dann aber dient ſie auch zum innigſten
gemüthlichen und verſtändigen Zuſammenleben, ſo wie zum ge-
meinſchaftlichen Erwerbe und Genuſſe der nothwendigen Lebens-
bedürfniſſe.

Im Allgemeinen iſt ihre Entſtehung und Dauer für
die Gründer eine phyſiſche, eine pſychiſche und eine wirthſchaft-
liche Nothwendigkeit; doch kommt in jedem einzelnen Falle
noch freie Wahl dazu und beſtimmt Zeit und Perſonen. Für
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[11/0025] ſelbe kann in ſolcher Vereinzelung nicht gedacht werden, und noch weniger ſo leben; theils weil er ſchon in einer Verbindung von Menſchen geboren wird und nur in einer ſolchen am Leben bleibt, theils weil er ſeine Lebenszwecke bei einem ato- miſtiſchen Verhalten nicht zu erreichen vermag. Ein Natur- ſtand in dieſem Sinne iſt eine Unmöglichkeit, beſteht nie und nirgends; und es war daher auch ein vollkommen falſcher und irreleitender Ausgangspunkt, wenn frühere Staatslehrer (Hobbes, Rouſſeau, Kant) einen ſolchen ihren Theorieen von dem Weſen und der Entſtehung des Staates zu Grunde legten. Bleibende Verbindungen ſind dem Menſchen unbedingt nothwendig, auch auf den unterſten Stufen der Geſittigung und bei den einfachſten Lebenszwecken. Allerdings iſt bei dieſen Genoſſenſchaften freier Wille des Einzelnen nicht ganz ausgeſchloſſen, und es findet bei allen, mehr oder weniger, ein Zuſammentreffen von Natur- nothwendigkeit und Willkühr ſtatt; doch iſt die erſtere bei mehreren ſolcher Verbindungen ſo vorwiegend, daß ſie überall ſtattfindet. Die erſte, einfachſte und nothwendigſte dieſer menſchlichen Verbindungen iſt die Familie 1). Dieſelbe wird gegründet von Einem Mann und einer oder mehreren Frauen 2). Ihr nächſter Zweck iſt der der Geſchlechts- gemeinſchaft unter den Stiftern und die Fortpflanzung des menſchlichen Geſchlechtes; dann aber dient ſie auch zum innigſten gemüthlichen und verſtändigen Zuſammenleben, ſo wie zum ge- meinſchaftlichen Erwerbe und Genuſſe der nothwendigen Lebens- bedürfniſſe. Im Allgemeinen iſt ihre Entſtehung und Dauer für die Gründer eine phyſiſche, eine pſychiſche und eine wirthſchaft- liche Nothwendigkeit; doch kommt in jedem einzelnen Falle noch freie Wahl dazu und beſtimmt Zeit und Perſonen. Für die aus der geſchlechtlichen Verbindung der Stifter Entſtehenden

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/25>, abgerufen am 25.04.2024.