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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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K. L. v. Haller und Jarke die fürstliche Gewalt wieder
auf selbstständiges Recht zu stellen versucht; andererseits wollen
A. Müller, Stahl und Krauß der Staatsgewalt einen gött-
lichen Ursprung geben, freilich in wesentlich unter sich verschiedener
Weise. -- Ein natürliches Bedürfniß drängt daher gerade in
Deutschland und eben jetzt zu einer Staatsrechtsphilosophie,
welche den verschiedenen möglichen und berechtigten Auffassungen
vom Staate und seinen Zwecken gleichmäßig gerecht wird, das
heißt eine jede derselben in ihrer relativen Wahrheit, aber auch
nur in dieser, anerkennt. Den besten Versuch dieser Art hat
Bluntschli gemacht, (Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., 1857.)

Da in Italien von jeher die äußeren Zustände einer freien
Entwickelung der Lehre vom Staate wenig günstig waren, so ist
nicht sowohl zu wundern, daß von dem begabten Volke hier nicht
so viel geschah, wie in anderen Ländern, als vielmehr, daß
noch so Vieles geleistet ist. Freilich finden sich erst gegen der
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einschlagende Schriften; seit
dieser Zeit aber nicht wenige. Die Mehrzahl der Italiener
bekennt sich zu der Rechtsstaatsphilosophie, namentlich nach der
Auffassung Kant's, welche über Oesterreich zu ihnen drang;
und es gehören hierher, außer dem schon ältern Lampredi,
namentlich Baroli, Rinaldini, Tolomei und Soria
di Crispan
. Eine andere Anzahl folgt der Krauße'schen
Lehre, namentlich Melchiorre, Ambrosoli und Bon-
compagni
. Ganz selbstständig, höchst gedankenreich, aber
auch von ungenießbarer Form sind die Werke Romagnosi's.

Endlich sind auch noch die Werke zu erwähnen, welche in
den Vereinigten Staaten von Nordamerika erschie-
nen sind. Daß hier bloß Anhänger des Rechtsstaates sind,
bedarf nicht erst der Bemerkung; solcher aber enthält diese junge
Literatur schon mehrere von bemerkenswerther Bedeutung. Ab-
gesehen von Denjenigen, welche sich die Vertheidigung der

K. L. v. Haller und Jarke die fürſtliche Gewalt wieder
auf ſelbſtſtändiges Recht zu ſtellen verſucht; andererſeits wollen
A. Müller, Stahl und Krauß der Staatsgewalt einen gött-
lichen Urſprung geben, freilich in weſentlich unter ſich verſchiedener
Weiſe. — Ein natürliches Bedürfniß drängt daher gerade in
Deutſchland und eben jetzt zu einer Staatsrechtsphiloſophie,
welche den verſchiedenen möglichen und berechtigten Auffaſſungen
vom Staate und ſeinen Zwecken gleichmäßig gerecht wird, das
heißt eine jede derſelben in ihrer relativen Wahrheit, aber auch
nur in dieſer, anerkennt. Den beſten Verſuch dieſer Art hat
Bluntſchli gemacht, (Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., 1857.)

Da in Italien von jeher die äußeren Zuſtände einer freien
Entwickelung der Lehre vom Staate wenig günſtig waren, ſo iſt
nicht ſowohl zu wundern, daß von dem begabten Volke hier nicht
ſo viel geſchah, wie in anderen Ländern, als vielmehr, daß
noch ſo Vieles geleiſtet iſt. Freilich finden ſich erſt gegen der
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einſchlagende Schriften; ſeit
dieſer Zeit aber nicht wenige. Die Mehrzahl der Italiener
bekennt ſich zu der Rechtsſtaatsphiloſophie, namentlich nach der
Auffaſſung Kant’s, welche über Oeſterreich zu ihnen drang;
und es gehören hierher, außer dem ſchon ältern Lampredi,
namentlich Baroli, Rinaldini, Tolomei und Soria
di Crispan
. Eine andere Anzahl folgt der Krauße’ſchen
Lehre, namentlich Melchiorre, Ambroſoli und Bon-
compagni
. Ganz ſelbſtſtändig, höchſt gedankenreich, aber
auch von ungenießbarer Form ſind die Werke Romagnoſi’s.

Endlich ſind auch noch die Werke zu erwähnen, welche in
den Vereinigten Staaten von Nordamerika erſchie-
nen ſind. Daß hier bloß Anhänger des Rechtsſtaates ſind,
bedarf nicht erſt der Bemerkung; ſolcher aber enthält dieſe junge
Literatur ſchon mehrere von bemerkenswerther Bedeutung. Ab-
geſehen von Denjenigen, welche ſich die Vertheidigung der

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[184/0198] K. L. v. Haller und Jarke die fürſtliche Gewalt wieder auf ſelbſtſtändiges Recht zu ſtellen verſucht; andererſeits wollen A. Müller, Stahl und Krauß der Staatsgewalt einen gött- lichen Urſprung geben, freilich in weſentlich unter ſich verſchiedener Weiſe. — Ein natürliches Bedürfniß drängt daher gerade in Deutſchland und eben jetzt zu einer Staatsrechtsphiloſophie, welche den verſchiedenen möglichen und berechtigten Auffaſſungen vom Staate und ſeinen Zwecken gleichmäßig gerecht wird, das heißt eine jede derſelben in ihrer relativen Wahrheit, aber auch nur in dieſer, anerkennt. Den beſten Verſuch dieſer Art hat Bluntſchli gemacht, (Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., 1857.) Da in Italien von jeher die äußeren Zuſtände einer freien Entwickelung der Lehre vom Staate wenig günſtig waren, ſo iſt nicht ſowohl zu wundern, daß von dem begabten Volke hier nicht ſo viel geſchah, wie in anderen Ländern, als vielmehr, daß noch ſo Vieles geleiſtet iſt. Freilich finden ſich erſt gegen der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einſchlagende Schriften; ſeit dieſer Zeit aber nicht wenige. Die Mehrzahl der Italiener bekennt ſich zu der Rechtsſtaatsphiloſophie, namentlich nach der Auffaſſung Kant’s, welche über Oeſterreich zu ihnen drang; und es gehören hierher, außer dem ſchon ältern Lampredi, namentlich Baroli, Rinaldini, Tolomei und Soria di Crispan. Eine andere Anzahl folgt der Krauße’ſchen Lehre, namentlich Melchiorre, Ambroſoli und Bon- compagni. Ganz ſelbſtſtändig, höchſt gedankenreich, aber auch von ungenießbarer Form ſind die Werke Romagnoſi’s. Endlich ſind auch noch die Werke zu erwähnen, welche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika erſchie- nen ſind. Daß hier bloß Anhänger des Rechtsſtaates ſind, bedarf nicht erſt der Bemerkung; ſolcher aber enthält dieſe junge Literatur ſchon mehrere von bemerkenswerther Bedeutung. Ab- geſehen von Denjenigen, welche ſich die Vertheidigung der

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/198>, abgerufen am 28.04.2024.