Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.in die Wirklichkeit zeigt nämlich, daß derselbe Mensch zu gleicher Das besondere Wesen dieser menschlichen Verhältnisse er- 1) Eine umsichtige Unterscheidung der verschiedenen Lebenskreise ist ein Fortschritt der neueren Wissenschaft, und es ist nicht zu läugnen, daß die socialistischen und communistischen Lehren den Anstoß zu einer vollständigeren Durchdenkung der menschlichen Verhältnisse gegeben haben. Bis dahin pflegte die Staatsphilosophie sich damit zu begnügen, den Menschen einer- seits als abstractes Einzelwesen, andererseits als Theilnehmer an einem vollendeten einzelnen Staatsorganismus zu betrachten. Was dazwischen und was darüber hinauslag, blieb ganz unbeachtet. Die Folgen von dieser un- vollkommenen Auffassung waren denn nun aber: eine unrichtige Erklärung der Entstehung des Staates; eine mangelhafte Darstellung seines Inhaltes und seiner Aufgabe; die Nichtbeachtung der allgemeinen Weltstellung des Einzelnen und des Staates. Im Uebrigen hat die Wissenschaft allerdings hier noch manche Frage zu lösen. -- Da der Schwerpunkt dieses Fort- schrittes der Wissenschaft in der Lehre von der Gesellschaft liegt, so ist deren Literatur auch über die allgemeinen Fragen des menschlichen Zusam- menslebens nachzusehen. -- S. dieselbe unten, § 5. 2) Mit Unrecht würde das Volk als ein besonderer, einerseits vom Stamme, andererseits vom Staate verschiedener Lebenskreis aufgeführt. Entweder wird Volk in dem Sinne eines großen Stammes genommen; dann aber ist eine nochmalige Aufführung unlogisch und überflüssig. Oder aber man versteht darunter die sämmtlichen Einwohner eines Staates ohne in die Wirklichkeit zeigt nämlich, daß derſelbe Menſch zu gleicher Das beſondere Weſen dieſer menſchlichen Verhältniſſe er- 1) Eine umſichtige Unterſcheidung der verſchiedenen Lebenskreiſe iſt ein Fortſchritt der neueren Wiſſenſchaft, und es iſt nicht zu läugnen, daß die ſocialiſtiſchen und communiſtiſchen Lehren den Anſtoß zu einer vollſtändigeren Durchdenkung der menſchlichen Verhältniſſe gegeben haben. Bis dahin pflegte die Staatsphiloſophie ſich damit zu begnügen, den Menſchen einer- ſeits als abſtractes Einzelweſen, andererſeits als Theilnehmer an einem vollendeten einzelnen Staatsorganismus zu betrachten. Was dazwiſchen und was darüber hinauslag, blieb ganz unbeachtet. Die Folgen von dieſer un- vollkommenen Auffaſſung waren denn nun aber: eine unrichtige Erklärung der Entſtehung des Staates; eine mangelhafte Darſtellung ſeines Inhaltes und ſeiner Aufgabe; die Nichtbeachtung der allgemeinen Weltſtellung des Einzelnen und des Staates. Im Uebrigen hat die Wiſſenſchaft allerdings hier noch manche Frage zu löſen. — Da der Schwerpunkt dieſes Fort- ſchrittes der Wiſſenſchaft in der Lehre von der Geſellſchaft liegt, ſo iſt deren Literatur auch über die allgemeinen Fragen des menſchlichen Zuſam- menslebens nachzuſehen. — S. dieſelbe unten, § 5. 2) Mit Unrecht würde das Volk als ein beſonderer, einerſeits vom Stamme, andererſeits vom Staate verſchiedener Lebenskreis aufgeführt. Entweder wird Volk in dem Sinne eines großen Stammes genommen; dann aber iſt eine nochmalige Aufführung unlogiſch und überflüſſig. Oder aber man verſteht darunter die ſämmtlichen Einwohner eines Staates ohne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0018" n="4"/> in die Wirklichkeit zeigt nämlich, daß derſelbe Menſch zu gleicher<lb/> Zeit ſein eigenes Leben lebt, Mitglied einer Familie, Genoſſe<lb/> eines Stammes und einer beſondern Volksthümlichkeit, Theil-<lb/> nehmer an einer größeren oder kleineren Anzahl von geſellſchaft-<lb/> lichen Kreiſen (worunter namentlich kirchliche Verbindungen ſein<lb/> können), Bürger eines beſtimmten Staates, mit dieſem aber<lb/> Theilnehmer an großen völkerrechtlichen Geſtaltungen iſt. 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in die Wirklichkeit zeigt nämlich, daß derſelbe Menſch zu gleicher
Zeit ſein eigenes Leben lebt, Mitglied einer Familie, Genoſſe
eines Stammes und einer beſondern Volksthümlichkeit, Theil-
nehmer an einer größeren oder kleineren Anzahl von geſellſchaft-
lichen Kreiſen (worunter namentlich kirchliche Verbindungen ſein
können), Bürger eines beſtimmten Staates, mit dieſem aber
Theilnehmer an großen völkerrechtlichen Geſtaltungen iſt. Andere
Beziehungen laſſen ſich nicht denken, oder ſind wenigſtens that-
ſächlich nicht vorhanden 3).
Das beſondere Weſen dieſer menſchlichen Verhältniſſe er-
gibt ſich aus der Stellung eines jeden derſelben in der ganzen
Reihenfolge; und ſo wird namentlich die Eigenthümlichkeit des
Staates erſt durch ſeine Auffaſſung als ein Glied der ganzen
Kette von Geſtaltungen und durch ſeine Vergleichung mit der-
ſelben vollſtändig und allſeitig klar.
¹⁾ Eine umſichtige Unterſcheidung der verſchiedenen Lebenskreiſe iſt ein
Fortſchritt der neueren Wiſſenſchaft, und es iſt nicht zu läugnen, daß die
ſocialiſtiſchen und communiſtiſchen Lehren den Anſtoß zu einer vollſtändigeren
Durchdenkung der menſchlichen Verhältniſſe gegeben haben. Bis dahin
pflegte die Staatsphiloſophie ſich damit zu begnügen, den Menſchen einer-
ſeits als abſtractes Einzelweſen, andererſeits als Theilnehmer an einem
vollendeten einzelnen Staatsorganismus zu betrachten. Was dazwiſchen und
was darüber hinauslag, blieb ganz unbeachtet. Die Folgen von dieſer un-
vollkommenen Auffaſſung waren denn nun aber: eine unrichtige Erklärung
der Entſtehung des Staates; eine mangelhafte Darſtellung ſeines Inhaltes
und ſeiner Aufgabe; die Nichtbeachtung der allgemeinen Weltſtellung des
Einzelnen und des Staates. Im Uebrigen hat die Wiſſenſchaft allerdings
hier noch manche Frage zu löſen. — Da der Schwerpunkt dieſes Fort-
ſchrittes der Wiſſenſchaft in der Lehre von der Geſellſchaft liegt, ſo iſt
deren Literatur auch über die allgemeinen Fragen des menſchlichen Zuſam-
menslebens nachzuſehen. — S. dieſelbe unten, § 5.
²⁾ Mit Unrecht würde das Volk als ein beſonderer, einerſeits vom
Stamme, andererſeits vom Staate verſchiedener Lebenskreis aufgeführt.
Entweder wird Volk in dem Sinne eines großen Stammes genommen;
dann aber iſt eine nochmalige Aufführung unlogiſch und überflüſſig. Oder
aber man verſteht darunter die ſämmtlichen Einwohner eines Staates ohne
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