Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

die obersten Grundsätze bestimmt, theils aber auch, weil die
meisten ihrer Bestimmungen entweder eine Befugniß ertheilen
oder einen Gehorsam verlangen, also ein Rechtsverhältniß
gründen. Die Entwicklung des Verfassungsrechts ist daher
allerdings eine stofflich wichtige Aufgabe und ein wesentlicher
Theil des Landes-Rechtssystems. Allein die Verfassung steht,
wie jedes menschliche Verhältniß, auch noch unter den Gesetzen
der Sittlichkeit und der Klugheit, und es ist Sache der Wissen-
schaft, auch diese Seiten des Verfassungslebens zu entwickeln,
sowohl hinsichtlich der Begründung als der Entwicklung. --
Und noch entschiedener selbst tritt es bei der Verwaltung hervor,
daß sie nicht blos Rechtsanstalt ist. Allerdings soll sie kein
Unrecht sein und kein Unrecht begehen, allein die Richtigkeit
einer Ausführung im Einzelnen und die Behandlung von Men-
schen und Dingen zum Behufe der Erreichung bestimmter Zustände
steht vorzugsweise unter dem Gesetze der Zweckmäßigkeit. Eine
Verwaltungseinrichtung kann ganz gerecht und doch sehr unge-
nügend und selbst schädlich, eine Verwaltungshandlung rechtlich
ganz unanfechtbar und doch höchst verwerflich sein. Nur eine ganz
einseitige und dadurch falsche Auffassung des ganzen Staatslebens
kann sich mit bloser Gesetzmäßigkeit begnügen.

Die Frage nach der rechtlichen Zustandebringung einer
Verfassung, und die nach der Möglichkeit einer Abänderung
derselben, bedarf keiner besonderen Beantwortung. Beides fällt
vollständig zusammen mit der rechtlichen Entstehung und Abän-
derung des concreten Staates selbst.

Ueber das Verhältniß der Verfassung zur Verwaltung sind
aber nachstehende Sätze maßgebend:

1. Die Verwaltung muß in Geist und Form durchaus
verfassungsgemäß sein. Ein Widerspruch zwischen Grundsatz
und Anwendung, zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwi-
schen einem Organismus und seiner Thätigkeit ist jedenfalls

die oberſten Grundſätze beſtimmt, theils aber auch, weil die
meiſten ihrer Beſtimmungen entweder eine Befugniß ertheilen
oder einen Gehorſam verlangen, alſo ein Rechtsverhältniß
gründen. Die Entwicklung des Verfaſſungsrechts iſt daher
allerdings eine ſtofflich wichtige Aufgabe und ein weſentlicher
Theil des Landes-Rechtsſyſtems. Allein die Verfaſſung ſteht,
wie jedes menſchliche Verhältniß, auch noch unter den Geſetzen
der Sittlichkeit und der Klugheit, und es iſt Sache der Wiſſen-
ſchaft, auch dieſe Seiten des Verfaſſungslebens zu entwickeln,
ſowohl hinſichtlich der Begründung als der Entwicklung. —
Und noch entſchiedener ſelbſt tritt es bei der Verwaltung hervor,
daß ſie nicht blos Rechtsanſtalt iſt. Allerdings ſoll ſie kein
Unrecht ſein und kein Unrecht begehen, allein die Richtigkeit
einer Ausführung im Einzelnen und die Behandlung von Men-
ſchen und Dingen zum Behufe der Erreichung beſtimmter Zuſtände
ſteht vorzugsweiſe unter dem Geſetze der Zweckmäßigkeit. Eine
Verwaltungseinrichtung kann ganz gerecht und doch ſehr unge-
nügend und ſelbſt ſchädlich, eine Verwaltungshandlung rechtlich
ganz unanfechtbar und doch höchſt verwerflich ſein. Nur eine ganz
einſeitige und dadurch falſche Auffaſſung des ganzen Staatslebens
kann ſich mit bloſer Geſetzmäßigkeit begnügen.

Die Frage nach der rechtlichen Zuſtandebringung einer
Verfaſſung, und die nach der Möglichkeit einer Abänderung
derſelben, bedarf keiner beſonderen Beantwortung. Beides fällt
vollſtändig zuſammen mit der rechtlichen Entſtehung und Abän-
derung des concreten Staates ſelbſt.

Ueber das Verhältniß der Verfaſſung zur Verwaltung ſind
aber nachſtehende Sätze maßgebend:

1. Die Verwaltung muß in Geiſt und Form durchaus
verfaſſungsgemäß ſein. Ein Widerſpruch zwiſchen Grundſatz
und Anwendung, zwiſchen Allgemeinem und Beſonderem, zwi-
ſchen einem Organismus und ſeiner Thätigkeit iſt jedenfalls

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0146" n="132"/>
die ober&#x017F;ten Grund&#x017F;ätze be&#x017F;timmt, theils aber auch, weil die<lb/>
mei&#x017F;ten ihrer Be&#x017F;timmungen entweder eine Befugniß ertheilen<lb/>
oder einen Gehor&#x017F;am verlangen, al&#x017F;o ein Rechtsverhältniß<lb/>
gründen. Die Entwicklung des Verfa&#x017F;&#x017F;ungsrechts i&#x017F;t daher<lb/>
allerdings eine &#x017F;tofflich wichtige Aufgabe und ein we&#x017F;entlicher<lb/>
Theil des Landes-Rechts&#x017F;y&#x017F;tems. Allein die Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;teht,<lb/>
wie jedes men&#x017F;chliche Verhältniß, auch noch unter den Ge&#x017F;etzen<lb/>
der Sittlichkeit und der Klugheit, und es i&#x017F;t Sache der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft, auch die&#x017F;e Seiten des Verfa&#x017F;&#x017F;ungslebens zu entwickeln,<lb/>
&#x017F;owohl hin&#x017F;ichtlich der Begründung als der Entwicklung. &#x2014;<lb/>
Und noch ent&#x017F;chiedener &#x017F;elb&#x017F;t tritt es bei der Verwaltung hervor,<lb/>
daß &#x017F;ie nicht blos Rechtsan&#x017F;talt i&#x017F;t. Allerdings &#x017F;oll &#x017F;ie kein<lb/>
Unrecht &#x017F;ein und kein Unrecht begehen, allein die Richtigkeit<lb/>
einer Ausführung im Einzelnen und die Behandlung von Men-<lb/>
&#x017F;chen und Dingen zum Behufe der Erreichung be&#x017F;timmter Zu&#x017F;tände<lb/>
&#x017F;teht vorzugswei&#x017F;e unter dem Ge&#x017F;etze der Zweckmäßigkeit. Eine<lb/>
Verwaltungseinrichtung kann ganz gerecht und doch &#x017F;ehr unge-<lb/>
nügend und &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chädlich, eine Verwaltungshandlung rechtlich<lb/>
ganz unanfechtbar und doch höch&#x017F;t verwerflich &#x017F;ein. Nur eine ganz<lb/>
ein&#x017F;eitige und dadurch fal&#x017F;che Auffa&#x017F;&#x017F;ung des ganzen Staatslebens<lb/>
kann &#x017F;ich mit blo&#x017F;er Ge&#x017F;etzmäßigkeit begnügen.</p><lb/>
            <p>Die Frage nach der rechtlichen Zu&#x017F;tandebringung einer<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung, und die nach der Möglichkeit einer Abänderung<lb/>
der&#x017F;elben, bedarf keiner be&#x017F;onderen Beantwortung. Beides fällt<lb/>
voll&#x017F;tändig zu&#x017F;ammen mit der rechtlichen Ent&#x017F;tehung und Abän-<lb/>
derung des concreten Staates &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Ueber das Verhältniß der Verfa&#x017F;&#x017F;ung zur Verwaltung &#x017F;ind<lb/>
aber nach&#x017F;tehende Sätze maßgebend:</p><lb/>
            <p>1. Die Verwaltung muß in Gei&#x017F;t und Form durchaus<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsgemäß &#x017F;ein. Ein Wider&#x017F;pruch zwi&#x017F;chen Grund&#x017F;atz<lb/>
und Anwendung, zwi&#x017F;chen Allgemeinem und Be&#x017F;onderem, zwi-<lb/>
&#x017F;chen einem Organismus und &#x017F;einer Thätigkeit i&#x017F;t jedenfalls<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0146] die oberſten Grundſätze beſtimmt, theils aber auch, weil die meiſten ihrer Beſtimmungen entweder eine Befugniß ertheilen oder einen Gehorſam verlangen, alſo ein Rechtsverhältniß gründen. Die Entwicklung des Verfaſſungsrechts iſt daher allerdings eine ſtofflich wichtige Aufgabe und ein weſentlicher Theil des Landes-Rechtsſyſtems. Allein die Verfaſſung ſteht, wie jedes menſchliche Verhältniß, auch noch unter den Geſetzen der Sittlichkeit und der Klugheit, und es iſt Sache der Wiſſen- ſchaft, auch dieſe Seiten des Verfaſſungslebens zu entwickeln, ſowohl hinſichtlich der Begründung als der Entwicklung. — Und noch entſchiedener ſelbſt tritt es bei der Verwaltung hervor, daß ſie nicht blos Rechtsanſtalt iſt. Allerdings ſoll ſie kein Unrecht ſein und kein Unrecht begehen, allein die Richtigkeit einer Ausführung im Einzelnen und die Behandlung von Men- ſchen und Dingen zum Behufe der Erreichung beſtimmter Zuſtände ſteht vorzugsweiſe unter dem Geſetze der Zweckmäßigkeit. Eine Verwaltungseinrichtung kann ganz gerecht und doch ſehr unge- nügend und ſelbſt ſchädlich, eine Verwaltungshandlung rechtlich ganz unanfechtbar und doch höchſt verwerflich ſein. Nur eine ganz einſeitige und dadurch falſche Auffaſſung des ganzen Staatslebens kann ſich mit bloſer Geſetzmäßigkeit begnügen. Die Frage nach der rechtlichen Zuſtandebringung einer Verfaſſung, und die nach der Möglichkeit einer Abänderung derſelben, bedarf keiner beſonderen Beantwortung. Beides fällt vollſtändig zuſammen mit der rechtlichen Entſtehung und Abän- derung des concreten Staates ſelbſt. Ueber das Verhältniß der Verfaſſung zur Verwaltung ſind aber nachſtehende Sätze maßgebend: 1. Die Verwaltung muß in Geiſt und Form durchaus verfaſſungsgemäß ſein. Ein Widerſpruch zwiſchen Grundſatz und Anwendung, zwiſchen Allgemeinem und Beſonderem, zwi- ſchen einem Organismus und ſeiner Thätigkeit iſt jedenfalls

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/146
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/146>, abgerufen am 01.05.2024.