Genuß von einer Lust zur andern befindet; und gebe mei- ner Einbildung ein Fest, welches dann am prächtigsten ist, wenn ich die Größe und Schwäche der Menschen ne- ben einander stelle, und sehe wie die eine durch die an- dre gehoben wird.
Hier muß ich schließen. Der Hofemeister, welcher meinen Kindern in einem Nebenzimmer erkläret, was es für ein großes Glück sey, sich keiner Schuld bewust zu seyn, störet mich in meiner Schwärmerey. Sonst würde ich Jhnen noch sagen, wie sehr Licht und Schatten sich einander zu statten kommen.
A.
XVI. Der Werth der Complimente.
Schreiben einer Wittwe.
O meine Liebe! närrisch sollte man über die halbwitzi- gen Mannsköpfe werden. Gestern, wie wir uns zu einer Promenade fertig machten, sagte ich zu dem Herrn -- seinen Namen errathen Sie leicht: Geben Sie mir ihren Arm, ich habe doch keine bessere Stütze. Hierauf machte er mir ein langes und breites Compli- ment, ich mußte ihm Ehren halber antworten, und wir geriethen darüber zu aller Welt Wunder in einen höfli- chen Galimathias, wobey ich so roth ward wie Schar- lach, er aber sich die stolze Mine eines triumphirenden Complimentirers gab. Die ganze Gesellschaft hatte, ehe
ich
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Ein kleiner Umſtand thut oft vieles
Genuß von einer Luſt zur andern befindet; und gebe mei- ner Einbildung ein Feſt, welches dann am praͤchtigſten iſt, wenn ich die Groͤße und Schwaͤche der Menſchen ne- ben einander ſtelle, und ſehe wie die eine durch die an- dre gehoben wird.
Hier muß ich ſchließen. Der Hofemeiſter, welcher meinen Kindern in einem Nebenzimmer erklaͤret, was es fuͤr ein großes Gluͤck ſey, ſich keiner Schuld bewuſt zu ſeyn, ſtoͤret mich in meiner Schwaͤrmerey. Sonſt wuͤrde ich Jhnen noch ſagen, wie ſehr Licht und Schatten ſich einander zu ſtatten kommen.
A.
XVI. Der Werth der Complimente.
Schreiben einer Wittwe.
O meine Liebe! naͤrriſch ſollte man uͤber die halbwitzi- gen Mannskoͤpfe werden. Geſtern, wie wir uns zu einer Promenade fertig machten, ſagte ich zu dem Herrn — ſeinen Namen errathen Sie leicht: Geben Sie mir ihren Arm, ich habe doch keine beſſere Stuͤtze. Hierauf machte er mir ein langes und breites Compli- ment, ich mußte ihm Ehren halber antworten, und wir geriethen daruͤber zu aller Welt Wunder in einen hoͤfli- chen Galimathias, wobey ich ſo roth ward wie Schar- lach, er aber ſich die ſtolze Mine eines triumphirenden Complimentirers gab. Die ganze Geſellſchaft hatte, ehe
ich
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Ein kleiner Umſtand thut oft vieles
Genuß von einer Luſt zur andern befindet; und gebe mei-
ner Einbildung ein Feſt, welches dann am praͤchtigſten
iſt, wenn ich die Groͤße und Schwaͤche der Menſchen ne-
ben einander ſtelle, und ſehe wie die eine durch die an-
dre gehoben wird.
Hier muß ich ſchließen. Der Hofemeiſter, welcher
meinen Kindern in einem Nebenzimmer erklaͤret, was es
fuͤr ein großes Gluͤck ſey, ſich keiner Schuld bewuſt zu
ſeyn, ſtoͤret mich in meiner Schwaͤrmerey. Sonſt wuͤrde
ich Jhnen noch ſagen, wie ſehr Licht und Schatten ſich
einander zu ſtatten kommen.
A.
XVI.
Der Werth der Complimente.
Schreiben einer Wittwe.
O meine Liebe! naͤrriſch ſollte man uͤber die halbwitzi-
gen Mannskoͤpfe werden. Geſtern, wie wir uns
zu einer Promenade fertig machten, ſagte ich zu dem
Herrn — ſeinen Namen errathen Sie leicht: Geben Sie
mir ihren Arm, ich habe doch keine beſſere Stuͤtze.
Hierauf machte er mir ein langes und breites Compli-
ment, ich mußte ihm Ehren halber antworten, und wir
geriethen daruͤber zu aller Welt Wunder in einen hoͤfli-
chen Galimathias, wobey ich ſo roth ward wie Schar-
lach, er aber ſich die ſtolze Mine eines triumphirenden
Complimentirers gab. Die ganze Geſellſchaft hatte, ehe
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/85>, abgerufen am 16.02.2025.
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