welcher mein ganzes Leben verbittern würde. Hievon hatte ich ihn überzeugt, und in dieser Ueberzeugung suchte ich meine Ruhe wieder zu finden.
Wir schieden endlich mit der heiligsten Versicherung aus einander, uns nie wieder allein zu sehen, und hier- auf küßte ich ihn noch einmal zur Dankbarkeit wie ich glaubte, für die Gerechtigkeit, welche er mir in diesem Augenblicke erzeigt hatte. Jetzt befand ich mich etwas ruhiger, und wie nicht lange darauf mein Mann zu mir kam, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, konnte ich ihm sagen, wie ich glaubte, daß die rauschenden Ver- gnügungen der Stadt meiner Gesundheit nicht zuträglich wären, und so zogen wir nach wenigen Wochen auf un- ser Gut, und verließen den Hof, wo ich vorhin den Him- mel auf Erden gefunden zu haben glaubte.
So wie ich die Sachen jetzt, aber vielleicht aus ei- nem unrichtigen Gesichtspunkte, ansehe, glaube ich fast, daß ich nie zu der ruhigen und stillen Lebensart gekom- men seyn würde, worinn ich mir nun so sehr gefalle, wenn ich jene Erniedrigung nicht erlitten hätte. Jch ha- be seit der Zeit hundertmal mehr Gefälligkeit für meinen Mann gehabt als vorhin, und er ist glücklicher dadurch geworden. Jch habe mich ganz meinen mütterlichen Pflich- ten gewidmet, und kenne nichts unerträglichers als den beständigen Genuß solcher Lustbarkeiten, die andre bis zum Eckel verfolgen. Jch bin gegen alle arme Sünder und Sünderinnen tausendmal billiger als vorhin, ertrage etwas Unrecht wegen meiner heimlichen Schuld, kehre alles zum Besten, beneide keinen Glanz, und richte keine menschlichen Fehler. Jeder gefällt sich bey uns, man lo- bet mich wegen der großen Vernunft, womit ich den kost- baren Eitelkeiten der Welt entsage, man rühmt mich als die würdigste Frau, als die gewissenhafteste Mutter, und
als
Ein kleiner Umſtand thut oft vieles.
welcher mein ganzes Leben verbittern wuͤrde. Hievon hatte ich ihn uͤberzeugt, und in dieſer Ueberzeugung ſuchte ich meine Ruhe wieder zu finden.
Wir ſchieden endlich mit der heiligſten Verſicherung aus einander, uns nie wieder allein zu ſehen, und hier- auf kuͤßte ich ihn noch einmal zur Dankbarkeit wie ich glaubte, fuͤr die Gerechtigkeit, welche er mir in dieſem Augenblicke erzeigt hatte. Jetzt befand ich mich etwas ruhiger, und wie nicht lange darauf mein Mann zu mir kam, um ſich nach meinem Befinden zu erkundigen, konnte ich ihm ſagen, wie ich glaubte, daß die rauſchenden Ver- gnuͤgungen der Stadt meiner Geſundheit nicht zutraͤglich waͤren, und ſo zogen wir nach wenigen Wochen auf un- ſer Gut, und verließen den Hof, wo ich vorhin den Him- mel auf Erden gefunden zu haben glaubte.
So wie ich die Sachen jetzt, aber vielleicht aus ei- nem unrichtigen Geſichtspunkte, anſehe, glaube ich faſt, daß ich nie zu der ruhigen und ſtillen Lebensart gekom- men ſeyn wuͤrde, worinn ich mir nun ſo ſehr gefalle, wenn ich jene Erniedrigung nicht erlitten haͤtte. Jch ha- be ſeit der Zeit hundertmal mehr Gefaͤlligkeit fuͤr meinen Mann gehabt als vorhin, und er iſt gluͤcklicher dadurch geworden. Jch habe mich ganz meinen muͤtterlichen Pflich- ten gewidmet, und kenne nichts unertraͤglichers als den beſtaͤndigen Genuß ſolcher Luſtbarkeiten, die andre bis zum Eckel verfolgen. Jch bin gegen alle arme Suͤnder und Suͤnderinnen tauſendmal billiger als vorhin, ertrage etwas Unrecht wegen meiner heimlichen Schuld, kehre alles zum Beſten, beneide keinen Glanz, und richte keine menſchlichen Fehler. Jeder gefaͤllt ſich bey uns, man lo- bet mich wegen der großen Vernunft, womit ich den koſt- baren Eitelkeiten der Welt entſage, man ruͤhmt mich als die wuͤrdigſte Frau, als die gewiſſenhafteſte Mutter, und
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Ein kleiner Umſtand thut oft vieles.
welcher mein ganzes Leben verbittern wuͤrde. Hievon
hatte ich ihn uͤberzeugt, und in dieſer Ueberzeugung ſuchte
ich meine Ruhe wieder zu finden.
Wir ſchieden endlich mit der heiligſten Verſicherung
aus einander, uns nie wieder allein zu ſehen, und hier-
auf kuͤßte ich ihn noch einmal zur Dankbarkeit wie ich
glaubte, fuͤr die Gerechtigkeit, welche er mir in dieſem
Augenblicke erzeigt hatte. Jetzt befand ich mich etwas
ruhiger, und wie nicht lange darauf mein Mann zu mir
kam, um ſich nach meinem Befinden zu erkundigen, konnte
ich ihm ſagen, wie ich glaubte, daß die rauſchenden Ver-
gnuͤgungen der Stadt meiner Geſundheit nicht zutraͤglich
waͤren, und ſo zogen wir nach wenigen Wochen auf un-
ſer Gut, und verließen den Hof, wo ich vorhin den Him-
mel auf Erden gefunden zu haben glaubte.
So wie ich die Sachen jetzt, aber vielleicht aus ei-
nem unrichtigen Geſichtspunkte, anſehe, glaube ich faſt,
daß ich nie zu der ruhigen und ſtillen Lebensart gekom-
men ſeyn wuͤrde, worinn ich mir nun ſo ſehr gefalle,
wenn ich jene Erniedrigung nicht erlitten haͤtte. Jch ha-
be ſeit der Zeit hundertmal mehr Gefaͤlligkeit fuͤr meinen
Mann gehabt als vorhin, und er iſt gluͤcklicher dadurch
geworden. Jch habe mich ganz meinen muͤtterlichen Pflich-
ten gewidmet, und kenne nichts unertraͤglichers als den
beſtaͤndigen Genuß ſolcher Luſtbarkeiten, die andre bis
zum Eckel verfolgen. Jch bin gegen alle arme Suͤnder
und Suͤnderinnen tauſendmal billiger als vorhin, ertrage
etwas Unrecht wegen meiner heimlichen Schuld, kehre
alles zum Beſten, beneide keinen Glanz, und richte keine
menſchlichen Fehler. Jeder gefaͤllt ſich bey uns, man lo-
bet mich wegen der großen Vernunft, womit ich den koſt-
baren Eitelkeiten der Welt entſage, man ruͤhmt mich als
die wuͤrdigſte Frau, als die gewiſſenhafteſte Mutter, und
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/82>, abgerufen am 22.11.2024.
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