wegnimmt, wird durch jene aufgerieben, gerade als wenn er allein das Recht hätte nach seinem Kopfe zu handeln.
Zwar giebt es auch Mittel die Vornehmern auf dem Bette der Ehre sterben zu lassen; und die großen Herrn werden schon dafür sorgen, daß es hiezu nicht an Gele- genheit mangle. Allein dadurch wird den Mädgen nicht geholfen, sondern nur die Ungleichheit beyder Geschlech- ter wider die göttliche Ordnung vermehrt Für diese wäre es also besser, wenn sie so wie bisher zur Hälfte in ihren unschuldigen Kinderjahren, ehe sie wissen was es in der Welt giebt, von den Blattern weggeraft, und nicht durch jene grausame Vorsorge aufgesparet würden, achzigjährige Märterinnen zu werden. Aber keine Zeit ist so sehr in Widerspruch mit sich selbst gewesen als die jetzige. Sie arbeitet beständig an Stamm und Namen, und doch soll jeder Stamm von unendlichen Sprößlingen erschöpft werden. Sie treibt die Ueppigkeit bis zum höchsten Grad, verzehrt was sie einnimmt, macht auch wohl Schulden dazu, und doch denkt sie an nichts als recht viele Erben zu erwecken. Sie klagt daß ihr die Kin- der täglich mehr kosten, und tadelt gleichwohl ihre Vor- fahren, welche in glücklichen Zeiten die Hälfte davon an den Blattern sterben ließen; sie murret gegen die Fürsten und will doch durch die Jnoculation eine Menge von Fürst- gen erhalten ... doch wer kann alle die Widersprüche zählen, worinn sich der Mensch verwickelt? ich habe ihn gesehen, wie er einen Dieb, der Morgen gehangen wer- den sollte, sich aber heute selbst erhenkt hatte, mit aller nur erdenklichen Mühe wieder zum Leben zu bringen suchte, um ihn des andern Tages in forma aufknüpfen zu sehen. Und so verfahren auch unsre Aerzte, sie erhal- ten eine Menge von Leuten, die natürlicher Weise, weil die Welt zu voll werden wird, verhungern müssen. Kom-
men
Alſo ſollte man die Einimpfung
wegnimmt, wird durch jene aufgerieben, gerade als wenn er allein das Recht haͤtte nach ſeinem Kopfe zu handeln.
Zwar giebt es auch Mittel die Vornehmern auf dem Bette der Ehre ſterben zu laſſen; und die großen Herrn werden ſchon dafuͤr ſorgen, daß es hiezu nicht an Gele- genheit mangle. Allein dadurch wird den Maͤdgen nicht geholfen, ſondern nur die Ungleichheit beyder Geſchlech- ter wider die goͤttliche Ordnung vermehrt Fuͤr dieſe waͤre es alſo beſſer, wenn ſie ſo wie bisher zur Haͤlfte in ihren unſchuldigen Kinderjahren, ehe ſie wiſſen was es in der Welt giebt, von den Blattern weggeraft, und nicht durch jene grauſame Vorſorge aufgeſparet wuͤrden, achzigjaͤhrige Maͤrterinnen zu werden. Aber keine Zeit iſt ſo ſehr in Widerſpruch mit ſich ſelbſt geweſen als die jetzige. Sie arbeitet beſtaͤndig an Stamm und Namen, und doch ſoll jeder Stamm von unendlichen Sproͤßlingen erſchoͤpft werden. Sie treibt die Ueppigkeit bis zum hoͤchſten Grad, verzehrt was ſie einnimmt, macht auch wohl Schulden dazu, und doch denkt ſie an nichts als recht viele Erben zu erwecken. Sie klagt daß ihr die Kin- der taͤglich mehr koſten, und tadelt gleichwohl ihre Vor- fahren, welche in gluͤcklichen Zeiten die Haͤlfte davon an den Blattern ſterben ließen; ſie murret gegen die Fuͤrſten und will doch durch die Jnoculation eine Menge von Fuͤrſt- gen erhalten … doch wer kann alle die Widerſpruͤche zaͤhlen, worinn ſich der Menſch verwickelt? ich habe ihn geſehen, wie er einen Dieb, der Morgen gehangen wer- den ſollte, ſich aber heute ſelbſt erhenkt hatte, mit aller nur erdenklichen Muͤhe wieder zum Leben zu bringen ſuchte, um ihn des andern Tages in forma aufknuͤpfen zu ſehen. Und ſo verfahren auch unſre Aerzte, ſie erhal- ten eine Menge von Leuten, die natuͤrlicher Weiſe, weil die Welt zu voll werden wird, verhungern muͤſſen. Kom-
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Alſo ſollte man die Einimpfung
wegnimmt, wird durch jene aufgerieben, gerade als wenn
er allein das Recht haͤtte nach ſeinem Kopfe zu handeln.
Zwar giebt es auch Mittel die Vornehmern auf dem
Bette der Ehre ſterben zu laſſen; und die großen Herrn
werden ſchon dafuͤr ſorgen, daß es hiezu nicht an Gele-
genheit mangle. Allein dadurch wird den Maͤdgen nicht
geholfen, ſondern nur die Ungleichheit beyder Geſchlech-
ter wider die goͤttliche Ordnung vermehrt Fuͤr dieſe
waͤre es alſo beſſer, wenn ſie ſo wie bisher zur Haͤlfte in
ihren unſchuldigen Kinderjahren, ehe ſie wiſſen was es
in der Welt giebt, von den Blattern weggeraft, und
nicht durch jene grauſame Vorſorge aufgeſparet wuͤrden,
achzigjaͤhrige Maͤrterinnen zu werden. Aber keine Zeit
iſt ſo ſehr in Widerſpruch mit ſich ſelbſt geweſen als die
jetzige. Sie arbeitet beſtaͤndig an Stamm und Namen,
und doch ſoll jeder Stamm von unendlichen Sproͤßlingen
erſchoͤpft werden. Sie treibt die Ueppigkeit bis zum
hoͤchſten Grad, verzehrt was ſie einnimmt, macht auch
wohl Schulden dazu, und doch denkt ſie an nichts als
recht viele Erben zu erwecken. Sie klagt daß ihr die Kin-
der taͤglich mehr koſten, und tadelt gleichwohl ihre Vor-
fahren, welche in gluͤcklichen Zeiten die Haͤlfte davon an
den Blattern ſterben ließen; ſie murret gegen die Fuͤrſten
und will doch durch die Jnoculation eine Menge von Fuͤrſt-
gen erhalten … doch wer kann alle die Widerſpruͤche
zaͤhlen, worinn ſich der Menſch verwickelt? ich habe ihn
geſehen, wie er einen Dieb, der Morgen gehangen wer-
den ſollte, ſich aber heute ſelbſt erhenkt hatte, mit aller
nur erdenklichen Muͤhe wieder zum Leben zu bringen
ſuchte, um ihn des andern Tages in forma aufknuͤpfen
zu ſehen. Und ſo verfahren auch unſre Aerzte, ſie erhal-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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