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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Schreiben einer alten Ehefrau
wollte ich dich noch auf einer Strickleiter vom Glocken-
thurm herunter tragen, wenn ich dich nicht anders zu be-
kommen wüßte; aber nun da ich dich einmal in meinen
Armen fest habe, da alle Gefahren überwunden, und
alle Hindernisse besiegt sind; nun findet meine Leidenschaft
von dieser Seite ihre vorige Befriedigung nicht. Was
meiner Eigenliebe einmal geopfert ist, hört auf ein Opfer
zu seyn; die Erfindungs-Entdeckungs- und Eroberungs-
sucht, die jedem Menschen angeboren ist, fordert eine
neue Laufbahn. Ehe ich dich hatte, brauchte ich alle Tu-
genden zu Stuffen, um an dich zu reichen; nun aber da
ich dich habe, setze ich dich oben darauf, und du bist nun
bis dahin die oberste Stuffe, von welcher ich weiter
schaue.

So wenig mir auch der Glockthurm, und daß ich
die Ehre haben sollte, der höchste Fußschemel meines
Mannes zu seyn, gefiel: so begrif ich doch endlich mit der
Zeit, und nachdem ich dem Laufe der menschlichen Hand-
lungen weiter nachgedacht hatte, daß es nicht anders seyn
könnte. Jch wandte auch meine Thätigkeit, die vielleicht
mit der Zeit auf der Rasenbank Langeweile gefunden ha-
ben würde, auf die zu meinem Berufe gehörigen häus-
lichen Geschäfte, und wann wir dann beyde uns tapfer
getummelt hatten, und uns am Abend einander erzäh-
len konnten, was er auf dem Felde und ich im Hause
oder im Garten gemacht hatte: so waren wir oft froher
und vergnügter als alle liebevollen Seelen in der Welt.
Und was das glücklichste dabey ist: so hat dieses Ver-
gnügen uns auch nach unserm dreyßigjährigen Ehestande
nicht verlassen. Wir sprechen noch eben so lebhaft von
unserm Hauswesen, als wir immer gethan haben, ich
habe meines Mannes Geschmack kennen gelernt, und er-
zähle ihm sowohl aus politischen als gelehrten Zeitungen

was

Schreiben einer alten Ehefrau
wollte ich dich noch auf einer Strickleiter vom Glocken-
thurm herunter tragen, wenn ich dich nicht anders zu be-
kommen wuͤßte; aber nun da ich dich einmal in meinen
Armen feſt habe, da alle Gefahren uͤberwunden, und
alle Hinderniſſe beſiegt ſind; nun findet meine Leidenſchaft
von dieſer Seite ihre vorige Befriedigung nicht. Was
meiner Eigenliebe einmal geopfert iſt, hoͤrt auf ein Opfer
zu ſeyn; die Erfindungs-Entdeckungs- und Eroberungs-
ſucht, die jedem Menſchen angeboren iſt, fordert eine
neue Laufbahn. Ehe ich dich hatte, brauchte ich alle Tu-
genden zu Stuffen, um an dich zu reichen; nun aber da
ich dich habe, ſetze ich dich oben darauf, und du biſt nun
bis dahin die oberſte Stuffe, von welcher ich weiter
ſchaue.

So wenig mir auch der Glockthurm, und daß ich
die Ehre haben ſollte, der hoͤchſte Fußſchemel meines
Mannes zu ſeyn, gefiel: ſo begrif ich doch endlich mit der
Zeit, und nachdem ich dem Laufe der menſchlichen Hand-
lungen weiter nachgedacht hatte, daß es nicht anders ſeyn
koͤnnte. Jch wandte auch meine Thaͤtigkeit, die vielleicht
mit der Zeit auf der Raſenbank Langeweile gefunden ha-
ben wuͤrde, auf die zu meinem Berufe gehoͤrigen haͤus-
lichen Geſchaͤfte, und wann wir dann beyde uns tapfer
getummelt hatten, und uns am Abend einander erzaͤh-
len konnten, was er auf dem Felde und ich im Hauſe
oder im Garten gemacht hatte: ſo waren wir oft froher
und vergnuͤgter als alle liebevollen Seelen in der Welt.
Und was das gluͤcklichſte dabey iſt: ſo hat dieſes Ver-
gnuͤgen uns auch nach unſerm dreyßigjaͤhrigen Eheſtande
nicht verlaſſen. Wir ſprechen noch eben ſo lebhaft von
unſerm Hausweſen, als wir immer gethan haben, ich
habe meines Mannes Geſchmack kennen gelernt, und er-
zaͤhle ihm ſowohl aus politiſchen als gelehrten Zeitungen

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[52/0064] Schreiben einer alten Ehefrau wollte ich dich noch auf einer Strickleiter vom Glocken- thurm herunter tragen, wenn ich dich nicht anders zu be- kommen wuͤßte; aber nun da ich dich einmal in meinen Armen feſt habe, da alle Gefahren uͤberwunden, und alle Hinderniſſe beſiegt ſind; nun findet meine Leidenſchaft von dieſer Seite ihre vorige Befriedigung nicht. Was meiner Eigenliebe einmal geopfert iſt, hoͤrt auf ein Opfer zu ſeyn; die Erfindungs-Entdeckungs- und Eroberungs- ſucht, die jedem Menſchen angeboren iſt, fordert eine neue Laufbahn. Ehe ich dich hatte, brauchte ich alle Tu- genden zu Stuffen, um an dich zu reichen; nun aber da ich dich habe, ſetze ich dich oben darauf, und du biſt nun bis dahin die oberſte Stuffe, von welcher ich weiter ſchaue. So wenig mir auch der Glockthurm, und daß ich die Ehre haben ſollte, der hoͤchſte Fußſchemel meines Mannes zu ſeyn, gefiel: ſo begrif ich doch endlich mit der Zeit, und nachdem ich dem Laufe der menſchlichen Hand- lungen weiter nachgedacht hatte, daß es nicht anders ſeyn koͤnnte. Jch wandte auch meine Thaͤtigkeit, die vielleicht mit der Zeit auf der Raſenbank Langeweile gefunden ha- ben wuͤrde, auf die zu meinem Berufe gehoͤrigen haͤus- lichen Geſchaͤfte, und wann wir dann beyde uns tapfer getummelt hatten, und uns am Abend einander erzaͤh- len konnten, was er auf dem Felde und ich im Hauſe oder im Garten gemacht hatte: ſo waren wir oft froher und vergnuͤgter als alle liebevollen Seelen in der Welt. Und was das gluͤcklichſte dabey iſt: ſo hat dieſes Ver- gnuͤgen uns auch nach unſerm dreyßigjaͤhrigen Eheſtande nicht verlaſſen. Wir ſprechen noch eben ſo lebhaft von unſerm Hausweſen, als wir immer gethan haben, ich habe meines Mannes Geſchmack kennen gelernt, und er- zaͤhle ihm ſowohl aus politiſchen als gelehrten Zeitungen was

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/64>, abgerufen am 22.11.2024.