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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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in Schuldsachen mündlich verklagt werden.
beschwerlichen Processe, der ihn zuletzt um alles das
Seinige brachte.

Seine Frau, die er ungefehr vor einem Jahre als
Witwe mit drey Kindern geheyrathet hatte, war eine
von den gesunden und freudigen Weibern, die immer
fleißig arbeiten, und Gott danken, wenn sie Arbeit ha-
ben. Sie wußte von keinem Unglück, außer daß sie ih-
ren Mann verlohren hatte, und dieser Verlust war ihr
durch einen eben so guten ersetzt, der sie ohne weitere
Untersuchung ihres Vermögens so freudig genommen,
wie er sie gefunden hatte. Beyde waren so vergnügt,
wie immer Leute seyn können, die bey redlicher Ar-
beit ihr nothdürftiges Auskommen haben, als sie von ih-
rem Procurator die Nachricht erhielten, daß sie zu Be-
zahlung der funfzig Thaler und doppelt so vieler Kosten
verdammt wären. Wenige traurige Abende, die sie mit
hin und herdenken, wie sie sich in diesem schrecklichen Falle
retten wollten, zubrachten, waren verflossen, als auch
schon die Pfandung einlangte; und nun ward ihnen ihr
Bett, was sich die Frau in den sechs Jahren, die sie als
Magd gedienet, sauer erworben hatte, eine Kuh die eben
melk geworden, und ein Schwein dessen vortrefliches Ge-
deyen bisher der Stof ihrer täglichen Unterredung gewe-
sen war, aus dem Hause genommen; ein Stück Löwend,
womit sie ihre verschiedene Osterheuer bezahlen wollten,
und worauf sie den ganzen Winter gesponnen und gear-
beitet hatten, mußte mit fort; aus dem Hause gieng es
aufs Feld, wo zwey Morgen mit dem schönsten Roggen,
und ein andrer mit Lein so schön wie ein geschorner grü-
ner Samet, in die Pfandung genommen wurden. Um-
sonst widersetzte sich hier der Frauen ihre Schwester, die
eben das Lein jätete, und durch ihr weißes Hemd die Auf-
merksamkeit der vorübergehenden an sich zu ziehen be-

mühet

in Schuldſachen muͤndlich verklagt werden.
beſchwerlichen Proceſſe, der ihn zuletzt um alles das
Seinige brachte.

Seine Frau, die er ungefehr vor einem Jahre als
Witwe mit drey Kindern geheyrathet hatte, war eine
von den geſunden und freudigen Weibern, die immer
fleißig arbeiten, und Gott danken, wenn ſie Arbeit ha-
ben. Sie wußte von keinem Ungluͤck, außer daß ſie ih-
ren Mann verlohren hatte, und dieſer Verluſt war ihr
durch einen eben ſo guten erſetzt, der ſie ohne weitere
Unterſuchung ihres Vermoͤgens ſo freudig genommen,
wie er ſie gefunden hatte. Beyde waren ſo vergnuͤgt,
wie immer Leute ſeyn koͤnnen, die bey redlicher Ar-
beit ihr nothduͤrftiges Auskommen haben, als ſie von ih-
rem Procurator die Nachricht erhielten, daß ſie zu Be-
zahlung der funfzig Thaler und doppelt ſo vieler Koſten
verdammt waͤren. Wenige traurige Abende, die ſie mit
hin und herdenken, wie ſie ſich in dieſem ſchrecklichen Falle
retten wollten, zubrachten, waren verfloſſen, als auch
ſchon die Pfandung einlangte; und nun ward ihnen ihr
Bett, was ſich die Frau in den ſechs Jahren, die ſie als
Magd gedienet, ſauer erworben hatte, eine Kuh die eben
melk geworden, und ein Schwein deſſen vortrefliches Ge-
deyen bisher der Stof ihrer taͤglichen Unterredung gewe-
ſen war, aus dem Hauſe genommen; ein Stuͤck Loͤwend,
womit ſie ihre verſchiedene Oſterheuer bezahlen wollten,
und worauf ſie den ganzen Winter geſponnen und gear-
beitet hatten, mußte mit fort; aus dem Hauſe gieng es
aufs Feld, wo zwey Morgen mit dem ſchoͤnſten Roggen,
und ein andrer mit Lein ſo ſchoͤn wie ein geſchorner gruͤ-
ner Samet, in die Pfandung genommen wurden. Um-
ſonſt widerſetzte ſich hier der Frauen ihre Schweſter, die
eben das Lein jaͤtete, und durch ihr weißes Hemd die Auf-
merkſamkeit der voruͤbergehenden an ſich zu ziehen be-

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[303/0315] in Schuldſachen muͤndlich verklagt werden. beſchwerlichen Proceſſe, der ihn zuletzt um alles das Seinige brachte. Seine Frau, die er ungefehr vor einem Jahre als Witwe mit drey Kindern geheyrathet hatte, war eine von den geſunden und freudigen Weibern, die immer fleißig arbeiten, und Gott danken, wenn ſie Arbeit ha- ben. Sie wußte von keinem Ungluͤck, außer daß ſie ih- ren Mann verlohren hatte, und dieſer Verluſt war ihr durch einen eben ſo guten erſetzt, der ſie ohne weitere Unterſuchung ihres Vermoͤgens ſo freudig genommen, wie er ſie gefunden hatte. Beyde waren ſo vergnuͤgt, wie immer Leute ſeyn koͤnnen, die bey redlicher Ar- beit ihr nothduͤrftiges Auskommen haben, als ſie von ih- rem Procurator die Nachricht erhielten, daß ſie zu Be- zahlung der funfzig Thaler und doppelt ſo vieler Koſten verdammt waͤren. Wenige traurige Abende, die ſie mit hin und herdenken, wie ſie ſich in dieſem ſchrecklichen Falle retten wollten, zubrachten, waren verfloſſen, als auch ſchon die Pfandung einlangte; und nun ward ihnen ihr Bett, was ſich die Frau in den ſechs Jahren, die ſie als Magd gedienet, ſauer erworben hatte, eine Kuh die eben melk geworden, und ein Schwein deſſen vortrefliches Ge- deyen bisher der Stof ihrer taͤglichen Unterredung gewe- ſen war, aus dem Hauſe genommen; ein Stuͤck Loͤwend, womit ſie ihre verſchiedene Oſterheuer bezahlen wollten, und worauf ſie den ganzen Winter geſponnen und gear- beitet hatten, mußte mit fort; aus dem Hauſe gieng es aufs Feld, wo zwey Morgen mit dem ſchoͤnſten Roggen, und ein andrer mit Lein ſo ſchoͤn wie ein geſchorner gruͤ- ner Samet, in die Pfandung genommen wurden. Um- ſonſt widerſetzte ſich hier der Frauen ihre Schweſter, die eben das Lein jaͤtete, und durch ihr weißes Hemd die Auf- merkſamkeit der voruͤbergehenden an ſich zu ziehen be- muͤhet

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/315>, abgerufen am 26.11.2024.