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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ueber die Adelsprobe in Deutschland.
besondere Erwegung verdienen, wie diese Zeugnisse ein-
und aufgenommen seyn müssen, und wie viel Zeugen er-
fordert werden, um eine öffentliche Meinung, welche
der Notorietät gleicht, zu begründen. Denn wer seinen
Adelstand durch Zeugen erweisen will, ohne daß diese
wahre Thatsachen zum Grunde ihrer Wissenschaft ange-
ben können: der gründet sich in existimatione publica,
und 2 oder 3 Zeugen machen mit ihrer Meinung kein
Publicum aus.

Ehe man aber hierunter etwas gewisses bestimmen
kann, wird es nöthig seyn, wiederum einiges aus der
Geschichte voranzuschicken.

Bey den Turnieren erschien der Adel aus den 4 Län-
dern, und keiner wurde in die Schranken gelassen, oder
er mußte sich zu einem der 4 Länder gesellen. Wenn sich
hiernächst bey der Helmschau, welche vor jedem Tur-
niere hergieng, ein Wappen fand, was vorhin noch nicht
zugelassen gewesen war: so traten aus der Landmann-
schaft, welche ihn für ihren Ebengenossen erkannt hatten,
2 oder 4 Männer auf, und behaupteten mittelst ihres
Eydes, in Gegenwart aller Turniersgenossen, dessen
rechtmäßige Abstammung von 4 edlen Vorfahren. Hier
wurde also der Beweis des Adels, 1. durch Zeugen, 2.
die Turniersgenossen, 3. und mit dem Neuangekomme-
nen aus einem Lande waren, geführt; und diese mußten
4. in Gegenwart ihrer eigenen Landmannschaft, und 5.
der übrigen Landmannschaften, einen körperlichen Eyd
über die Sache ablegen. Lange bediente man sich dieser
Beweisart bey den einheimischen Ritterschaften nicht, wo
die Familien einander kannten, und Fremde nur selten
aufgenommen wurden. Desto früher aber wurde er bey
Orden und Capiteln eingeführet, worin ebenfalls, wie

bey

Ueber die Adelsprobe in Deutſchland.
beſondere Erwegung verdienen, wie dieſe Zeugniſſe ein-
und aufgenommen ſeyn muͤſſen, und wie viel Zeugen er-
fordert werden, um eine oͤffentliche Meinung, welche
der Notorietaͤt gleicht, zu begruͤnden. Denn wer ſeinen
Adelſtand durch Zeugen erweiſen will, ohne daß dieſe
wahre Thatſachen zum Grunde ihrer Wiſſenſchaft ange-
ben koͤnnen: der gruͤndet ſich in exiſtimatione publica,
und 2 oder 3 Zeugen machen mit ihrer Meinung kein
Publicum aus.

Ehe man aber hierunter etwas gewiſſes beſtimmen
kann, wird es noͤthig ſeyn, wiederum einiges aus der
Geſchichte voranzuſchicken.

Bey den Turnieren erſchien der Adel aus den 4 Laͤn-
dern, und keiner wurde in die Schranken gelaſſen, oder
er mußte ſich zu einem der 4 Laͤnder geſellen. Wenn ſich
hiernaͤchſt bey der Helmſchau, welche vor jedem Tur-
niere hergieng, ein Wappen fand, was vorhin noch nicht
zugelaſſen geweſen war: ſo traten aus der Landmann-
ſchaft, welche ihn fuͤr ihren Ebengenoſſen erkannt hatten,
2 oder 4 Maͤnner auf, und behaupteten mittelſt ihres
Eydes, in Gegenwart aller Turniersgenoſſen, deſſen
rechtmaͤßige Abſtammung von 4 edlen Vorfahren. Hier
wurde alſo der Beweis des Adels, 1. durch Zeugen, 2.
die Turniersgenoſſen, 3. und mit dem Neuangekomme-
nen aus einem Lande waren, gefuͤhrt; und dieſe mußten
4. in Gegenwart ihrer eigenen Landmannſchaft, und 5.
der uͤbrigen Landmannſchaften, einen koͤrperlichen Eyd
uͤber die Sache ablegen. Lange bediente man ſich dieſer
Beweisart bey den einheimiſchen Ritterſchaften nicht, wo
die Familien einander kannten, und Fremde nur ſelten
aufgenommen wurden. Deſto fruͤher aber wurde er bey
Orden und Capiteln eingefuͤhret, worin ebenfalls, wie

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[288/0300] Ueber die Adelsprobe in Deutſchland. beſondere Erwegung verdienen, wie dieſe Zeugniſſe ein- und aufgenommen ſeyn muͤſſen, und wie viel Zeugen er- fordert werden, um eine oͤffentliche Meinung, welche der Notorietaͤt gleicht, zu begruͤnden. Denn wer ſeinen Adelſtand durch Zeugen erweiſen will, ohne daß dieſe wahre Thatſachen zum Grunde ihrer Wiſſenſchaft ange- ben koͤnnen: der gruͤndet ſich in exiſtimatione publica, und 2 oder 3 Zeugen machen mit ihrer Meinung kein Publicum aus. Ehe man aber hierunter etwas gewiſſes beſtimmen kann, wird es noͤthig ſeyn, wiederum einiges aus der Geſchichte voranzuſchicken. Bey den Turnieren erſchien der Adel aus den 4 Laͤn- dern, und keiner wurde in die Schranken gelaſſen, oder er mußte ſich zu einem der 4 Laͤnder geſellen. Wenn ſich hiernaͤchſt bey der Helmſchau, welche vor jedem Tur- niere hergieng, ein Wappen fand, was vorhin noch nicht zugelaſſen geweſen war: ſo traten aus der Landmann- ſchaft, welche ihn fuͤr ihren Ebengenoſſen erkannt hatten, 2 oder 4 Maͤnner auf, und behaupteten mittelſt ihres Eydes, in Gegenwart aller Turniersgenoſſen, deſſen rechtmaͤßige Abſtammung von 4 edlen Vorfahren. Hier wurde alſo der Beweis des Adels, 1. durch Zeugen, 2. die Turniersgenoſſen, 3. und mit dem Neuangekomme- nen aus einem Lande waren, gefuͤhrt; und dieſe mußten 4. in Gegenwart ihrer eigenen Landmannſchaft, und 5. der uͤbrigen Landmannſchaften, einen koͤrperlichen Eyd uͤber die Sache ablegen. Lange bediente man ſich dieſer Beweisart bey den einheimiſchen Ritterſchaften nicht, wo die Familien einander kannten, und Fremde nur ſelten aufgenommen wurden. Deſto fruͤher aber wurde er bey Orden und Capiteln eingefuͤhret, worin ebenfalls, wie bey

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/300>, abgerufen am 13.05.2024.