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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der Landbesitzer.
jedermann durch Majorate und Fideicommisse verordnen
kann, warum sollte dieses nicht durch allgemeine Gesetze
verordnet werden können? Es ist eine armselige Politik
Familien Fideicommisse zu Erhaltung der Stammgüter
zu begünstigen, einem Vater zu erlauben seinen Nach-
kommen, die er wohl segnen aber nicht zählen kann, bis
ins tausendste Glied Gesetze zu geben, und doch nicht
das Herz zu haben, allgemeine Wahrheiten hieraus zu
ziehen. Unsere Vorfahren, welche blos von der Natur
geleitet wurden, hielten jeden Hof für Stammgut; und
Stammgut waren auch die zwölf Höfe, wovon zu Carls
des Großen Zeiten, einer im Harnische diente. Man
kann also immer wieder die jüngern Söhne von der Gleich-
theilung ausschließen, und dieselbe dahin bringen, daß
sie sich wie die Töchter mit einer billigen Versorgung, und
einer standesmäßigen Abfindung begnügen müssen.

Aber wie, wenn man sich nicht darüber vereinigen
kann, was eine billige Versorgung, eine standesmäßige
Abfindung, und ein ziemliches Ehegeld sey? Wenn der
Landesgebrauch auf die einzelnen Fälle nicht recht paßt?
wenn der Hausgebrauch nicht immer befolget werden
kann, indem das Haus bald tief verschuldet, bald mit
ausserordentlichen Reichthümern verbessert ist? wenn bald
nur ein einziges Kind, bald ihrer zehn abzufinden sind?
wenn der Erbe ein Geitzhals ist, der den Wohlstand un-
ter die Füsse tritt, oder doch so bestimmt, daß ihm kein
ander ehrlicher Mann darin beypflichten kann? oder wenn
die jungen Kinder den Mund so weit aufthun, daß er
mit einem ziemlichen Bissen nicht gestopfet werden kann,
und solchemnach der Richter herbeygerufen werden muß,
der dasjenige, was in dem einzelnen Falle, adlich und
sittlich ist, auf ein Haar bestimmen soll? Muß hier nicht

alles
P 4

der Landbeſitzer.
jedermann durch Majorate und Fideicommiſſe verordnen
kann, warum ſollte dieſes nicht durch allgemeine Geſetze
verordnet werden koͤnnen? Es iſt eine armſelige Politik
Familien Fideicommiſſe zu Erhaltung der Stammguͤter
zu beguͤnſtigen, einem Vater zu erlauben ſeinen Nach-
kommen, die er wohl ſegnen aber nicht zaͤhlen kann, bis
ins tauſendſte Glied Geſetze zu geben, und doch nicht
das Herz zu haben, allgemeine Wahrheiten hieraus zu
ziehen. Unſere Vorfahren, welche blos von der Natur
geleitet wurden, hielten jeden Hof fuͤr Stammgut; und
Stammgut waren auch die zwoͤlf Hoͤfe, wovon zu Carls
des Großen Zeiten, einer im Harniſche diente. Man
kann alſo immer wieder die juͤngern Soͤhne von der Gleich-
theilung ausſchließen, und dieſelbe dahin bringen, daß
ſie ſich wie die Toͤchter mit einer billigen Verſorgung, und
einer ſtandesmaͤßigen Abfindung begnuͤgen muͤſſen.

Aber wie, wenn man ſich nicht daruͤber vereinigen
kann, was eine billige Verſorgung, eine ſtandesmaͤßige
Abfindung, und ein ziemliches Ehegeld ſey? Wenn der
Landesgebrauch auf die einzelnen Faͤlle nicht recht paßt?
wenn der Hausgebrauch nicht immer befolget werden
kann, indem das Haus bald tief verſchuldet, bald mit
auſſerordentlichen Reichthuͤmern verbeſſert iſt? wenn bald
nur ein einziges Kind, bald ihrer zehn abzufinden ſind?
wenn der Erbe ein Geitzhals iſt, der den Wohlſtand un-
ter die Fuͤſſe tritt, oder doch ſo beſtimmt, daß ihm kein
ander ehrlicher Mann darin beypflichten kann? oder wenn
die jungen Kinder den Mund ſo weit aufthun, daß er
mit einem ziemlichen Biſſen nicht geſtopfet werden kann,
und ſolchemnach der Richter herbeygerufen werden muß,
der dasjenige, was in dem einzelnen Falle, adlich und
ſittlich iſt, auf ein Haar beſtimmen ſoll? Muß hier nicht

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[231/0243] der Landbeſitzer. jedermann durch Majorate und Fideicommiſſe verordnen kann, warum ſollte dieſes nicht durch allgemeine Geſetze verordnet werden koͤnnen? Es iſt eine armſelige Politik Familien Fideicommiſſe zu Erhaltung der Stammguͤter zu beguͤnſtigen, einem Vater zu erlauben ſeinen Nach- kommen, die er wohl ſegnen aber nicht zaͤhlen kann, bis ins tauſendſte Glied Geſetze zu geben, und doch nicht das Herz zu haben, allgemeine Wahrheiten hieraus zu ziehen. Unſere Vorfahren, welche blos von der Natur geleitet wurden, hielten jeden Hof fuͤr Stammgut; und Stammgut waren auch die zwoͤlf Hoͤfe, wovon zu Carls des Großen Zeiten, einer im Harniſche diente. Man kann alſo immer wieder die juͤngern Soͤhne von der Gleich- theilung ausſchließen, und dieſelbe dahin bringen, daß ſie ſich wie die Toͤchter mit einer billigen Verſorgung, und einer ſtandesmaͤßigen Abfindung begnuͤgen muͤſſen. Aber wie, wenn man ſich nicht daruͤber vereinigen kann, was eine billige Verſorgung, eine ſtandesmaͤßige Abfindung, und ein ziemliches Ehegeld ſey? Wenn der Landesgebrauch auf die einzelnen Faͤlle nicht recht paßt? wenn der Hausgebrauch nicht immer befolget werden kann, indem das Haus bald tief verſchuldet, bald mit auſſerordentlichen Reichthuͤmern verbeſſert iſt? wenn bald nur ein einziges Kind, bald ihrer zehn abzufinden ſind? wenn der Erbe ein Geitzhals iſt, der den Wohlſtand un- ter die Fuͤſſe tritt, oder doch ſo beſtimmt, daß ihm kein ander ehrlicher Mann darin beypflichten kann? oder wenn die jungen Kinder den Mund ſo weit aufthun, daß er mit einem ziemlichen Biſſen nicht geſtopfet werden kann, und ſolchemnach der Richter herbeygerufen werden muß, der dasjenige, was in dem einzelnen Falle, adlich und ſittlich iſt, auf ein Haar beſtimmen ſoll? Muß hier nicht alles P 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/243>, abgerufen am 04.05.2024.