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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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aus der Stadt zu bringen.
etwas Trost zu holen, bleibt der nämliche. Fallen Seu-
chen und Krankheiten ein, welche eine minder feyerliche
Abführung erfordert: so wird ein sogenannter Lügensarg
zur Abführung in die Kirche, und für die Begleiter eben
die Erinnerungen erwecken können, welche er in andern
Fällen erweckt, und so wird auch darinn keinem etwas
abgehn.

Uebrigens kann, um der guten Meinung der Men-
schen in billigen Dingen nichts zu entziehen, dem Got-
tesacker ausser der Stadt eben die Heiligkeit und Sicher-
heit mitgetheilet werden, welche derselbe in der Stadt
hat, und gewiß läßt sich solche an einem völlig umschlos-
senen Orte besser als hier erhalten, wo ein gemeiner Weg
darüber geht. Hier wird mancher, wenn entweder der
Raum zu enge, oder das Gras zu gut ist, bald auf diese
bald auf jene Art in seiner Ruhe gestört, und keiner wür-
de auf sein Grab eine Rose ohne Gefahr blühen lassen
können *). Die Ruhe ist hier nicht so stille und so sicher,
wie es die weiche Wehmuth ihrem Geliebten wünschet,
und keiner kann hier die Einsamkeit finden, welche der
Schmerz suchet. Hier kann keiner mit Recht auf sein
Grab setzen lassen, daß er in seinem Leben keinem beschwer-
lich gewesen **), und es auch nach dem Tode nicht seyn
wolle. Hier fällt bey einem täglichen Anblicke, der hei-
lige Schauer weg, welcher Roungs Phantasie so sehr er-
höhete, und die trauerklagende Muse krächzet blos ein

Leichen-
*) Alles werde um dich Rose, sagt eine griechische Grabschrift
beym SALLENGRE in praef. ad T. I. Cont. Ant.
**) Qui nulli gravis extiteram dum vita manebat,
Hac functo acternum sit mihi terra levis.

beym MURAT. T. I. thes. novi. p. 540.
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aus der Stadt zu bringen.
etwas Troſt zu holen, bleibt der naͤmliche. Fallen Seu-
chen und Krankheiten ein, welche eine minder feyerliche
Abfuͤhrung erfordert: ſo wird ein ſogenannter Luͤgenſarg
zur Abfuͤhrung in die Kirche, und fuͤr die Begleiter eben
die Erinnerungen erwecken koͤnnen, welche er in andern
Faͤllen erweckt, und ſo wird auch darinn keinem etwas
abgehn.

Uebrigens kann, um der guten Meinung der Men-
ſchen in billigen Dingen nichts zu entziehen, dem Got-
tesacker auſſer der Stadt eben die Heiligkeit und Sicher-
heit mitgetheilet werden, welche derſelbe in der Stadt
hat, und gewiß laͤßt ſich ſolche an einem voͤllig umſchloſ-
ſenen Orte beſſer als hier erhalten, wo ein gemeiner Weg
daruͤber geht. Hier wird mancher, wenn entweder der
Raum zu enge, oder das Gras zu gut iſt, bald auf dieſe
bald auf jene Art in ſeiner Ruhe geſtoͤrt, und keiner wuͤr-
de auf ſein Grab eine Roſe ohne Gefahr bluͤhen laſſen
koͤnnen *). Die Ruhe iſt hier nicht ſo ſtille und ſo ſicher,
wie es die weiche Wehmuth ihrem Geliebten wuͤnſchet,
und keiner kann hier die Einſamkeit finden, welche der
Schmerz ſuchet. Hier kann keiner mit Recht auf ſein
Grab ſetzen laſſen, daß er in ſeinem Leben keinem beſchwer-
lich geweſen **), und es auch nach dem Tode nicht ſeyn
wolle. Hier faͤllt bey einem taͤglichen Anblicke, der hei-
lige Schauer weg, welcher Roungs Phantaſie ſo ſehr er-
hoͤhete, und die trauerklagende Muſe kraͤchzet blos ein

Leichen-
*) Alles werde um dich Roſe, ſagt eine griechiſche Grabſchrift
beym SALLENGRE in praef. ad T. I. Cont. Ant.
**) Qui nulli gravis extiteram dum vita manebat,
Hac functo acternum ſit mihi terra levis.

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[179/0191] aus der Stadt zu bringen. etwas Troſt zu holen, bleibt der naͤmliche. Fallen Seu- chen und Krankheiten ein, welche eine minder feyerliche Abfuͤhrung erfordert: ſo wird ein ſogenannter Luͤgenſarg zur Abfuͤhrung in die Kirche, und fuͤr die Begleiter eben die Erinnerungen erwecken koͤnnen, welche er in andern Faͤllen erweckt, und ſo wird auch darinn keinem etwas abgehn. Uebrigens kann, um der guten Meinung der Men- ſchen in billigen Dingen nichts zu entziehen, dem Got- tesacker auſſer der Stadt eben die Heiligkeit und Sicher- heit mitgetheilet werden, welche derſelbe in der Stadt hat, und gewiß laͤßt ſich ſolche an einem voͤllig umſchloſ- ſenen Orte beſſer als hier erhalten, wo ein gemeiner Weg daruͤber geht. Hier wird mancher, wenn entweder der Raum zu enge, oder das Gras zu gut iſt, bald auf dieſe bald auf jene Art in ſeiner Ruhe geſtoͤrt, und keiner wuͤr- de auf ſein Grab eine Roſe ohne Gefahr bluͤhen laſſen koͤnnen *). Die Ruhe iſt hier nicht ſo ſtille und ſo ſicher, wie es die weiche Wehmuth ihrem Geliebten wuͤnſchet, und keiner kann hier die Einſamkeit finden, welche der Schmerz ſuchet. Hier kann keiner mit Recht auf ſein Grab ſetzen laſſen, daß er in ſeinem Leben keinem beſchwer- lich geweſen **), und es auch nach dem Tode nicht ſeyn wolle. Hier faͤllt bey einem taͤglichen Anblicke, der hei- lige Schauer weg, welcher Roungs Phantaſie ſo ſehr er- hoͤhete, und die trauerklagende Muſe kraͤchzet blos ein Leichen- *) Alles werde um dich Roſe, ſagt eine griechiſche Grabſchrift beym SALLENGRE in praef. ad T. I. Cont. Ant. **) Qui nulli gravis extiteram dum vita manebat, Hac functo acternum ſit mihi terra levis. beym MURAT. T. I. theſ. novi. p. 540. M 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/191>, abgerufen am 28.04.2024.