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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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an seinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
mehr muß man ihnen geben, und ohne einen solchen beey-
deten Mann läßt sich im H. R. Reich keine Justitz pfle-
gen. Nach dem Geiste der deutschen Vrrfassung hat man
dem Landesherrn gewisse bestimmte Sporteln und Stra-
fen zugestanden, um davon das hohe und niedrige Ju-
stitz-Jnventarium zu unterhalten; und es ist eigentlich
wider diesen ursprünglichen Contract, wenn man dem
Landesherrn die Beschwerden lassen, und die Vortheile
entziehen will.

Wenn wir alle so verfahren, und alle Bruchfälle in
unsern Dörfern an uns ziehen wollen, so wird im Grunde
nichts weiter dabey herauskommen, als daß unsre Hin-
tersassen und Leibeigne dasjenige auf eine andre Art er-
setzen müssen, was solchergestalt dem gemeinen Ober-
haupte entzogen wird. Denn dieses will doch eben so
gut wie unser Pfarrer unterhalten seyn, der, wenn jeder
von uns seinen Capellan hält, von unsern Leuten so viel
mehr nehmen muß.

Jch erinnere mich hiebey eines alten Städtgens,
worin die Bürgerschaft, oder Namens ihrer der Kayser,
dem Magistrate den Weinkeller und die Apotheke ange-
wiesen hatte, um aus dem Gewinnste von beyden, alles
was zu seiner und der Stadt Nothdurft erfordert werden
würde, zu bestreiten. Eine Zeitlang gieng dieses vortref-
lich, und der Vortheil von Aquavit und Rhabarber reichte
allein hin, den Bürgemeister und sechzehn Rathsherrn zu
unterhalten. Allein nach und nach erlaubten diese Herrn
einigen Vettern und Freunden auch Aquavit zu schenken,
und ein Laxiertränkgen zu verkaufen, und nun mußten
die armen Bürger Schoß und Steuer geben, um die
Lücke zu füllen, welche durch diese Vergünstigung in der
Stadtkasse entstand. Die Bürger wollten sich zwar an-
fangs widersetzen, und behaupten, die Weinschenke und

die

an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit.
mehr muß man ihnen geben, und ohne einen ſolchen beey-
deten Mann laͤßt ſich im H. R. Reich keine Juſtitz pfle-
gen. Nach dem Geiſte der deutſchen Vrrfaſſung hat man
dem Landesherrn gewiſſe beſtimmte Sporteln und Stra-
fen zugeſtanden, um davon das hohe und niedrige Ju-
ſtitz-Jnventarium zu unterhalten; und es iſt eigentlich
wider dieſen urſpruͤnglichen Contract, wenn man dem
Landesherrn die Beſchwerden laſſen, und die Vortheile
entziehen will.

Wenn wir alle ſo verfahren, und alle Bruchfaͤlle in
unſern Doͤrfern an uns ziehen wollen, ſo wird im Grunde
nichts weiter dabey herauskommen, als daß unſre Hin-
terſaſſen und Leibeigne dasjenige auf eine andre Art er-
ſetzen muͤſſen, was ſolchergeſtalt dem gemeinen Ober-
haupte entzogen wird. Denn dieſes will doch eben ſo
gut wie unſer Pfarrer unterhalten ſeyn, der, wenn jeder
von uns ſeinen Capellan haͤlt, von unſern Leuten ſo viel
mehr nehmen muß.

Jch erinnere mich hiebey eines alten Staͤdtgens,
worin die Buͤrgerſchaft, oder Namens ihrer der Kayſer,
dem Magiſtrate den Weinkeller und die Apotheke ange-
wieſen hatte, um aus dem Gewinnſte von beyden, alles
was zu ſeiner und der Stadt Nothdurft erfordert werden
wuͤrde, zu beſtreiten. Eine Zeitlang gieng dieſes vortref-
lich, und der Vortheil von Aquavit und Rhabarber reichte
allein hin, den Buͤrgemeiſter und ſechzehn Rathsherrn zu
unterhalten. Allein nach und nach erlaubten dieſe Herrn
einigen Vettern und Freunden auch Aquavit zu ſchenken,
und ein Laxiertraͤnkgen zu verkaufen, und nun mußten
die armen Buͤrger Schoß und Steuer geben, um die
Luͤcke zu fuͤllen, welche durch dieſe Verguͤnſtigung in der
Stadtkaſſe entſtand. Die Buͤrger wollten ſich zwar an-
fangs widerſetzen, und behaupten, die Weinſchenke und

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[171/0183] an ſeinen Nachbar mit der Gerichtsbarkeit. mehr muß man ihnen geben, und ohne einen ſolchen beey- deten Mann laͤßt ſich im H. R. Reich keine Juſtitz pfle- gen. Nach dem Geiſte der deutſchen Vrrfaſſung hat man dem Landesherrn gewiſſe beſtimmte Sporteln und Stra- fen zugeſtanden, um davon das hohe und niedrige Ju- ſtitz-Jnventarium zu unterhalten; und es iſt eigentlich wider dieſen urſpruͤnglichen Contract, wenn man dem Landesherrn die Beſchwerden laſſen, und die Vortheile entziehen will. Wenn wir alle ſo verfahren, und alle Bruchfaͤlle in unſern Doͤrfern an uns ziehen wollen, ſo wird im Grunde nichts weiter dabey herauskommen, als daß unſre Hin- terſaſſen und Leibeigne dasjenige auf eine andre Art er- ſetzen muͤſſen, was ſolchergeſtalt dem gemeinen Ober- haupte entzogen wird. Denn dieſes will doch eben ſo gut wie unſer Pfarrer unterhalten ſeyn, der, wenn jeder von uns ſeinen Capellan haͤlt, von unſern Leuten ſo viel mehr nehmen muß. Jch erinnere mich hiebey eines alten Staͤdtgens, worin die Buͤrgerſchaft, oder Namens ihrer der Kayſer, dem Magiſtrate den Weinkeller und die Apotheke ange- wieſen hatte, um aus dem Gewinnſte von beyden, alles was zu ſeiner und der Stadt Nothdurft erfordert werden wuͤrde, zu beſtreiten. Eine Zeitlang gieng dieſes vortref- lich, und der Vortheil von Aquavit und Rhabarber reichte allein hin, den Buͤrgemeiſter und ſechzehn Rathsherrn zu unterhalten. Allein nach und nach erlaubten dieſe Herrn einigen Vettern und Freunden auch Aquavit zu ſchenken, und ein Laxiertraͤnkgen zu verkaufen, und nun mußten die armen Buͤrger Schoß und Steuer geben, um die Luͤcke zu fuͤllen, welche durch dieſe Verguͤnſtigung in der Stadtkaſſe entſtand. Die Buͤrger wollten ſich zwar an- fangs widerſetzen, und behaupten, die Weinſchenke und die

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/183>, abgerufen am 28.04.2024.