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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ein Denkmal der deutschen Freyheitsliebe.
und Dienstpflicht verwandt waren, und unter solchen, nicht
aber unter Lehn- und Dienstleuten war der Proceß. Drit-
tens
war das Recht, wie es ein jeder von den Edlen in
dergleichen Fällen, worin er seine Autonomie hatte, ge-
halten wissen wollte, so wenig ein Gegenstand der Reichs-
ständischen Versammlung, als die Autonomie eines jetzi-
gen Souverains, der Gegenstand einer Versammlung
aller Souverainen seyn würde; es konnte daher so we-
nig durch die Mehrheit als die Uebereinstimmung aller
übrigen festgesetzet werden, oder die Uebrigen hätten sich
mit einander wie in Pohlen wider den Einen vereinigen
und ihn mit den Waffen nöthigen müssen, sich ihren Aus-
sprüchen zu unterwerfen. Dann aber wäre dasjenige,
was Otto durch einen Zweykampf entscheiden lassen
wollte, durch einen Krieg entschieden worden; oder der
Schwächere hätte aus Furcht die Macht für Recht erken-
nen müssen. Viertens waren schon eine Menge von Hof-
rechten oder Particulairgesetzen vorhanden *), in deren
einem der Fall von den Hofesgenossen so, und in dem
andern anders entschieden war; der König mochte aber
diese Verschiedenheit nicht nach Willkühr abändern, ohne
der Autonomie eines jeden Hofes vorzugreifen; und dann
würde es Fünftens noch immer eine Frage geblieben seyn,
ob ein solches Gesetz auf einen vergangenen Fall gezogen
werden konnte?

Diese Schwierigkeiten, welche aus der Sache selbst
hervor gehen, und aus der damaligen Sitte jedem ver-
nünftigen Manne bekannt waren, hielten so wohl den
König als die Reichsstände ab, die Streitfrage durch ein

allgemei-
*) Denn eine varietas Legum gab zu dem Streite Anlaß.
VVITICH l. c.

Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe.
und Dienſtpflicht verwandt waren, und unter ſolchen, nicht
aber unter Lehn- und Dienſtleuten war der Proceß. Drit-
tens
war das Recht, wie es ein jeder von den Edlen in
dergleichen Faͤllen, worin er ſeine Autonomie hatte, ge-
halten wiſſen wollte, ſo wenig ein Gegenſtand der Reichs-
ſtaͤndiſchen Verſammlung, als die Autonomie eines jetzi-
gen Souverains, der Gegenſtand einer Verſammlung
aller Souverainen ſeyn wuͤrde; es konnte daher ſo we-
nig durch die Mehrheit als die Uebereinſtimmung aller
uͤbrigen feſtgeſetzet werden, oder die Uebrigen haͤtten ſich
mit einander wie in Pohlen wider den Einen vereinigen
und ihn mit den Waffen noͤthigen muͤſſen, ſich ihren Aus-
ſpruͤchen zu unterwerfen. Dann aber waͤre dasjenige,
was Otto durch einen Zweykampf entſcheiden laſſen
wollte, durch einen Krieg entſchieden worden; oder der
Schwaͤchere haͤtte aus Furcht die Macht fuͤr Recht erken-
nen muͤſſen. Viertens waren ſchon eine Menge von Hof-
rechten oder Particulairgeſetzen vorhanden *), in deren
einem der Fall von den Hofesgenoſſen ſo, und in dem
andern anders entſchieden war; der Koͤnig mochte aber
dieſe Verſchiedenheit nicht nach Willkuͤhr abaͤndern, ohne
der Autonomie eines jeden Hofes vorzugreifen; und dann
wuͤrde es Fuͤnftens noch immer eine Frage geblieben ſeyn,
ob ein ſolches Geſetz auf einen vergangenen Fall gezogen
werden konnte?

Dieſe Schwierigkeiten, welche aus der Sache ſelbſt
hervor gehen, und aus der damaligen Sitte jedem ver-
nuͤnftigen Manne bekannt waren, hielten ſo wohl den
Koͤnig als die Reichsſtaͤnde ab, die Streitfrage durch ein

allgemei-
*) Denn eine varietas Legum gab zu dem Streite Anlaß.
VVITICH l. c.
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[160/0172] Ein Denkmal der deutſchen Freyheitsliebe. und Dienſtpflicht verwandt waren, und unter ſolchen, nicht aber unter Lehn- und Dienſtleuten war der Proceß. Drit- tens war das Recht, wie es ein jeder von den Edlen in dergleichen Faͤllen, worin er ſeine Autonomie hatte, ge- halten wiſſen wollte, ſo wenig ein Gegenſtand der Reichs- ſtaͤndiſchen Verſammlung, als die Autonomie eines jetzi- gen Souverains, der Gegenſtand einer Verſammlung aller Souverainen ſeyn wuͤrde; es konnte daher ſo we- nig durch die Mehrheit als die Uebereinſtimmung aller uͤbrigen feſtgeſetzet werden, oder die Uebrigen haͤtten ſich mit einander wie in Pohlen wider den Einen vereinigen und ihn mit den Waffen noͤthigen muͤſſen, ſich ihren Aus- ſpruͤchen zu unterwerfen. Dann aber waͤre dasjenige, was Otto durch einen Zweykampf entſcheiden laſſen wollte, durch einen Krieg entſchieden worden; oder der Schwaͤchere haͤtte aus Furcht die Macht fuͤr Recht erken- nen muͤſſen. Viertens waren ſchon eine Menge von Hof- rechten oder Particulairgeſetzen vorhanden *), in deren einem der Fall von den Hofesgenoſſen ſo, und in dem andern anders entſchieden war; der Koͤnig mochte aber dieſe Verſchiedenheit nicht nach Willkuͤhr abaͤndern, ohne der Autonomie eines jeden Hofes vorzugreifen; und dann wuͤrde es Fuͤnftens noch immer eine Frage geblieben ſeyn, ob ein ſolches Geſetz auf einen vergangenen Fall gezogen werden konnte? Dieſe Schwierigkeiten, welche aus der Sache ſelbſt hervor gehen, und aus der damaligen Sitte jedem ver- nuͤnftigen Manne bekannt waren, hielten ſo wohl den Koͤnig als die Reichsſtaͤnde ab, die Streitfrage durch ein allgemei- *) Denn eine varietas Legum gab zu dem Streite Anlaß. VVITICH l. c.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/172>, abgerufen am 27.04.2024.