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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der deutschen Reichsgeschichte.

Gleichwohl liegt es einem jeden klar vor Augen, daß
sich mit dem Landfrieden von 1495 ein ganz neues Reich
angefangen, und das alte, man mag es nun mit Carl
dem Großen oder Ludewig dem Deutschen oder auch noch
später anfangen lassen, völlig aufgelöset habe. Der wahre
Publicist, wenn er die Rechte des Kaysers und der Reichs-
stände bestimmen will, geht nicht über jenen Landfrieden
hinaus, und der Staatsmann benutzt die voraufgehen-
den Begebenheiten höchstens in der Maaße, wie Mon-
tesquieu
die alten Gesetze, und Winkelmann die halb-
verwitterten Bruchstücke der Kunst benutzet haben; meh-
rentheils nur zur Philosophie der Geschichte.

Meiner Meinung nach müßte eine Geschichte unsers
heutigen deutschen Reichs mit dieser großen und glückli-
chen Conföderation, welche unter dem Namen des Maxi-
milianischen Landfriedens bekannt ist, anfangen, und
dabey der Anfang und der Fortgang, so wie die gänzli-
che Zertrümmerung des ältern Reichs, in eine einzige
Handlung, in eine einzige Darstellung verwandelt wer-
den. Aus der letztern ließe der Geschichtschreiber erst die
Nothwendigkeit dieser neuen Vereinigung hervorgehen,
zeigte dann ihre Formel, und brächte nun alles übrige,
was seit dem vorgefallen ist, als Verbesserungen und
Verschlimmerungen des neuen Systems bey.

Das alte Reich endigte sich mit Provincial-Landfrie-
den und Verbindungen, welche zuletzt so viel kleine von
einander unabhängige Staaten hervorgebracht haben
würden, als dergleichen Bündnisse vorhanden waren;
oder diese hätten mit offenbarer Gewalt der Waffen zer-
trennet und überwunden werden müssen. Zu dem neuen
hingegen conföderiren sich erst einige Fürsten und Stände,
diese laden andre zu sich, bis sie zuletzt sich alle zu einem

gemein-
der deutſchen Reichsgeſchichte.

Gleichwohl liegt es einem jeden klar vor Augen, daß
ſich mit dem Landfrieden von 1495 ein ganz neues Reich
angefangen, und das alte, man mag es nun mit Carl
dem Großen oder Ludewig dem Deutſchen oder auch noch
ſpaͤter anfangen laſſen, voͤllig aufgeloͤſet habe. Der wahre
Publiciſt, wenn er die Rechte des Kayſers und der Reichs-
ſtaͤnde beſtimmen will, geht nicht uͤber jenen Landfrieden
hinaus, und der Staatsmann benutzt die voraufgehen-
den Begebenheiten hoͤchſtens in der Maaße, wie Mon-
tesquieu
die alten Geſetze, und Winkelmann die halb-
verwitterten Bruchſtuͤcke der Kunſt benutzet haben; meh-
rentheils nur zur Philoſophie der Geſchichte.

Meiner Meinung nach muͤßte eine Geſchichte unſers
heutigen deutſchen Reichs mit dieſer großen und gluͤckli-
chen Confoͤderation, welche unter dem Namen des Maxi-
milianiſchen Landfriedens bekannt iſt, anfangen, und
dabey der Anfang und der Fortgang, ſo wie die gaͤnzli-
che Zertruͤmmerung des aͤltern Reichs, in eine einzige
Handlung, in eine einzige Darſtellung verwandelt wer-
den. Aus der letztern ließe der Geſchichtſchreiber erſt die
Nothwendigkeit dieſer neuen Vereinigung hervorgehen,
zeigte dann ihre Formel, und braͤchte nun alles uͤbrige,
was ſeit dem vorgefallen iſt, als Verbeſſerungen und
Verſchlimmerungen des neuen Syſtems bey.

Das alte Reich endigte ſich mit Provincial-Landfrie-
den und Verbindungen, welche zuletzt ſo viel kleine von
einander unabhaͤngige Staaten hervorgebracht haben
wuͤrden, als dergleichen Buͤndniſſe vorhanden waren;
oder dieſe haͤtten mit offenbarer Gewalt der Waffen zer-
trennet und uͤberwunden werden muͤſſen. Zu dem neuen
hingegen confoͤderiren ſich erſt einige Fuͤrſten und Staͤnde,
dieſe laden andre zu ſich, bis ſie zuletzt ſich alle zu einem

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[155/0167] der deutſchen Reichsgeſchichte. Gleichwohl liegt es einem jeden klar vor Augen, daß ſich mit dem Landfrieden von 1495 ein ganz neues Reich angefangen, und das alte, man mag es nun mit Carl dem Großen oder Ludewig dem Deutſchen oder auch noch ſpaͤter anfangen laſſen, voͤllig aufgeloͤſet habe. Der wahre Publiciſt, wenn er die Rechte des Kayſers und der Reichs- ſtaͤnde beſtimmen will, geht nicht uͤber jenen Landfrieden hinaus, und der Staatsmann benutzt die voraufgehen- den Begebenheiten hoͤchſtens in der Maaße, wie Mon- tesquieu die alten Geſetze, und Winkelmann die halb- verwitterten Bruchſtuͤcke der Kunſt benutzet haben; meh- rentheils nur zur Philoſophie der Geſchichte. Meiner Meinung nach muͤßte eine Geſchichte unſers heutigen deutſchen Reichs mit dieſer großen und gluͤckli- chen Confoͤderation, welche unter dem Namen des Maxi- milianiſchen Landfriedens bekannt iſt, anfangen, und dabey der Anfang und der Fortgang, ſo wie die gaͤnzli- che Zertruͤmmerung des aͤltern Reichs, in eine einzige Handlung, in eine einzige Darſtellung verwandelt wer- den. Aus der letztern ließe der Geſchichtſchreiber erſt die Nothwendigkeit dieſer neuen Vereinigung hervorgehen, zeigte dann ihre Formel, und braͤchte nun alles uͤbrige, was ſeit dem vorgefallen iſt, als Verbeſſerungen und Verſchlimmerungen des neuen Syſtems bey. Das alte Reich endigte ſich mit Provincial-Landfrie- den und Verbindungen, welche zuletzt ſo viel kleine von einander unabhaͤngige Staaten hervorgebracht haben wuͤrden, als dergleichen Buͤndniſſe vorhanden waren; oder dieſe haͤtten mit offenbarer Gewalt der Waffen zer- trennet und uͤberwunden werden muͤſſen. Zu dem neuen hingegen confoͤderiren ſich erſt einige Fuͤrſten und Staͤnde, dieſe laden andre zu ſich, bis ſie zuletzt ſich alle zu einem gemein-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/167>, abgerufen am 28.04.2024.