Jch bin ein Advocat, und habe schon manche. Sache vor Gerichte vertheidigt, aber unter allen noch keine so ungerecht gefunden, daß ich solche abzuweisen nöthig erachtet hätte. Gleichwohl ist meine Parthey mehr als einmal in alle Kosten verdammt worden, und ich habe daraus schließen müssen, daß ich mich mit Vertheidigung einer ungerechten Sache abgegeben habe. Dieses beun- ruhiget mich, und ich möchte daher gern wissen, wie weit die Gränzen meiner Pflicht gehen?
Ein alter guter Freund sagte mir, der Advocat ver- hielte sich wie ein Soldat, der die Sache seines Herrn aufs beste vertheidigen müßte, ohne sich um die Gerech- tigkeit derselben zu bekümmern; so wie die raison de guerre es mit sich brächte, daß man gegen seinen Feind kein Gift gebrauchen, und keine Patroullen ermorden dürfte: so brächte es auch die raison du barreau mit sich, daß man nur keine falsche Urkunden und falsche Zeugnisse gebrau- chen, und wenn die Parthey des Krieges müde wäre, die- selbe nicht vom Frieden abrathen müßte, weiter gienge die Pflicht des Advocaten nicht.
Allein diese Vergleichung ist meines Ermessens nicht völlig genau. Es sind höhere Ursachen, warum der Sol- dat sich nicht um die Gerechtigkeit der Sache, wofür er sein Leben wagt, bekümmern darf; und daß einer sich keiner Betrügerey schuldig machen, und keine Partheyen die den Frieden suchen, gegen einander verhetzen dürfe, ist eine gemeine Pflicht, die allen Menschen obliegt. Je-
ne
Gewiſſensfrage eines Advokaten.
XXXIX. Gewiſſensfrage eines Advokaten.
Jch bin ein Advocat, und habe ſchon manche. Sache vor Gerichte vertheidigt, aber unter allen noch keine ſo ungerecht gefunden, daß ich ſolche abzuweiſen noͤthig erachtet haͤtte. Gleichwohl iſt meine Parthey mehr als einmal in alle Koſten verdammt worden, und ich habe daraus ſchließen muͤſſen, daß ich mich mit Vertheidigung einer ungerechten Sache abgegeben habe. Dieſes beun- ruhiget mich, und ich moͤchte daher gern wiſſen, wie weit die Graͤnzen meiner Pflicht gehen?
Ein alter guter Freund ſagte mir, der Advocat ver- hielte ſich wie ein Soldat, der die Sache ſeines Herrn aufs beſte vertheidigen muͤßte, ohne ſich um die Gerech- tigkeit derſelben zu bekuͤmmern; ſo wie die raiſon de guerre es mit ſich braͤchte, daß man gegen ſeinen Feind kein Gift gebrauchen, und keine Patroullen ermorden duͤrfte: ſo braͤchte es auch die raiſon du barreau mit ſich, daß man nur keine falſche Urkunden und falſche Zeugniſſe gebrau- chen, und wenn die Parthey des Krieges muͤde waͤre, die- ſelbe nicht vom Frieden abrathen muͤßte, weiter gienge die Pflicht des Advocaten nicht.
Allein dieſe Vergleichung iſt meines Ermeſſens nicht voͤllig genau. Es ſind hoͤhere Urſachen, warum der Sol- dat ſich nicht um die Gerechtigkeit der Sache, wofuͤr er ſein Leben wagt, bekuͤmmern darf; und daß einer ſich keiner Betruͤgerey ſchuldig machen, und keine Partheyen die den Frieden ſuchen, gegen einander verhetzen duͤrfe, iſt eine gemeine Pflicht, die allen Menſchen obliegt. Je-
ne
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Gewiſſensfrage eines Advokaten.
XXXIX.
Gewiſſensfrage eines Advokaten.
Jch bin ein Advocat, und habe ſchon manche. Sache
vor Gerichte vertheidigt, aber unter allen noch keine
ſo ungerecht gefunden, daß ich ſolche abzuweiſen noͤthig
erachtet haͤtte. Gleichwohl iſt meine Parthey mehr als
einmal in alle Koſten verdammt worden, und ich habe
daraus ſchließen muͤſſen, daß ich mich mit Vertheidigung
einer ungerechten Sache abgegeben habe. Dieſes beun-
ruhiget mich, und ich moͤchte daher gern wiſſen, wie weit
die Graͤnzen meiner Pflicht gehen?
Ein alter guter Freund ſagte mir, der Advocat ver-
hielte ſich wie ein Soldat, der die Sache ſeines Herrn
aufs beſte vertheidigen muͤßte, ohne ſich um die Gerech-
tigkeit derſelben zu bekuͤmmern; ſo wie die raiſon de guerre
es mit ſich braͤchte, daß man gegen ſeinen Feind kein Gift
gebrauchen, und keine Patroullen ermorden duͤrfte: ſo
braͤchte es auch die raiſon du barreau mit ſich, daß man
nur keine falſche Urkunden und falſche Zeugniſſe gebrau-
chen, und wenn die Parthey des Krieges muͤde waͤre, die-
ſelbe nicht vom Frieden abrathen muͤßte, weiter gienge
die Pflicht des Advocaten nicht.
Allein dieſe Vergleichung iſt meines Ermeſſens nicht
voͤllig genau. Es ſind hoͤhere Urſachen, warum der Sol-
dat ſich nicht um die Gerechtigkeit der Sache, wofuͤr er
ſein Leben wagt, bekuͤmmern darf; und daß einer ſich
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/164>, abgerufen am 23.11.2024.
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