zen den die Dichtkunst bringt, und der Vortheil, wel- chen die menschliche Glückseligkeit davon zieht, ist also zu jederzeit das Maaß gewesen, wonach man ihren Werth bestimmet hat, und das Kriegeslied hat bey einer krie- gerischen Nation so viel gegolten als ein Liebeslied, wie das letztere noch dazu diente, Helden zu erwecken.
Jch erinnere mich hier eines jungen Neubauers, der ein Mohr abtrocknete, und eine Menge von alten Wur- zeln im Schweiße seines Angesichts ausrodete. Schon oft war er in der Versuchung gewesen, dem Heer seines Königs zu folgen, und diese seine Unternehmung zu ver- lassen. Ermüdet von der Arbeit saß er manchen Abend auf der ausgerodeten Wurzel eines alten Eichenstammes, auf seinen Spaden gelehnt, und dachte über sein Schick- sal. Aber wenn er nun zu Hause kam: so fand er sein gutes Weib, welche ihn mit offenen Armen, und an ei- nem wohlbereiteten Tische erwartete. Sie brachte ihm frisches Wasser zum waschen, setzte ihm den Stuhl, reichte ihm seinen Becher, und legte ihm den besten Bis- sen vor. Dann lächelte ihm sein Erstgebohrner Wonne in die Seele, und er segnete ihn und sein Weib, die ihn so glücklich machten. Jede Mühseligkeit des Tages ver- lohr sich bey diesem süßen Genuß, und er eilte des an- dern Morgens mit neuem Muthe zur Arbeit, um sich wiederum einen solchen Abend zu verschaffen. Mit Ent- zücken übersahe er dann, so oft er ausruhete den Platz, welchen er bereits gewonnen und urbar gemacht hatte, überschlug die Frucht, die er darauf ziehen würde, wählte den Platz wo seines Weibes Leibzucht stehen sollte, maß mit seinen Augen den Garten den er dazu nach der Mit- tagsseite bestimmete, grub den Graben um ihre Wiese tiefer aus, und hofte er würde auch Fische halten kön- nen. Und das immer mit Erinnerung der Freude, die
er
An einen jungen Dichter.
zen den die Dichtkunſt bringt, und der Vortheil, wel- chen die menſchliche Gluͤckſeligkeit davon zieht, iſt alſo zu jederzeit das Maaß geweſen, wonach man ihren Werth beſtimmet hat, und das Kriegeslied hat bey einer krie- geriſchen Nation ſo viel gegolten als ein Liebeslied, wie das letztere noch dazu diente, Helden zu erwecken.
Jch erinnere mich hier eines jungen Neubauers, der ein Mohr abtrocknete, und eine Menge von alten Wur- zeln im Schweiße ſeines Angeſichts ausrodete. Schon oft war er in der Verſuchung geweſen, dem Heer ſeines Koͤnigs zu folgen, und dieſe ſeine Unternehmung zu ver- laſſen. Ermuͤdet von der Arbeit ſaß er manchen Abend auf der ausgerodeten Wurzel eines alten Eichenſtammes, auf ſeinen Spaden gelehnt, und dachte uͤber ſein Schick- ſal. Aber wenn er nun zu Hauſe kam: ſo fand er ſein gutes Weib, welche ihn mit offenen Armen, und an ei- nem wohlbereiteten Tiſche erwartete. Sie brachte ihm friſches Waſſer zum waſchen, ſetzte ihm den Stuhl, reichte ihm ſeinen Becher, und legte ihm den beſten Biſ- ſen vor. Dann laͤchelte ihm ſein Erſtgebohrner Wonne in die Seele, und er ſegnete ihn und ſein Weib, die ihn ſo gluͤcklich machten. Jede Muͤhſeligkeit des Tages ver- lohr ſich bey dieſem ſuͤßen Genuß, und er eilte des an- dern Morgens mit neuem Muthe zur Arbeit, um ſich wiederum einen ſolchen Abend zu verſchaffen. Mit Ent- zuͤcken uͤberſahe er dann, ſo oft er ausruhete den Platz, welchen er bereits gewonnen und urbar gemacht hatte, uͤberſchlug die Frucht, die er darauf ziehen wuͤrde, waͤhlte den Platz wo ſeines Weibes Leibzucht ſtehen ſollte, maß mit ſeinen Augen den Garten den er dazu nach der Mit- tagsſeite beſtimmete, grub den Graben um ihre Wieſe tiefer aus, und hofte er wuͤrde auch Fiſche halten koͤn- nen. Und das immer mit Erinnerung der Freude, die
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An einen jungen Dichter.
zen den die Dichtkunſt bringt, und der Vortheil, wel-
chen die menſchliche Gluͤckſeligkeit davon zieht, iſt alſo zu
jederzeit das Maaß geweſen, wonach man ihren Werth
beſtimmet hat, und das Kriegeslied hat bey einer krie-
geriſchen Nation ſo viel gegolten als ein Liebeslied, wie
das letztere noch dazu diente, Helden zu erwecken.
Jch erinnere mich hier eines jungen Neubauers, der
ein Mohr abtrocknete, und eine Menge von alten Wur-
zeln im Schweiße ſeines Angeſichts ausrodete. Schon
oft war er in der Verſuchung geweſen, dem Heer ſeines
Koͤnigs zu folgen, und dieſe ſeine Unternehmung zu ver-
laſſen. Ermuͤdet von der Arbeit ſaß er manchen Abend
auf der ausgerodeten Wurzel eines alten Eichenſtammes,
auf ſeinen Spaden gelehnt, und dachte uͤber ſein Schick-
ſal. Aber wenn er nun zu Hauſe kam: ſo fand er ſein
gutes Weib, welche ihn mit offenen Armen, und an ei-
nem wohlbereiteten Tiſche erwartete. Sie brachte ihm
friſches Waſſer zum waſchen, ſetzte ihm den Stuhl,
reichte ihm ſeinen Becher, und legte ihm den beſten Biſ-
ſen vor. Dann laͤchelte ihm ſein Erſtgebohrner Wonne
in die Seele, und er ſegnete ihn und ſein Weib, die ihn
ſo gluͤcklich machten. Jede Muͤhſeligkeit des Tages ver-
lohr ſich bey dieſem ſuͤßen Genuß, und er eilte des an-
dern Morgens mit neuem Muthe zur Arbeit, um ſich
wiederum einen ſolchen Abend zu verſchaffen. Mit Ent-
zuͤcken uͤberſahe er dann, ſo oft er ausruhete den Platz,
welchen er bereits gewonnen und urbar gemacht hatte,
uͤberſchlug die Frucht, die er darauf ziehen wuͤrde, waͤhlte
den Platz wo ſeines Weibes Leibzucht ſtehen ſollte, maß
mit ſeinen Augen den Garten den er dazu nach der Mit-
tagsſeite beſtimmete, grub den Graben um ihre Wieſe
tiefer aus, und hofte er wuͤrde auch Fiſche halten koͤn-
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/104>, abgerufen am 16.07.2024.
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