XX. Sollte man nicht jedem Städtgen seine be- sondre politische Verfassung geben?
Den schädlichen Einfluß unser einförmigen philosophi- schen Theorien auf die heutige Gesetzgebung, haben wir zu einer andern Zeit gesehen. Ihnen und der Bequem- lichkeit der Herrn beym Generaldepartement haben wir es allein zu danken, daß wir so viele allgemeine Verordnun- gen haben, die entweder gar nicht, oder doch nur so in Bausch und Bogen befolget werden. Daß sie aber auch das ganze menschliche Geschlecht immer einförmiger machen, ihm seine wahre Stärke rauben, und in den Werken der Natur, wie in den Werken der Kunst, manches Genie ersticken, solches ist, so wahr es auch ist, noch von weni- gen beherziget worden; und doch hätten diejenigen, welche den Menschen in seine erste Wildheit zurückwünschen, um ihn in seiner Originalstärke zu sehen, mehr als eine Gele- genheit gehabt, dieses zu bemerken.
Der Mensch ist zur Gesellschaft bestimmt, und es fruch- tet wenig, ihn in seinem einzelnen Zustande zu betrachten. Der rohe Einsiedler mag mit der Keule in der Hand und mit einer Löwenhaut bedeckt, noch so stark, glücklich und groß seyn; so bleibet er doch immer ein armseliges Ge- schöpf, in Vergleichung der grossen Gesellschaften, die sich überall wider ihn verbunden haben, und ewig wider ihn verbinden werden. Das Recht, nach seiner eignen Theo- rie zu leben, dienet ihm also zu nichts. Allein, ob es nicht eine grössere Mannigfaltigkeit in den menschlichen Tugenden, und eine stärkere Entwickelung der Seelenkräfte würken
würde
Sollte man nicht jedem Staͤdtgen
XX. Sollte man nicht jedem Staͤdtgen ſeine be- ſondre politiſche Verfaſſung geben?
Den ſchaͤdlichen Einfluß unſer einfoͤrmigen philoſophi- ſchen Theorien auf die heutige Geſetzgebung, haben wir zu einer andern Zeit geſehen. Ihnen und der Bequem- lichkeit der Herrn beym Generaldepartement haben wir es allein zu danken, daß wir ſo viele allgemeine Verordnun- gen haben, die entweder gar nicht, oder doch nur ſo in Bauſch und Bogen befolget werden. Daß ſie aber auch das ganze menſchliche Geſchlecht immer einfoͤrmiger machen, ihm ſeine wahre Staͤrke rauben, und in den Werken der Natur, wie in den Werken der Kunſt, manches Genie erſticken, ſolches iſt, ſo wahr es auch iſt, noch von weni- gen beherziget worden; und doch haͤtten diejenigen, welche den Menſchen in ſeine erſte Wildheit zuruͤckwuͤnſchen, um ihn in ſeiner Originalſtaͤrke zu ſehen, mehr als eine Gele- genheit gehabt, dieſes zu bemerken.
Der Menſch iſt zur Geſellſchaft beſtimmt, und es fruch- tet wenig, ihn in ſeinem einzelnen Zuſtande zu betrachten. Der rohe Einſiedler mag mit der Keule in der Hand und mit einer Loͤwenhaut bedeckt, noch ſo ſtark, gluͤcklich und groß ſeyn; ſo bleibet er doch immer ein armſeliges Ge- ſchoͤpf, in Vergleichung der groſſen Geſellſchaften, die ſich uͤberall wider ihn verbunden haben, und ewig wider ihn verbinden werden. Das Recht, nach ſeiner eignen Theo- rie zu leben, dienet ihm alſo zu nichts. Allein, ob es nicht eine groͤſſere Mannigfaltigkeit in den menſchlichen Tugenden, und eine ſtaͤrkere Entwickelung der Seelenkraͤfte wuͤrken
wuͤrde
<TEI><text><body><pbfacs="#f0080"n="66"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sollte man nicht jedem Staͤdtgen</hi></fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XX.</hi><lb/>
Sollte man nicht jedem Staͤdtgen ſeine be-<lb/>ſondre politiſche Verfaſſung geben?</hi></head><lb/><p>Den ſchaͤdlichen Einfluß unſer einfoͤrmigen philoſophi-<lb/>ſchen Theorien auf die heutige Geſetzgebung, haben<lb/>
wir zu einer andern Zeit geſehen. Ihnen und der Bequem-<lb/>
lichkeit der Herrn beym Generaldepartement haben wir es<lb/>
allein zu danken, daß wir ſo viele allgemeine Verordnun-<lb/>
gen haben, die entweder gar nicht, oder doch nur ſo in<lb/>
Bauſch und Bogen befolget werden. Daß ſie aber auch<lb/>
das ganze menſchliche Geſchlecht immer einfoͤrmiger machen,<lb/>
ihm ſeine wahre Staͤrke rauben, und in den Werken der<lb/>
Natur, wie in den Werken der Kunſt, manches Genie<lb/>
erſticken, ſolches iſt, ſo wahr es auch iſt, noch von weni-<lb/>
gen beherziget worden; und doch haͤtten diejenigen, welche<lb/>
den Menſchen in ſeine erſte Wildheit zuruͤckwuͤnſchen, um<lb/>
ihn in ſeiner Originalſtaͤrke zu ſehen, mehr als eine Gele-<lb/>
genheit gehabt, dieſes zu bemerken.</p><lb/><p>Der Menſch iſt zur Geſellſchaft beſtimmt, und es fruch-<lb/>
tet wenig, ihn in ſeinem einzelnen Zuſtande zu betrachten.<lb/>
Der rohe Einſiedler mag mit der Keule in der Hand und<lb/>
mit einer Loͤwenhaut bedeckt, noch ſo ſtark, gluͤcklich und<lb/>
groß ſeyn; ſo bleibet er doch immer ein armſeliges Ge-<lb/>ſchoͤpf, in Vergleichung der groſſen Geſellſchaften, die ſich<lb/>
uͤberall wider ihn verbunden haben, und ewig wider ihn<lb/>
verbinden werden. Das Recht, nach ſeiner eignen Theo-<lb/>
rie zu leben, dienet ihm alſo zu nichts. Allein, ob es nicht<lb/>
eine groͤſſere Mannigfaltigkeit in den menſchlichen Tugenden,<lb/>
und eine ſtaͤrkere Entwickelung der Seelenkraͤfte wuͤrken<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wuͤrde</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[66/0080]
Sollte man nicht jedem Staͤdtgen
XX.
Sollte man nicht jedem Staͤdtgen ſeine be-
ſondre politiſche Verfaſſung geben?
Den ſchaͤdlichen Einfluß unſer einfoͤrmigen philoſophi-
ſchen Theorien auf die heutige Geſetzgebung, haben
wir zu einer andern Zeit geſehen. Ihnen und der Bequem-
lichkeit der Herrn beym Generaldepartement haben wir es
allein zu danken, daß wir ſo viele allgemeine Verordnun-
gen haben, die entweder gar nicht, oder doch nur ſo in
Bauſch und Bogen befolget werden. Daß ſie aber auch
das ganze menſchliche Geſchlecht immer einfoͤrmiger machen,
ihm ſeine wahre Staͤrke rauben, und in den Werken der
Natur, wie in den Werken der Kunſt, manches Genie
erſticken, ſolches iſt, ſo wahr es auch iſt, noch von weni-
gen beherziget worden; und doch haͤtten diejenigen, welche
den Menſchen in ſeine erſte Wildheit zuruͤckwuͤnſchen, um
ihn in ſeiner Originalſtaͤrke zu ſehen, mehr als eine Gele-
genheit gehabt, dieſes zu bemerken.
Der Menſch iſt zur Geſellſchaft beſtimmt, und es fruch-
tet wenig, ihn in ſeinem einzelnen Zuſtande zu betrachten.
Der rohe Einſiedler mag mit der Keule in der Hand und
mit einer Loͤwenhaut bedeckt, noch ſo ſtark, gluͤcklich und
groß ſeyn; ſo bleibet er doch immer ein armſeliges Ge-
ſchoͤpf, in Vergleichung der groſſen Geſellſchaften, die ſich
uͤberall wider ihn verbunden haben, und ewig wider ihn
verbinden werden. Das Recht, nach ſeiner eignen Theo-
rie zu leben, dienet ihm alſo zu nichts. Allein, ob es nicht
eine groͤſſere Mannigfaltigkeit in den menſchlichen Tugenden,
und eine ſtaͤrkere Entwickelung der Seelenkraͤfte wuͤrken
wuͤrde
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/80>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.