Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.Vor die Empfindsamen. gen welchen uns ein gutes Frühjahr verspricht, für die all-gemeine Freude aller Geschöpfe, die auf diesen Segen war- ten -- und diese mächtige Stärkung athme ich mit jeden Lüftgen und Düftgen ein; ich liebe die Kühlung des Abends als eine wohlthätige Erfrischung nach des Tages Last und Hitze. Meine alte Mutter pflegte und wartete ich so lange als sie krank war, und wie Gott sie zu sich nahm, dankte ich ihm freudig, daß er sie vor mehrern Trübsalen in Gna- den bewahret hätte; wo es brennet, da rette ich; und zu meinem Bruder sagte ich, als er zu Felde gieng, Junge halte dich wohl, und komme gesund wieder; fiele er ins Wasser: so sprünge ich ihm fluchs nach und holte ihn her- aus. Das sind so meine Empfindungen, und diese finde ich bey allen Menschen auf dem Lande, wo die Natur noch am wenigsten verdorben ist. Aber so eine Empfindsamkeit, wo man immer weint, bebt, zittert, erstarrt, und weder Hand noch Fuß rührt, wo man die Natur nur zum schö- nen Spielwerk gebraucht, die scheint mir ein Fieber der Seele zu seyn, wogegen bey Zeiten etwas gebraucht wer- den muß, wenn das gute Kind nicht frühzeitig ins Grab zittern soll. Gott sey mir gnädig, wann sie einmal ver- liebt werden sollte. In Zärtlichkeit aufgelöst, wird sie den beständigen Kreislauf in allen Adern ihres Geliebten haben wollen. Unser Leibarzt, ein geschickter und trockner Mann, sagt, es käme von nichts, als von dem vielen Lesen; und sie sollte wohl besser werden, wenn sie sich allmälig zur Landarbeit gewöhnte. Aber das will die liebe Patientin nicht, sie ist ohnehin echauffirt genug, wie sie sagt. Ey was echauffirt, rief er jüngst; das Echauffement ist eine Aufforderung zur Arbeit, und eine hülfreiche Bemü- hung der Natur, diejenigen Theile zu stärken, welche das mehrste bey der Arbeit verschwenden müssen. Das Echauf- fement ist am stärksten in der Erndte, und die Zeit bezeich- net
Vor die Empfindſamen. gen welchen uns ein gutes Fruͤhjahr verſpricht, fuͤr die all-gemeine Freude aller Geſchoͤpfe, die auf dieſen Segen war- ten — und dieſe maͤchtige Staͤrkung athme ich mit jeden Luͤftgen und Duͤftgen ein; ich liebe die Kuͤhlung des Abends als eine wohlthaͤtige Erfriſchung nach des Tages Laſt und Hitze. Meine alte Mutter pflegte und wartete ich ſo lange als ſie krank war, und wie Gott ſie zu ſich nahm, dankte ich ihm freudig, daß er ſie vor mehrern Truͤbſalen in Gna- den bewahret haͤtte; wo es brennet, da rette ich; und zu meinem Bruder ſagte ich, als er zu Felde gieng, Junge halte dich wohl, und komme geſund wieder; fiele er ins Waſſer: ſo ſpruͤnge ich ihm fluchs nach und holte ihn her- aus. Das ſind ſo meine Empfindungen, und dieſe finde ich bey allen Menſchen auf dem Lande, wo die Natur noch am wenigſten verdorben iſt. Aber ſo eine Empfindſamkeit, wo man immer weint, bebt, zittert, erſtarrt, und weder Hand noch Fuß ruͤhrt, wo man die Natur nur zum ſchoͤ- nen Spielwerk gebraucht, die ſcheint mir ein Fieber der Seele zu ſeyn, wogegen bey Zeiten etwas gebraucht wer- den muß, wenn das gute Kind nicht fruͤhzeitig ins Grab zittern ſoll. Gott ſey mir gnaͤdig, wann ſie einmal ver- liebt werden ſollte. In Zaͤrtlichkeit aufgeloͤſt, wird ſie den beſtaͤndigen Kreislauf in allen Adern ihres Geliebten haben wollen. Unſer Leibarzt, ein geſchickter und trockner Mann, ſagt, es kaͤme von nichts, als von dem vielen Leſen; und ſie ſollte wohl beſſer werden, wenn ſie ſich allmaͤlig zur Landarbeit gewoͤhnte. Aber das will die liebe Patientin nicht, ſie iſt ohnehin echauffirt genug, wie ſie ſagt. Ey was echauffirt, rief er juͤngſt; das Echauffement iſt eine Aufforderung zur Arbeit, und eine huͤlfreiche Bemuͤ- hung der Natur, diejenigen Theile zu ſtaͤrken, welche das mehrſte bey der Arbeit verſchwenden muͤſſen. Das Echauf- fement iſt am ſtaͤrkſten in der Erndte, und die Zeit bezeich- net
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Vor die Empfindſamen.
gen welchen uns ein gutes Fruͤhjahr verſpricht, fuͤr die all-
gemeine Freude aller Geſchoͤpfe, die auf dieſen Segen war-
ten — und dieſe maͤchtige Staͤrkung athme ich mit jeden
Luͤftgen und Duͤftgen ein; ich liebe die Kuͤhlung des Abends
als eine wohlthaͤtige Erfriſchung nach des Tages Laſt und
Hitze. Meine alte Mutter pflegte und wartete ich ſo lange
als ſie krank war, und wie Gott ſie zu ſich nahm, dankte
ich ihm freudig, daß er ſie vor mehrern Truͤbſalen in Gna-
den bewahret haͤtte; wo es brennet, da rette ich; und zu
meinem Bruder ſagte ich, als er zu Felde gieng, Junge
halte dich wohl, und komme geſund wieder; fiele er ins
Waſſer: ſo ſpruͤnge ich ihm fluchs nach und holte ihn her-
aus. Das ſind ſo meine Empfindungen, und dieſe finde
ich bey allen Menſchen auf dem Lande, wo die Natur noch
am wenigſten verdorben iſt. Aber ſo eine Empfindſamkeit,
wo man immer weint, bebt, zittert, erſtarrt, und weder
Hand noch Fuß ruͤhrt, wo man die Natur nur zum ſchoͤ-
nen Spielwerk gebraucht, die ſcheint mir ein Fieber der
Seele zu ſeyn, wogegen bey Zeiten etwas gebraucht wer-
den muß, wenn das gute Kind nicht fruͤhzeitig ins Grab
zittern ſoll. Gott ſey mir gnaͤdig, wann ſie einmal ver-
liebt werden ſollte. In Zaͤrtlichkeit aufgeloͤſt, wird ſie den
beſtaͤndigen Kreislauf in allen Adern ihres Geliebten haben
wollen. Unſer Leibarzt, ein geſchickter und trockner Mann,
ſagt, es kaͤme von nichts, als von dem vielen Leſen; und
ſie ſollte wohl beſſer werden, wenn ſie ſich allmaͤlig zur
Landarbeit gewoͤhnte. Aber das will die liebe Patientin
nicht, ſie iſt ohnehin echauffirt genug, wie ſie ſagt. Ey
was echauffirt, rief er juͤngſt; das Echauffement iſt
eine Aufforderung zur Arbeit, und eine huͤlfreiche Bemuͤ-
hung der Natur, diejenigen Theile zu ſtaͤrken, welche das
mehrſte bey der Arbeit verſchwenden muͤſſen. Das Echauf-
fement iſt am ſtaͤrkſten in der Erndte, und die Zeit bezeich-
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