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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Gedanken über den Stillestand etc.

Indessen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn
nicht die strengsten Executiones geschehen, die liederlichen
Wirthe nie zur Ordnung zu bringen sind, und gar kein Cre-
dit, der doch unentbehrlich ist, zu erhalten steht. Ueber-
haupt scheint der Mensch dazu gebohren zu seyn, um unter
der Zucht zu leben. Den Vornehmen peitscht die Ehre oder
die erschreckliche fürstliche Gnade mit Scorpionen zur Scla-
venarbeit; der Soldat würde ohne Zucht ein Fluch des
menschlichen Geschlechts seyn; und wie sollte denn der von
einer nahen und strengen Aufsicht in der jetzigen Verfassung
beraubte Landmann in Ordnung erhalten werden, wenn
nicht entweder Noth, oder Geiz, oder ein pfändender Rich-
ter ihn dazu nöthigten?

Bey dem allen lernt man aber nur so viel, daß das Uebel
gewiß, die Arzney aber unbekannt ist; besonders bey uns,
wo jeder Bauer wenigstens unter vier Gerichtsbarkeiten zu-
gleich steht, und seines natürlichen Stillestandes nie genies-
sen kann, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen
das billigste Maaß gebraucht, und die Execution nach dem
Ertrag des Hofes einschränkt, ihm dennoch zusammen das-
jenige vierfach abnehmen, was er nur einmal zu bezahlen
im Stande ist.

In den benachbarten Ländern muß ein leibeigner Schuld-
ner jährlich gewisse Scheffelsaat bestellen. Diese werden un-
ter die Gläubiger meistbietend versteigert; wer am ersten be-
zahlt seyn will, giebt das mehrste dafür. Dies scheint
mir noch das beste Palliativmittel
zu seyn.

Ende des dritten Theils.



Gedanken uͤber den Stilleſtand ꝛc.

Indeſſen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn
nicht die ſtrengſten Executiones geſchehen, die liederlichen
Wirthe nie zur Ordnung zu bringen ſind, und gar kein Cre-
dit, der doch unentbehrlich iſt, zu erhalten ſteht. Ueber-
haupt ſcheint der Menſch dazu gebohren zu ſeyn, um unter
der Zucht zu leben. Den Vornehmen peitſcht die Ehre oder
die erſchreckliche fuͤrſtliche Gnade mit Scorpionen zur Scla-
venarbeit; der Soldat wuͤrde ohne Zucht ein Fluch des
menſchlichen Geſchlechts ſeyn; und wie ſollte denn der von
einer nahen und ſtrengen Aufſicht in der jetzigen Verfaſſung
beraubte Landmann in Ordnung erhalten werden, wenn
nicht entweder Noth, oder Geiz, oder ein pfaͤndender Rich-
ter ihn dazu noͤthigten?

Bey dem allen lernt man aber nur ſo viel, daß das Uebel
gewiß, die Arzney aber unbekannt iſt; beſonders bey uns,
wo jeder Bauer wenigſtens unter vier Gerichtsbarkeiten zu-
gleich ſteht, und ſeines natuͤrlichen Stilleſtandes nie genieſ-
ſen kann, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen
das billigſte Maaß gebraucht, und die Execution nach dem
Ertrag des Hofes einſchraͤnkt, ihm dennoch zuſammen das-
jenige vierfach abnehmen, was er nur einmal zu bezahlen
im Stande iſt.

In den benachbarten Laͤndern muß ein leibeigner Schuld-
ner jaͤhrlich gewiſſe Scheffelſaat beſtellen. Dieſe werden un-
ter die Glaͤubiger meiſtbietend verſteigert; wer am erſten be-
zahlt ſeyn will, giebt das mehrſte dafuͤr. Dies ſcheint
mir noch das beſte Palliativmittel
zu ſeyn.

Ende des dritten Theils.



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[382/0396] Gedanken uͤber den Stilleſtand ꝛc. Indeſſen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn nicht die ſtrengſten Executiones geſchehen, die liederlichen Wirthe nie zur Ordnung zu bringen ſind, und gar kein Cre- dit, der doch unentbehrlich iſt, zu erhalten ſteht. Ueber- haupt ſcheint der Menſch dazu gebohren zu ſeyn, um unter der Zucht zu leben. Den Vornehmen peitſcht die Ehre oder die erſchreckliche fuͤrſtliche Gnade mit Scorpionen zur Scla- venarbeit; der Soldat wuͤrde ohne Zucht ein Fluch des menſchlichen Geſchlechts ſeyn; und wie ſollte denn der von einer nahen und ſtrengen Aufſicht in der jetzigen Verfaſſung beraubte Landmann in Ordnung erhalten werden, wenn nicht entweder Noth, oder Geiz, oder ein pfaͤndender Rich- ter ihn dazu noͤthigten? Bey dem allen lernt man aber nur ſo viel, daß das Uebel gewiß, die Arzney aber unbekannt iſt; beſonders bey uns, wo jeder Bauer wenigſtens unter vier Gerichtsbarkeiten zu- gleich ſteht, und ſeines natuͤrlichen Stilleſtandes nie genieſ- ſen kann, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen das billigſte Maaß gebraucht, und die Execution nach dem Ertrag des Hofes einſchraͤnkt, ihm dennoch zuſammen das- jenige vierfach abnehmen, was er nur einmal zu bezahlen im Stande iſt. In den benachbarten Laͤndern muß ein leibeigner Schuld- ner jaͤhrlich gewiſſe Scheffelſaat beſtellen. Dieſe werden un- ter die Glaͤubiger meiſtbietend verſteigert; wer am erſten be- zahlt ſeyn will, giebt das mehrſte dafuͤr. Dies ſcheint mir noch das beſte Palliativmittel zu ſeyn. Ende des dritten Theils.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/396>, abgerufen am 24.04.2024.