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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Gedanken von dem Ursprung und Nutzen
konnte a): Ihre Cammerjungfer aber, welche aus dem
Dorfe Gütersloh, worinn noch jetzt die Luft eigen macht,
zu Hause war, verheyrathete sich in unser Stift und setzte
sich auf ein o[f]nes Dorf, worinn ihr Mann ein freyes Haus
gekaufet hatte. Kaum hatte sie ein Jahr in vergnügter Ehe
gelebt: so entriß ihr der Tod den besten Mann; und zur
Vermehrung ihres Schmerzens kamen die Beamte, um ihr
alles was er verlassen hatte, zu nehmen. Voll Schrecken
zeigte sie ihr einziges Kind, den Erben ihres Mannes, und
bat mit Thränen, wo nicht ihr, doch diesem Unmündigen
das väterliche Erbtheil zu lassen. Allein ihr Flehen war
vergebens. Die Beamte, so sehr sie auch selbst über diesen
Vorfall bewegt waren, antworteten nach Landesrecht: Ihr
Mann sey Biesterfrey b) verstorben, und seine Nachlassen-
schaft daher der Landesherrschaft verfallen. Seine Schul-
digkeit sey gewesen, sich sofort, als er sich dahier niederge-
lassen, in eine Hode einschreiben c) zu lassen; und da er
dieses versäumet, und darüber weggestorben: so wäre nichts
als die Gnade der Landesherrschaft übrig, um sich von den
Folgen der Biesterfreyheit zu retten.

O Himmel, rief sie aus, ich bin aus einem Dorfe zu
Hause, wo die Luft das Einschreiben ersetzt; wo jedes
Haus in einer Hode steht, und diejenigen so darinn ziehen,
so bald als sie die Schwelle betreten haben, nicht mehr zu

besor-
a) Die Urkunde steht beym Lunig in spec. eccl. Contin. I. p. 134.
b) Biester heißt bey den Westphälingern so viel als arg. Er ist
biester krank, biester grämlich etc. sagt man. Die arge
reyheit
ist aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm so frey
als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn seyn, der Königs-
frieden hat) in der Luft ist, den man herabschiessen kann.
c) Dies ist wie bekannt noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabrück
gebräuchlich.

Gedanken von dem Urſprung und Nutzen
konnte a): Ihre Cammerjungfer aber, welche aus dem
Dorfe Guͤtersloh, worinn noch jetzt die Luft eigen macht,
zu Hauſe war, verheyrathete ſich in unſer Stift und ſetzte
ſich auf ein o[f]nes Dorf, worinn ihr Mann ein freyes Haus
gekaufet hatte. Kaum hatte ſie ein Jahr in vergnuͤgter Ehe
gelebt: ſo entriß ihr der Tod den beſten Mann; und zur
Vermehrung ihres Schmerzens kamen die Beamte, um ihr
alles was er verlaſſen hatte, zu nehmen. Voll Schrecken
zeigte ſie ihr einziges Kind, den Erben ihres Mannes, und
bat mit Thraͤnen, wo nicht ihr, doch dieſem Unmuͤndigen
das vaͤterliche Erbtheil zu laſſen. Allein ihr Flehen war
vergebens. Die Beamte, ſo ſehr ſie auch ſelbſt uͤber dieſen
Vorfall bewegt waren, antworteten nach Landesrecht: Ihr
Mann ſey Bieſterfrey b) verſtorben, und ſeine Nachlaſſen-
ſchaft daher der Landesherrſchaft verfallen. Seine Schul-
digkeit ſey geweſen, ſich ſofort, als er ſich dahier niederge-
laſſen, in eine Hode einſchreiben c) zu laſſen; und da er
dieſes verſaͤumet, und daruͤber weggeſtorben: ſo waͤre nichts
als die Gnade der Landesherrſchaft uͤbrig, um ſich von den
Folgen der Bieſterfreyheit zu retten.

O Himmel, rief ſie aus, ich bin aus einem Dorfe zu
Hauſe, wo die Luft das Einſchreiben erſetzt; wo jedes
Haus in einer Hode ſteht, und diejenigen ſo darinn ziehen,
ſo bald als ſie die Schwelle betreten haben, nicht mehr zu

beſor-
a) Die Urkunde ſteht beym Lunig in ſpec. eccl. Contin. I. p. 134.
b) Bieſter heißt bey den Weſtphaͤlingern ſo viel als arg. Er iſt
bieſter krank, bieſter graͤmlich ꝛc. ſagt man. Die arge
reyheit
iſt aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm ſo frey
als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn ſeyn, der Koͤnigs-
frieden hat) in der Luft iſt, den man herabſchieſſen kann.
c) Dies iſt wie bekannt noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabruͤck
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[348/0362] Gedanken von dem Urſprung und Nutzen konnte a): Ihre Cammerjungfer aber, welche aus dem Dorfe Guͤtersloh, worinn noch jetzt die Luft eigen macht, zu Hauſe war, verheyrathete ſich in unſer Stift und ſetzte ſich auf ein ofnes Dorf, worinn ihr Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte ſie ein Jahr in vergnuͤgter Ehe gelebt: ſo entriß ihr der Tod den beſten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens kamen die Beamte, um ihr alles was er verlaſſen hatte, zu nehmen. Voll Schrecken zeigte ſie ihr einziges Kind, den Erben ihres Mannes, und bat mit Thraͤnen, wo nicht ihr, doch dieſem Unmuͤndigen das vaͤterliche Erbtheil zu laſſen. Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, ſo ſehr ſie auch ſelbſt uͤber dieſen Vorfall bewegt waren, antworteten nach Landesrecht: Ihr Mann ſey Bieſterfrey b) verſtorben, und ſeine Nachlaſſen- ſchaft daher der Landesherrſchaft verfallen. Seine Schul- digkeit ſey geweſen, ſich ſofort, als er ſich dahier niederge- laſſen, in eine Hode einſchreiben c) zu laſſen; und da er dieſes verſaͤumet, und daruͤber weggeſtorben: ſo waͤre nichts als die Gnade der Landesherrſchaft uͤbrig, um ſich von den Folgen der Bieſterfreyheit zu retten. O Himmel, rief ſie aus, ich bin aus einem Dorfe zu Hauſe, wo die Luft das Einſchreiben erſetzt; wo jedes Haus in einer Hode ſteht, und diejenigen ſo darinn ziehen, ſo bald als ſie die Schwelle betreten haben, nicht mehr zu beſor- a) Die Urkunde ſteht beym Lunig in ſpec. eccl. Contin. I. p. 134. b) Bieſter heißt bey den Weſtphaͤlingern ſo viel als arg. Er iſt bieſter krank, bieſter graͤmlich ꝛc. ſagt man. Die arge reyheit iſt aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm ſo frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn ſeyn, der Koͤnigs- frieden hat) in der Luft iſt, den man herabſchieſſen kann. c) Dies iſt wie bekannt noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabruͤck gebraͤuchlich.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/362>, abgerufen am 25.04.2024.