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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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ohne Gewissensscrupel folgen.
sanfte Sittsamkeit bey schlecht geführten Angriffen, eine
stille Bescheidenheit bey stark hervorscheinender eignen Grös-
se, und was dergleichen hübsche Tugenden, die sich der
Mode unterwerfen und mit ihr allemal Hand in Hand ge-
hen, mehr sind. Aber mir fällt keine bey, womit sich der
Mangel du bon ton bey einer Dame von ihren Umständen
nur einiger maßen decken ließe. Ein Wagen aus der Mo-
de bleibt immer eine alte Carosse, man mag ihn mahlen
und vergulden, wie man will, und eine Frau von Stande
kann sich darinn nicht auf den öffentlichen Spatziergängen
zeigen, ohne mit Fingern gewiesen zu werden.

Müssen Sie indessen in diese harte Nuß beissen: so rathe
ich Ihnen nur, weder Witz noch Verstand zu zeigen, und
alle Ansprüche auf Bewunderung fahren zu lassen. Denn
wemn Sie in einem altmodigen Kleide die geringste Ver-
nunft haben, oder sich gar beygehen lassen wollten, Ihre
Verlegenheit hinter eine Tugend zu verbergen; so würden
Sie als die lächerlichste, unerträglichste und abgeschmack-
teste Creatur überall ausgezischet werden. Dieses ist der
einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, und nun mö-
gen Sie es mit Ihren Eheherrn überlegen, was Sie in
dieser wahrlich kritischen Lage thun sollen? Der meinige be-
kümmert sich, Gott Lob! um die Haushaltung nicht, und
legt die Rechnungen meiner Kaufleute ungelesen bey sich nie-
der; weil er wohl weiß, daß sie ihn nicht verklagen wer-
den -- denn er könnte ihnen bey Hofe leicht einen üblen
Dienst thun -- und dieses könnte der Ihrige auch thun,
wenn er nicht will, daß Sie sich lebendig begraben sollen.

Ich bin recht begierig darauf was er sagen wird, und
bedaure Sie meine Beste von ganzen Herzen, daß sie nach
dem unerforschlichen Willen Gottes in Ihren schönsten Jah-

ren
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ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
ſanfte Sittſamkeit bey ſchlecht gefuͤhrten Angriffen, eine
ſtille Beſcheidenheit bey ſtark hervorſcheinender eignen Groͤſ-
ſe, und was dergleichen huͤbſche Tugenden, die ſich der
Mode unterwerfen und mit ihr allemal Hand in Hand ge-
hen, mehr ſind. Aber mir faͤllt keine bey, womit ſich der
Mangel du bon ton bey einer Dame von ihren Umſtaͤnden
nur einiger maßen decken ließe. Ein Wagen aus der Mo-
de bleibt immer eine alte Caroſſe, man mag ihn mahlen
und vergulden, wie man will, und eine Frau von Stande
kann ſich darinn nicht auf den oͤffentlichen Spatziergaͤngen
zeigen, ohne mit Fingern gewieſen zu werden.

Muͤſſen Sie indeſſen in dieſe harte Nuß beiſſen: ſo rathe
ich Ihnen nur, weder Witz noch Verſtand zu zeigen, und
alle Anſpruͤche auf Bewunderung fahren zu laſſen. Denn
wemn Sie in einem altmodigen Kleide die geringſte Ver-
nunft haben, oder ſich gar beygehen laſſen wollten, Ihre
Verlegenheit hinter eine Tugend zu verbergen; ſo wuͤrden
Sie als die laͤcherlichſte, unertraͤglichſte und abgeſchmack-
teſte Creatur uͤberall ausgeziſchet werden. Dieſes iſt der
einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, und nun moͤ-
gen Sie es mit Ihren Eheherrn uͤberlegen, was Sie in
dieſer wahrlich kritiſchen Lage thun ſollen? Der meinige be-
kuͤmmert ſich, Gott Lob! um die Haushaltung nicht, und
legt die Rechnungen meiner Kaufleute ungeleſen bey ſich nie-
der; weil er wohl weiß, daß ſie ihn nicht verklagen wer-
den — denn er koͤnnte ihnen bey Hofe leicht einen uͤblen
Dienſt thun — und dieſes koͤnnte der Ihrige auch thun,
wenn er nicht will, daß Sie ſich lebendig begraben ſollen.

Ich bin recht begierig darauf was er ſagen wird, und
bedaure Sie meine Beſte von ganzen Herzen, daß ſie nach
dem unerforſchlichen Willen Gottes in Ihren ſchoͤnſten Jah-

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[9/0023] ohne Gewiſſensſcrupel folgen. ſanfte Sittſamkeit bey ſchlecht gefuͤhrten Angriffen, eine ſtille Beſcheidenheit bey ſtark hervorſcheinender eignen Groͤſ- ſe, und was dergleichen huͤbſche Tugenden, die ſich der Mode unterwerfen und mit ihr allemal Hand in Hand ge- hen, mehr ſind. Aber mir faͤllt keine bey, womit ſich der Mangel du bon ton bey einer Dame von ihren Umſtaͤnden nur einiger maßen decken ließe. Ein Wagen aus der Mo- de bleibt immer eine alte Caroſſe, man mag ihn mahlen und vergulden, wie man will, und eine Frau von Stande kann ſich darinn nicht auf den oͤffentlichen Spatziergaͤngen zeigen, ohne mit Fingern gewieſen zu werden. Muͤſſen Sie indeſſen in dieſe harte Nuß beiſſen: ſo rathe ich Ihnen nur, weder Witz noch Verſtand zu zeigen, und alle Anſpruͤche auf Bewunderung fahren zu laſſen. Denn wemn Sie in einem altmodigen Kleide die geringſte Ver- nunft haben, oder ſich gar beygehen laſſen wollten, Ihre Verlegenheit hinter eine Tugend zu verbergen; ſo wuͤrden Sie als die laͤcherlichſte, unertraͤglichſte und abgeſchmack- teſte Creatur uͤberall ausgeziſchet werden. Dieſes iſt der einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, und nun moͤ- gen Sie es mit Ihren Eheherrn uͤberlegen, was Sie in dieſer wahrlich kritiſchen Lage thun ſollen? Der meinige be- kuͤmmert ſich, Gott Lob! um die Haushaltung nicht, und legt die Rechnungen meiner Kaufleute ungeleſen bey ſich nie- der; weil er wohl weiß, daß ſie ihn nicht verklagen wer- den — denn er koͤnnte ihnen bey Hofe leicht einen uͤblen Dienſt thun — und dieſes koͤnnte der Ihrige auch thun, wenn er nicht will, daß Sie ſich lebendig begraben ſollen. Ich bin recht begierig darauf was er ſagen wird, und bedaure Sie meine Beſte von ganzen Herzen, daß ſie nach dem unerforſchlichen Willen Gottes in Ihren ſchoͤnſten Jah- ren A 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/23>, abgerufen am 28.03.2024.