weil sie Leibeigne darauf gelassen haben, und wann man nicht gleich die Leute als Biesterfrey behandelt; so ist gar kein Mittel einen Kotten gegen dergleichen Eingriffe zu retten. Denn die Biesterfreyheit zwingt die Leute zur Hode, und Hode redet wider den Leibeigenthum.
Ich bat hierauf meinen Gutsherrn mir meinen Sterb- fall selbst dingen zu lassen, und mich so nach in Freyheit zu setzen: er war auch würklich dazu nicht abgeneigt. Al- lein meine Stieftochter hintertrieb es, aus der Ursache, weil ich sodann als ein freyer Mann das Meinige meinen Kindern zweyter Ehe würde zugewandt haben ...
Ich lernte hieraus, daß die praktische Einsicht des al- ten Greises weiter gieng, wie meine Theorie; und bedau- rete den Mann, der bey dem Mangel der Leibzucht die Hölle mit seinen Kindern bauen müste, nachdem man das feine Kunstgewerbe der deutschen Rechtsgelehrsamkeit, worin die Nothwendigkeit der Leibzucht seine eigenthümliche Stelle hat, nicht mehr erkennen will.
XXXVIII. Der erste Jahrswechsel, eine Legende.
Gott hatte die Thür des Paradieses noch kaum abge- schlossen, als Eva von fern einen schönen weitglän- zenden Apfelbaum erblickte, und zu ihrem lieben Adam sagte: Siehst du wohl, auch da sind Aepfel. So wie sie dieses sagte, gieng sie auch hinzu, und Adam voll tiefer Wehmuth, wozu ihm noch der Ausdruck mangelte, hinter ihr drein. Ich wüste nicht, was den Aepfeln fehlte, daß sie nicht eben so gut, als im Paradiese seyn sollten, rief
sie
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Die Klage eines Leibzuͤchters.
weil ſie Leibeigne darauf gelaſſen haben, und wann man nicht gleich die Leute als Bieſterfrey behandelt; ſo iſt gar kein Mittel einen Kotten gegen dergleichen Eingriffe zu retten. Denn die Bieſterfreyheit zwingt die Leute zur Hode, und Hode redet wider den Leibeigenthum.
Ich bat hierauf meinen Gutsherrn mir meinen Sterb- fall ſelbſt dingen zu laſſen, und mich ſo nach in Freyheit zu ſetzen: er war auch wuͤrklich dazu nicht abgeneigt. Al- lein meine Stieftochter hintertrieb es, aus der Urſache, weil ich ſodann als ein freyer Mann das Meinige meinen Kindern zweyter Ehe wuͤrde zugewandt haben …
Ich lernte hieraus, daß die praktiſche Einſicht des al- ten Greiſes weiter gieng, wie meine Theorie; und bedau- rete den Mann, der bey dem Mangel der Leibzucht die Hoͤlle mit ſeinen Kindern bauen muͤſte, nachdem man das feine Kunſtgewerbe der deutſchen Rechtsgelehrſamkeit, worin die Nothwendigkeit der Leibzucht ſeine eigenthuͤmliche Stelle hat, nicht mehr erkennen will.
XXXVIII. Der erſte Jahrswechſel, eine Legende.
Gott hatte die Thuͤr des Paradieſes noch kaum abge- ſchloſſen, als Eva von fern einen ſchoͤnen weitglaͤn- zenden Apfelbaum erblickte, und zu ihrem lieben Adam ſagte: Siehſt du wohl, auch da ſind Aepfel. So wie ſie dieſes ſagte, gieng ſie auch hinzu, und Adam voll tiefer Wehmuth, wozu ihm noch der Ausdruck mangelte, hinter ihr drein. Ich wuͤſte nicht, was den Aepfeln fehlte, daß ſie nicht eben ſo gut, als im Paradieſe ſeyn ſollten, rief
ſie
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Die Klage eines Leibzuͤchters.
weil ſie Leibeigne darauf gelaſſen haben, und wann man
nicht gleich die Leute als Bieſterfrey behandelt; ſo iſt gar
kein Mittel einen Kotten gegen dergleichen Eingriffe zu
retten. Denn die Bieſterfreyheit zwingt die Leute zur Hode,
und Hode redet wider den Leibeigenthum.
Ich bat hierauf meinen Gutsherrn mir meinen Sterb-
fall ſelbſt dingen zu laſſen, und mich ſo nach in Freyheit
zu ſetzen: er war auch wuͤrklich dazu nicht abgeneigt. Al-
lein meine Stieftochter hintertrieb es, aus der Urſache,
weil ich ſodann als ein freyer Mann das Meinige meinen
Kindern zweyter Ehe wuͤrde zugewandt haben …
Ich lernte hieraus, daß die praktiſche Einſicht des al-
ten Greiſes weiter gieng, wie meine Theorie; und bedau-
rete den Mann, der bey dem Mangel der Leibzucht die Hoͤlle
mit ſeinen Kindern bauen muͤſte, nachdem man das feine
Kunſtgewerbe der deutſchen Rechtsgelehrſamkeit, worin die
Nothwendigkeit der Leibzucht ſeine eigenthuͤmliche Stelle hat,
nicht mehr erkennen will.
XXXVIII.
Der erſte Jahrswechſel,
eine Legende.
Gott hatte die Thuͤr des Paradieſes noch kaum abge-
ſchloſſen, als Eva von fern einen ſchoͤnen weitglaͤn-
zenden Apfelbaum erblickte, und zu ihrem lieben Adam
ſagte: Siehſt du wohl, auch da ſind Aepfel. So wie ſie
dieſes ſagte, gieng ſie auch hinzu, und Adam voll tiefer
Wehmuth, wozu ihm noch der Ausdruck mangelte, hinter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/163>, abgerufen am 16.02.2025.
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