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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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bey unangenehmen Wahrheiten.
an sich wohl gemeint, aber doch für viele beleidigend ist.
Wenn ich mich selbst prüfe: so fühle ich zwar wohl, daß
auch meine Eigenliebe sich zu leicht beleidiget glaube. Aber
weil Damon weit jünger ist, wie ich; so denke ich, er müsse
sich nach seinem ältern Freunde richten. Seine Absicht ist
mir eine nützliche Wahrheit zu sagen, und sein Wunsch,
daß sie bey mir die größte Würkung thun möge; warum
wendet er sie denn nicht so, daß seine Absicht und sein Wunsch
erfüllet werde? Oft habe ich die Politik eines grossen Welt-
mannes bewundert, der bey tausend verdrießlichen Geschäf-
ten, doch nimmer eine verdriesliche Miene zeigt, und auch
selbst das unangenehme, was er einem aus Pflicht sagen
muß, so sanft und freundschaftlich zu wenden weiß, daß
man ihn auch für das Böse danken muß. Sollte ein Freund
minder schonend seyn, oder kann jene Politik mit der Red-
lichkeit nicht bestehen?

Ey was, wird Damon sagen, wer kann jedes Wort
auf die Wagschale legen? Ein Freund muß kein Schmeich-
ler seyn, und alle dergleichen kleine Wendungen verrathen
doch im Grunde eine Falschheit, ich rede wie ich denke, und
je mehr eine Wahrheit sticht, je besser wird sie gefühlt.

Aber, mein Freund, wenn Sie mir eine betrübte Nach-
richt zu bringen haben: so wenden Sie doch alle Kunst an,
meine Empfindlichkeit zu schonen; diese kleine Falschheit,
wenn es eine ist, haben Sie doch gebilliget, und aus dem
Umgang mit der grossen Welt angenommen; warum wol-
len Sie mich dann in andern Fällen minder schonen und
mir ohne Noth die Galle ins Geblüt jagen? Dieses ist
ja ihre Absicht nicht; und da sie Verstand genug haben,
um eine angenehme Wendung zu erfinden: so ist es vielleicht
nichts als ein Eigensinn, oder der Hang einer Laune, um
deren Richtung Sie sich keine Mühe geben, wodurch sie bey

dieser

bey unangenehmen Wahrheiten.
an ſich wohl gemeint, aber doch fuͤr viele beleidigend iſt.
Wenn ich mich ſelbſt pruͤfe: ſo fuͤhle ich zwar wohl, daß
auch meine Eigenliebe ſich zu leicht beleidiget glaube. Aber
weil Damon weit juͤnger iſt, wie ich; ſo denke ich, er muͤſſe
ſich nach ſeinem aͤltern Freunde richten. Seine Abſicht iſt
mir eine nuͤtzliche Wahrheit zu ſagen, und ſein Wunſch,
daß ſie bey mir die groͤßte Wuͤrkung thun moͤge; warum
wendet er ſie denn nicht ſo, daß ſeine Abſicht und ſein Wunſch
erfuͤllet werde? Oft habe ich die Politik eines groſſen Welt-
mannes bewundert, der bey tauſend verdrießlichen Geſchaͤf-
ten, doch nimmer eine verdriesliche Miene zeigt, und auch
ſelbſt das unangenehme, was er einem aus Pflicht ſagen
muß, ſo ſanft und freundſchaftlich zu wenden weiß, daß
man ihn auch fuͤr das Boͤſe danken muß. Sollte ein Freund
minder ſchonend ſeyn, oder kann jene Politik mit der Red-
lichkeit nicht beſtehen?

Ey was, wird Damon ſagen, wer kann jedes Wort
auf die Wagſchale legen? Ein Freund muß kein Schmeich-
ler ſeyn, und alle dergleichen kleine Wendungen verrathen
doch im Grunde eine Falſchheit, ich rede wie ich denke, und
je mehr eine Wahrheit ſticht, je beſſer wird ſie gefuͤhlt.

Aber, mein Freund, wenn Sie mir eine betruͤbte Nach-
richt zu bringen haben: ſo wenden Sie doch alle Kunſt an,
meine Empfindlichkeit zu ſchonen; dieſe kleine Falſchheit,
wenn es eine iſt, haben Sie doch gebilliget, und aus dem
Umgang mit der groſſen Welt angenommen; warum wol-
len Sie mich dann in andern Faͤllen minder ſchonen und
mir ohne Noth die Galle ins Gebluͤt jagen? Dieſes iſt
ja ihre Abſicht nicht; und da ſie Verſtand genug haben,
um eine angenehme Wendung zu erfinden: ſo iſt es vielleicht
nichts als ein Eigenſinn, oder der Hang einer Laune, um
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[143/0157] bey unangenehmen Wahrheiten. an ſich wohl gemeint, aber doch fuͤr viele beleidigend iſt. Wenn ich mich ſelbſt pruͤfe: ſo fuͤhle ich zwar wohl, daß auch meine Eigenliebe ſich zu leicht beleidiget glaube. Aber weil Damon weit juͤnger iſt, wie ich; ſo denke ich, er muͤſſe ſich nach ſeinem aͤltern Freunde richten. Seine Abſicht iſt mir eine nuͤtzliche Wahrheit zu ſagen, und ſein Wunſch, daß ſie bey mir die groͤßte Wuͤrkung thun moͤge; warum wendet er ſie denn nicht ſo, daß ſeine Abſicht und ſein Wunſch erfuͤllet werde? Oft habe ich die Politik eines groſſen Welt- mannes bewundert, der bey tauſend verdrießlichen Geſchaͤf- ten, doch nimmer eine verdriesliche Miene zeigt, und auch ſelbſt das unangenehme, was er einem aus Pflicht ſagen muß, ſo ſanft und freundſchaftlich zu wenden weiß, daß man ihn auch fuͤr das Boͤſe danken muß. Sollte ein Freund minder ſchonend ſeyn, oder kann jene Politik mit der Red- lichkeit nicht beſtehen? Ey was, wird Damon ſagen, wer kann jedes Wort auf die Wagſchale legen? Ein Freund muß kein Schmeich- ler ſeyn, und alle dergleichen kleine Wendungen verrathen doch im Grunde eine Falſchheit, ich rede wie ich denke, und je mehr eine Wahrheit ſticht, je beſſer wird ſie gefuͤhlt. Aber, mein Freund, wenn Sie mir eine betruͤbte Nach- richt zu bringen haben: ſo wenden Sie doch alle Kunſt an, meine Empfindlichkeit zu ſchonen; dieſe kleine Falſchheit, wenn es eine iſt, haben Sie doch gebilliget, und aus dem Umgang mit der groſſen Welt angenommen; warum wol- len Sie mich dann in andern Faͤllen minder ſchonen und mir ohne Noth die Galle ins Gebluͤt jagen? Dieſes iſt ja ihre Abſicht nicht; und da ſie Verſtand genug haben, um eine angenehme Wendung zu erfinden: ſo iſt es vielleicht nichts als ein Eigenſinn, oder der Hang einer Laune, um deren Richtung Sie ſich keine Muͤhe geben, wodurch ſie bey dieſer

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/157>, abgerufen am 24.04.2024.