Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.mag wohl sclavisch seyn. Phantasien, und ein leerer Dunst. Der Geist bleibtschwach, der Kopf hat weder Macht noch Dauer, und alles sieht so hungrig aus, wie die heisse Liebe eines ver- lebten Greises. Der junge Mensch, der sich nun als ein grosser Mann zeigen soll, gleicht einem Kaufmann, wel- cher eine Handlung durch die ganze Welt anfangen will, ohne irgend ein Kapital oder auch nur einmal einen mäßi- gen Vorrath von Producten zu haben. Ganz anders verhält es sich mit dem Knaben, der, so Einen solchen Reichthum von Wahrheiten und Kennt- Woher J 4
mag wohl ſclaviſch ſeyn. Phantaſien, und ein leerer Dunſt. Der Geiſt bleibtſchwach, der Kopf hat weder Macht noch Dauer, und alles ſieht ſo hungrig aus, wie die heiſſe Liebe eines ver- lebten Greiſes. Der junge Menſch, der ſich nun als ein groſſer Mann zeigen ſoll, gleicht einem Kaufmann, wel- cher eine Handlung durch die ganze Welt anfangen will, ohne irgend ein Kapital oder auch nur einmal einen maͤßi- gen Vorrath von Producten zu haben. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Knaben, der, ſo Einen ſolchen Reichthum von Wahrheiten und Kennt- Woher J 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149" n="135"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">mag wohl ſclaviſch ſeyn.</hi></fw><lb/> Phantaſien, und ein leerer Dunſt. Der Geiſt bleibt<lb/> ſchwach, der Kopf hat weder Macht noch Dauer, und<lb/> alles ſieht ſo hungrig aus, wie die heiſſe Liebe eines ver-<lb/> lebten Greiſes. Der junge Menſch, der ſich nun als ein<lb/> groſſer Mann zeigen ſoll, gleicht einem Kaufmann, wel-<lb/> cher eine Handlung durch die ganze Welt anfangen will,<lb/> ohne irgend ein Kapital oder auch nur einmal einen maͤßi-<lb/> gen Vorrath von Producten zu haben.</p><lb/> <p>Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Knaben, der, ſo<lb/> viel es ohne Nachtheil ſeiner Leibes- und Seelenkraͤfte ge-<lb/> ſchehen koͤnnen, von Jugend auf zu einem eiſernen Fleiſſe,<lb/> und zur Einſammlung nuͤtzlicher Wahrheiten angeſtrenget<lb/> worden. In dem Augenblick da er anfaͤngt ſich zu zeigen,<lb/> hat er einen ganzen Vorrath von nuͤtzlichen Wahrheiten in<lb/> ſeiner Macht, und die Gewohnheit hat ihm eine zweyte Na-<lb/> tur zur Arbeit gegeben. Eine Wahrheit zeugt die andre,<lb/> und die Maſſe derſelben wuchert in ſeiner Seele mit fort-<lb/> gehendem Gluͤcke. Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften machen bey<lb/> ihm ihr Gluͤck, wie Mahler und Bildhauer bey einem rei-<lb/> chen Bauherrn, der alles, was zu dem praͤchtigſten Ge-<lb/> baͤude erfordert wird, ſelbſt beſitzt und reichlich bezahlen<lb/> kann; anſtatt daß dieſe verſchoͤnerten Kuͤnſte jenen jungen<lb/> Herrn, weiter zu nichts dienen, als Puppen zu ſchnitzen.</p><lb/> <p>Einen ſolchen Reichthum von Wahrheiten und Kennt-<lb/> niſſen, wird man aber nie ſpielend, und auf die Art er-<lb/> langen, wie viele Kinder jetzt erzogen werden. Die Vor-<lb/> ſicht hat den Menſchen nichts ohne groſſe Arbeit zugedacht,<lb/> und wenn das Kind auch hundertmal weint, und mit Stra-<lb/> fen zum Lernen und zu Fertigkeiten gezwungen werden muß,<lb/> ſo ſind dieſes wohlthaͤtige Strafen, und die Thraͤnen wird<lb/> er ſeinen Lehrern einſt verdanken.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">Woher</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [135/0149]
mag wohl ſclaviſch ſeyn.
Phantaſien, und ein leerer Dunſt. Der Geiſt bleibt
ſchwach, der Kopf hat weder Macht noch Dauer, und
alles ſieht ſo hungrig aus, wie die heiſſe Liebe eines ver-
lebten Greiſes. Der junge Menſch, der ſich nun als ein
groſſer Mann zeigen ſoll, gleicht einem Kaufmann, wel-
cher eine Handlung durch die ganze Welt anfangen will,
ohne irgend ein Kapital oder auch nur einmal einen maͤßi-
gen Vorrath von Producten zu haben.
Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Knaben, der, ſo
viel es ohne Nachtheil ſeiner Leibes- und Seelenkraͤfte ge-
ſchehen koͤnnen, von Jugend auf zu einem eiſernen Fleiſſe,
und zur Einſammlung nuͤtzlicher Wahrheiten angeſtrenget
worden. In dem Augenblick da er anfaͤngt ſich zu zeigen,
hat er einen ganzen Vorrath von nuͤtzlichen Wahrheiten in
ſeiner Macht, und die Gewohnheit hat ihm eine zweyte Na-
tur zur Arbeit gegeben. Eine Wahrheit zeugt die andre,
und die Maſſe derſelben wuchert in ſeiner Seele mit fort-
gehendem Gluͤcke. Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften machen bey
ihm ihr Gluͤck, wie Mahler und Bildhauer bey einem rei-
chen Bauherrn, der alles, was zu dem praͤchtigſten Ge-
baͤude erfordert wird, ſelbſt beſitzt und reichlich bezahlen
kann; anſtatt daß dieſe verſchoͤnerten Kuͤnſte jenen jungen
Herrn, weiter zu nichts dienen, als Puppen zu ſchnitzen.
Einen ſolchen Reichthum von Wahrheiten und Kennt-
niſſen, wird man aber nie ſpielend, und auf die Art er-
langen, wie viele Kinder jetzt erzogen werden. Die Vor-
ſicht hat den Menſchen nichts ohne groſſe Arbeit zugedacht,
und wenn das Kind auch hundertmal weint, und mit Stra-
fen zum Lernen und zu Fertigkeiten gezwungen werden muß,
ſo ſind dieſes wohlthaͤtige Strafen, und die Thraͤnen wird
er ſeinen Lehrern einſt verdanken.
Woher
J 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeFür das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |