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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Ein neues Ziel
aber lange nicht mehr zu den heroischen Thaten, welche
die Ritterzeiten bezeichnen. Sie erhält im Trauerspiele
nur noch die zweyte Rolle, und ist nicht mehr das Sie-
gesroß, worauf man sich zur Rettung der Unschuld an
den ungeheuren Riesen wagte, sondern höchstens ein Ste-
ckenpferd, worauf man um die Toilette reitet. Aber die
Leidenschaft der Ehre, die Patrioten, Helden und Red-
ner bildete, die in bürgerlichen Kriegen mit einem festen
Auge das Ziel faßte, über den Abgrund hinwegsetzte, und
etweder siegte oder starb, findet zu wenig Arbeit. Die
Dichter mögen noch so sehr in Dithyramben rasen, oder
uns in ihren Bardenliedern das warme Blut aus Hirnschä-
deln zutrinken, es bleibt immer ein müßiges Volk, und
unsre Ehrbegierde, wird dadurch nicht nach ihrem Verdien-
ste genährt. Setzen sie uns auch bisweilen in eine ange-
nehme Begeisterung: so ist es doch nur ein kurzer Nausch,
und die Thätigkeit gewinnet bey einer vorgebildeten Gefahr
dasjenige nicht, was sie bey einer würklichen und anhalten-
den findet.

Sie werden mir sagen, daß jeder rechtschaffener und
fleißiger Mensch Nahrung genug für seine Thätigkeit finde,
und hinlängliche Reitzung habe, wenn er seine Geschäfte ge-
hörig abwartet, und sich darin immer vollkommener macht;
sie werden dann bey dieser Voraussetzung die Sittenlehrer
als kluge Aufseher betrachten, die blos unterrichten, füh-
ren und bessern, aber die Leidenschaften für den Haushalt
sorgen lassen sollen; sie werden weiter einwenden, daß man
die äusserste Höhe der menschlichen Tugenden, die Patrioten,
Helden und Redner im hohen Stil zu theuer bezahle, wenu
man um ihrentwillen bürgerliche Kriege anfangen, Tyran-
nen und andere Ungeheuer nähren, und gleichsam eine
Stadt in Brand stecken solle, um den höchsten Muth und
die gröste Geschicklichkeit im Löschen zu zeigen; sie werden

endlich

Ein neues Ziel
aber lange nicht mehr zu den heroiſchen Thaten, welche
die Ritterzeiten bezeichnen. Sie erhaͤlt im Trauerſpiele
nur noch die zweyte Rolle, und iſt nicht mehr das Sie-
gesroß, worauf man ſich zur Rettung der Unſchuld an
den ungeheuren Rieſen wagte, ſondern hoͤchſtens ein Ste-
ckenpferd, worauf man um die Toilette reitet. Aber die
Leidenſchaft der Ehre, die Patrioten, Helden und Red-
ner bildete, die in buͤrgerlichen Kriegen mit einem feſten
Auge das Ziel faßte, uͤber den Abgrund hinwegſetzte, und
etweder ſiegte oder ſtarb, findet zu wenig Arbeit. Die
Dichter moͤgen noch ſo ſehr in Dithyramben raſen, oder
uns in ihren Bardenliedern das warme Blut aus Hirnſchaͤ-
deln zutrinken, es bleibt immer ein muͤßiges Volk, und
unſre Ehrbegierde, wird dadurch nicht nach ihrem Verdien-
ſte genaͤhrt. Setzen ſie uns auch bisweilen in eine ange-
nehme Begeiſterung: ſo iſt es doch nur ein kurzer Nauſch,
und die Thaͤtigkeit gewinnet bey einer vorgebildeten Gefahr
dasjenige nicht, was ſie bey einer wuͤrklichen und anhalten-
den findet.

Sie werden mir ſagen, daß jeder rechtſchaffener und
fleißiger Menſch Nahrung genug fuͤr ſeine Thaͤtigkeit finde,
und hinlaͤngliche Reitzung habe, wenn er ſeine Geſchaͤfte ge-
hoͤrig abwartet, und ſich darin immer vollkommener macht;
ſie werden dann bey dieſer Vorausſetzung die Sittenlehrer
als kluge Aufſeher betrachten, die blos unterrichten, fuͤh-
ren und beſſern, aber die Leidenſchaften fuͤr den Haushalt
ſorgen laſſen ſollen; ſie werden weiter einwenden, daß man
die aͤuſſerſte Hoͤhe der menſchlichen Tugenden, die Patrioten,
Helden und Redner im hohen Stil zu theuer bezahle, wenu
man um ihrentwillen buͤrgerliche Kriege anfangen, Tyran-
nen und andere Ungeheuer naͤhren, und gleichſam eine
Stadt in Brand ſtecken ſolle, um den hoͤchſten Muth und
die groͤſte Geſchicklichkeit im Loͤſchen zu zeigen; ſie werden

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[88/0102] Ein neues Ziel aber lange nicht mehr zu den heroiſchen Thaten, welche die Ritterzeiten bezeichnen. Sie erhaͤlt im Trauerſpiele nur noch die zweyte Rolle, und iſt nicht mehr das Sie- gesroß, worauf man ſich zur Rettung der Unſchuld an den ungeheuren Rieſen wagte, ſondern hoͤchſtens ein Ste- ckenpferd, worauf man um die Toilette reitet. Aber die Leidenſchaft der Ehre, die Patrioten, Helden und Red- ner bildete, die in buͤrgerlichen Kriegen mit einem feſten Auge das Ziel faßte, uͤber den Abgrund hinwegſetzte, und etweder ſiegte oder ſtarb, findet zu wenig Arbeit. Die Dichter moͤgen noch ſo ſehr in Dithyramben raſen, oder uns in ihren Bardenliedern das warme Blut aus Hirnſchaͤ- deln zutrinken, es bleibt immer ein muͤßiges Volk, und unſre Ehrbegierde, wird dadurch nicht nach ihrem Verdien- ſte genaͤhrt. Setzen ſie uns auch bisweilen in eine ange- nehme Begeiſterung: ſo iſt es doch nur ein kurzer Nauſch, und die Thaͤtigkeit gewinnet bey einer vorgebildeten Gefahr dasjenige nicht, was ſie bey einer wuͤrklichen und anhalten- den findet. Sie werden mir ſagen, daß jeder rechtſchaffener und fleißiger Menſch Nahrung genug fuͤr ſeine Thaͤtigkeit finde, und hinlaͤngliche Reitzung habe, wenn er ſeine Geſchaͤfte ge- hoͤrig abwartet, und ſich darin immer vollkommener macht; ſie werden dann bey dieſer Vorausſetzung die Sittenlehrer als kluge Aufſeher betrachten, die blos unterrichten, fuͤh- ren und beſſern, aber die Leidenſchaften fuͤr den Haushalt ſorgen laſſen ſollen; ſie werden weiter einwenden, daß man die aͤuſſerſte Hoͤhe der menſchlichen Tugenden, die Patrioten, Helden und Redner im hohen Stil zu theuer bezahle, wenu man um ihrentwillen buͤrgerliche Kriege anfangen, Tyran- nen und andere Ungeheuer naͤhren, und gleichſam eine Stadt in Brand ſtecken ſolle, um den hoͤchſten Muth und die groͤſte Geſchicklichkeit im Loͤſchen zu zeigen; ſie werden endlich

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/102>, abgerufen am 19.04.2024.