Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken über die Getraidesperre,
Menschen und Thiere in seinen Kasten genommen hätte, als
er würde haben ausfuttern können; ich will Ihnen zugeben,
daß man in der Hungersnoth seinen Freund fressen, und also
auch gewiß verhungern lassen könne; ich will endlich zugeben,
daß kein rechtlicher Vater das Brodt für die Hunde werfe
und seine Kinder darben lasse.

Allein darinn muß ich Ihnen mit Ihrer Erlaubniß wider-
sprechen, daß irgend ein Land in Deutschland und besonders
das Stift (Münster), welches Sie zum Muster anführen,
sich in der schrecklichen Alternative, entweder Hungers zu
sterben, oder die Kornausfuhr zu verbieten, befunden haben.

Sie selbst räumen dieses ein; indem Sie sagen, daß das
Korn daselbst bey verstatteter freyen Ausfuhr nur im Preise
gestiegen seyn würde; und daß man dasjenige nur theurer aus
Holland würde haben wieder kommen lassen müssen, was
bey der freyen Ausfuhr den Nachbar überlassen seyn würde.
Die Frage ist also nicht davon, was die Policey in jenen
erschrecklichen Nothfällen, in jenen spekulativischen Situatio-
nen, wo der Sohn seinen Vater vom Brete stürzt, wenn
sie beyde sinken müssen, sondern was sie in dem Falle billig
zu thun hat:
wenn sie z. E. durch eine zeitige Sperrung den Himten
Roggen zum Thaler herunter halten zu kommen hofft;
bey verstatteter Ausfuhr aber denselben noch einmal so
hoch zu steigen befürchten muß?

Und von diesem Falle, welcher als der gewöhnlichste bey der
Frage von den Schaden oder den Vortheilen der Getraidesperre
billig zum Grunde gelegt werden muß, habe ich behauptet,
daß die Policey am besten thue, in demselben die freye Aus-

fuhr

Gedanken uͤber die Getraideſperre,
Menſchen und Thiere in ſeinen Kaſten genommen haͤtte, als
er wuͤrde haben ausfuttern koͤnnen; ich will Ihnen zugeben,
daß man in der Hungersnoth ſeinen Freund freſſen, und alſo
auch gewiß verhungern laſſen koͤnne; ich will endlich zugeben,
daß kein rechtlicher Vater das Brodt fuͤr die Hunde werfe
und ſeine Kinder darben laſſe.

Allein darinn muß ich Ihnen mit Ihrer Erlaubniß wider-
ſprechen, daß irgend ein Land in Deutſchland und beſonders
das Stift (Muͤnſter), welches Sie zum Muſter anfuͤhren,
ſich in der ſchrecklichen Alternative, entweder Hungers zu
ſterben, oder die Kornausfuhr zu verbieten, befunden haben.

Sie ſelbſt raͤumen dieſes ein; indem Sie ſagen, daß das
Korn daſelbſt bey verſtatteter freyen Ausfuhr nur im Preiſe
geſtiegen ſeyn wuͤrde; und daß man dasjenige nur theurer aus
Holland wuͤrde haben wieder kommen laſſen muͤſſen, was
bey der freyen Ausfuhr den Nachbar uͤberlaſſen ſeyn wuͤrde.
Die Frage iſt alſo nicht davon, was die Policey in jenen
erſchrecklichen Nothfaͤllen, in jenen ſpekulativiſchen Situatio-
nen, wo der Sohn ſeinen Vater vom Brete ſtuͤrzt, wenn
ſie beyde ſinken muͤſſen, ſondern was ſie in dem Falle billig
zu thun hat:
wenn ſie z. E. durch eine zeitige Sperrung den Himten
Roggen zum Thaler herunter halten zu kommen hofft;
bey verſtatteter Ausfuhr aber denſelben noch einmal ſo
hoch zu ſteigen befuͤrchten muß?

Und von dieſem Falle, welcher als der gewoͤhnlichſte bey der
Frage von den Schaden oder den Vortheilen der Getraideſperre
billig zum Grunde gelegt werden muß, habe ich behauptet,
daß die Policey am beſten thue, in demſelben die freye Aus-

fuhr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="44"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber die Getraide&#x017F;perre,</hi></fw><lb/>
Men&#x017F;chen und Thiere in &#x017F;einen Ka&#x017F;ten genommen ha&#x0364;tte, als<lb/>
er wu&#x0364;rde haben ausfuttern ko&#x0364;nnen; ich will Ihnen zugeben,<lb/>
daß man in der Hungersnoth &#x017F;einen Freund fre&#x017F;&#x017F;en, und al&#x017F;o<lb/>
auch gewiß verhungern la&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nne; ich will endlich zugeben,<lb/>
daß kein rechtlicher Vater das Brodt fu&#x0364;r die Hunde werfe<lb/>
und &#x017F;eine Kinder darben la&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Allein darinn muß ich Ihnen mit Ihrer Erlaubniß wider-<lb/>
&#x017F;prechen, daß irgend ein Land in Deut&#x017F;chland und be&#x017F;onders<lb/>
das Stift (Mu&#x0364;n&#x017F;ter), welches Sie zum Mu&#x017F;ter anfu&#x0364;hren,<lb/>
&#x017F;ich in der &#x017F;chrecklichen Alternative, entweder Hungers zu<lb/>
&#x017F;terben, oder die Kornausfuhr zu verbieten, befunden haben.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;elb&#x017F;t ra&#x0364;umen die&#x017F;es ein; indem Sie &#x017F;agen, daß das<lb/>
Korn da&#x017F;elb&#x017F;t bey ver&#x017F;tatteter freyen Ausfuhr nur im Prei&#x017F;e<lb/>
ge&#x017F;tiegen &#x017F;eyn wu&#x0364;rde; und daß man dasjenige nur theurer aus<lb/>
Holland wu&#x0364;rde haben wieder kommen la&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
bey der freyen Ausfuhr den Nachbar u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.<lb/>
Die Frage i&#x017F;t al&#x017F;o nicht davon, was die Policey in jenen<lb/>
er&#x017F;chrecklichen Nothfa&#x0364;llen, in jenen &#x017F;pekulativi&#x017F;chen Situatio-<lb/>
nen, wo der Sohn &#x017F;einen Vater vom Brete &#x017F;tu&#x0364;rzt, wenn<lb/>
&#x017F;ie beyde &#x017F;inken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern was &#x017F;ie in dem Falle billig<lb/>
zu thun hat:<lb/><hi rendition="#et">wenn &#x017F;ie z. E. durch eine zeitige Sperrung den Himten<lb/>
Roggen zum Thaler herunter halten zu kommen hofft;<lb/>
bey ver&#x017F;tatteter Ausfuhr aber den&#x017F;elben noch einmal &#x017F;o<lb/>
hoch zu &#x017F;teigen befu&#x0364;rchten muß?</hi><lb/>
Und von die&#x017F;em Falle, welcher als der gewo&#x0364;hnlich&#x017F;te bey der<lb/>
Frage von den Schaden oder den Vortheilen der Getraide&#x017F;perre<lb/>
billig zum Grunde gelegt werden muß, habe ich behauptet,<lb/>
daß die Policey am be&#x017F;ten thue, in dem&#x017F;elben die freye Aus-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fuhr</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0062] Gedanken uͤber die Getraideſperre, Menſchen und Thiere in ſeinen Kaſten genommen haͤtte, als er wuͤrde haben ausfuttern koͤnnen; ich will Ihnen zugeben, daß man in der Hungersnoth ſeinen Freund freſſen, und alſo auch gewiß verhungern laſſen koͤnne; ich will endlich zugeben, daß kein rechtlicher Vater das Brodt fuͤr die Hunde werfe und ſeine Kinder darben laſſe. Allein darinn muß ich Ihnen mit Ihrer Erlaubniß wider- ſprechen, daß irgend ein Land in Deutſchland und beſonders das Stift (Muͤnſter), welches Sie zum Muſter anfuͤhren, ſich in der ſchrecklichen Alternative, entweder Hungers zu ſterben, oder die Kornausfuhr zu verbieten, befunden haben. Sie ſelbſt raͤumen dieſes ein; indem Sie ſagen, daß das Korn daſelbſt bey verſtatteter freyen Ausfuhr nur im Preiſe geſtiegen ſeyn wuͤrde; und daß man dasjenige nur theurer aus Holland wuͤrde haben wieder kommen laſſen muͤſſen, was bey der freyen Ausfuhr den Nachbar uͤberlaſſen ſeyn wuͤrde. Die Frage iſt alſo nicht davon, was die Policey in jenen erſchrecklichen Nothfaͤllen, in jenen ſpekulativiſchen Situatio- nen, wo der Sohn ſeinen Vater vom Brete ſtuͤrzt, wenn ſie beyde ſinken muͤſſen, ſondern was ſie in dem Falle billig zu thun hat: wenn ſie z. E. durch eine zeitige Sperrung den Himten Roggen zum Thaler herunter halten zu kommen hofft; bey verſtatteter Ausfuhr aber denſelben noch einmal ſo hoch zu ſteigen befuͤrchten muß? Und von dieſem Falle, welcher als der gewoͤhnlichſte bey der Frage von den Schaden oder den Vortheilen der Getraideſperre billig zum Grunde gelegt werden muß, habe ich behauptet, daß die Policey am beſten thue, in demſelben die freye Aus- fuhr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/62
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/62>, abgerufen am 06.05.2024.