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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Die liebenswürdige Kokette
nes Unglücks, gab ihm erst etwas für seine Frau, dann für
seine Kinder, und befahl zuletzt meinen Leuten, ihm zween
Scheffel Roggen und ein Glas Brantewein zu geben. Hier
hätten Sie sehen sollen, wie dem guten Kerl die Thränen in
feurigen Kugeln von den Wangen herunter rolleten; er fieng
laut an zu schluchzen, und nie habe ich die feinste Liebeserklä-
rung mit solcher heimlichen Wollust genossen, als die Dankbar-
keit dieses Greises.

Wie er weggieng, kam ein ander mit einem Arme. Gu-
ter Freund, sagte ich zu ihm, wo habt ihr euren einen Arm
gelassen? Hier lies ich ihm seine Heldenthaten erzählen, wie
er unter dem Herzog Ferdinand gefochten, wie er im Felde
acht Tage lang oft nichts als Kartoffeln aus der Asche geges-
sen und doch niemals so sehr gehungert hätte als jetzt. Ich
fragte ihn nach allen was er von dem Herzoge wußte, und
freuete mich, daß seine Augen immer heiterer wurden, je mehr
er von ihm sprach. Durch alles fragen, loben, und bedau-
ren, wobey ich ihm zuletzt mit ei[n]em empfindsamen Blicke sagte:
er wäre wohl in seinen jüngern Jahren ein hübscher Kerl ge-
wesen, und ihm darauf einen Dukaten in die Hand drückte,
auch einen Scheffel Roggen zu geben befahl, setzte ich den
Mann in eine solche Entzückung, daß er mir mit einem Eyfer,
den ich an einem Prinzen Unverschämtheit genannt haben
würde, auf die Hand fiel, und solche küssete, ehe ich sie weg-
ziehen konnte. Fy! werden Sie sagen, sich von einem Bett-
ler die Hand küssen zu lassen! Ja nun! es ist geschehen, und
die Erinnerung macht mich nicht roth.

Zwanzigmal gebe ich aber armen Frauensleuten einige
Groschen, ohne in die Versuchung zu gerathen, mit ihnen ein
bisgen zu wimmern und zu seufzen, und ihnen Thränen der

Dank

Die liebenswuͤrdige Kokette
nes Ungluͤcks, gab ihm erſt etwas fuͤr ſeine Frau, dann fuͤr
ſeine Kinder, und befahl zuletzt meinen Leuten, ihm zween
Scheffel Roggen und ein Glas Brantewein zu geben. Hier
haͤtten Sie ſehen ſollen, wie dem guten Kerl die Thraͤnen in
feurigen Kugeln von den Wangen herunter rolleten; er fieng
laut an zu ſchluchzen, und nie habe ich die feinſte Liebeserklaͤ-
rung mit ſolcher heimlichen Wolluſt genoſſen, als die Dankbar-
keit dieſes Greiſes.

Wie er weggieng, kam ein ander mit einem Arme. Gu-
ter Freund, ſagte ich zu ihm, wo habt ihr euren einen Arm
gelaſſen? Hier lies ich ihm ſeine Heldenthaten erzaͤhlen, wie
er unter dem Herzog Ferdinand gefochten, wie er im Felde
acht Tage lang oft nichts als Kartoffeln aus der Aſche gegeſ-
ſen und doch niemals ſo ſehr gehungert haͤtte als jetzt. Ich
fragte ihn nach allen was er von dem Herzoge wußte, und
freuete mich, daß ſeine Augen immer heiterer wurden, je mehr
er von ihm ſprach. Durch alles fragen, loben, und bedau-
ren, wobey ich ihm zuletzt mit ei[n]em empfindſamen Blicke ſagte:
er waͤre wohl in ſeinen juͤngern Jahren ein huͤbſcher Kerl ge-
weſen, und ihm darauf einen Dukaten in die Hand druͤckte,
auch einen Scheffel Roggen zu geben befahl, ſetzte ich den
Mann in eine ſolche Entzuͤckung, daß er mir mit einem Eyfer,
den ich an einem Prinzen Unverſchaͤmtheit genannt haben
wuͤrde, auf die Hand fiel, und ſolche kuͤſſete, ehe ich ſie weg-
ziehen konnte. Fy! werden Sie ſagen, ſich von einem Bett-
ler die Hand kuͤſſen zu laſſen! Ja nun! es iſt geſchehen, und
die Erinnerung macht mich nicht roth.

Zwanzigmal gebe ich aber armen Frauensleuten einige
Groſchen, ohne in die Verſuchung zu gerathen, mit ihnen ein
bisgen zu wimmern und zu ſeufzen, und ihnen Thraͤnen der

Dank
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[38/0056] Die liebenswuͤrdige Kokette nes Ungluͤcks, gab ihm erſt etwas fuͤr ſeine Frau, dann fuͤr ſeine Kinder, und befahl zuletzt meinen Leuten, ihm zween Scheffel Roggen und ein Glas Brantewein zu geben. Hier haͤtten Sie ſehen ſollen, wie dem guten Kerl die Thraͤnen in feurigen Kugeln von den Wangen herunter rolleten; er fieng laut an zu ſchluchzen, und nie habe ich die feinſte Liebeserklaͤ- rung mit ſolcher heimlichen Wolluſt genoſſen, als die Dankbar- keit dieſes Greiſes. Wie er weggieng, kam ein ander mit einem Arme. Gu- ter Freund, ſagte ich zu ihm, wo habt ihr euren einen Arm gelaſſen? Hier lies ich ihm ſeine Heldenthaten erzaͤhlen, wie er unter dem Herzog Ferdinand gefochten, wie er im Felde acht Tage lang oft nichts als Kartoffeln aus der Aſche gegeſ- ſen und doch niemals ſo ſehr gehungert haͤtte als jetzt. Ich fragte ihn nach allen was er von dem Herzoge wußte, und freuete mich, daß ſeine Augen immer heiterer wurden, je mehr er von ihm ſprach. Durch alles fragen, loben, und bedau- ren, wobey ich ihm zuletzt mit einem empfindſamen Blicke ſagte: er waͤre wohl in ſeinen juͤngern Jahren ein huͤbſcher Kerl ge- weſen, und ihm darauf einen Dukaten in die Hand druͤckte, auch einen Scheffel Roggen zu geben befahl, ſetzte ich den Mann in eine ſolche Entzuͤckung, daß er mir mit einem Eyfer, den ich an einem Prinzen Unverſchaͤmtheit genannt haben wuͤrde, auf die Hand fiel, und ſolche kuͤſſete, ehe ich ſie weg- ziehen konnte. Fy! werden Sie ſagen, ſich von einem Bett- ler die Hand kuͤſſen zu laſſen! Ja nun! es iſt geſchehen, und die Erinnerung macht mich nicht roth. Zwanzigmal gebe ich aber armen Frauensleuten einige Groſchen, ohne in die Verſuchung zu gerathen, mit ihnen ein bisgen zu wimmern und zu ſeufzen, und ihnen Thraͤnen der Dank

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/56>, abgerufen am 21.11.2024.