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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der junge Rath.
mit einer gewissen zärtlichen Manier, über deren Werth man
sich völlig versteht. Es giebt aber in dieser feinen Welt noch
Leute welche diese Sprache und diese Manier besonders studi-
ret haben, jeden Ausdruck ihrer Augen, jeden Ton ihrer
Stimme, jeden Druck ihrer Hand, und was noch mehr ist,
selbst einen guten Theil ihres Verstandes und ihrer Tugenden
in dieses Geschäfte übertragen, und eine besondre Wissenschaft
daraus machen. Man kan dergleichen Leute nicht hassen, so
lange ihr Betragen nicht aus Falschheit herrührt; man muß
sie auch dulden, wenn es nicht ins abgeschmackte fällt; bey
dem allen aber ist es doch das Zeichen eines kleinen Genies,
so vieles auf den bloßen Ausdruck zu geben, und anstatt sich
Wahrheiten und Tugenden zu erwerben, nur immer den Gra-
zien der Figur nachzustreben.

Selimor gehörte völlig in diese Classe. Außer jener allge-
meinen Sprache, und den geläufigen Freundschaftsbezeugungen
gegen alle seine Mitbürger in der feinen Welt, hatte er die
Kunst gefällig zu seyn aufs höchste gebracht. Dorinde mochte
vorlegen oder reden, so bezeugte ihr sein aufmerksames Auge,
daß er alle ihre Gedanken und Bewegungen dankbar fühlte.
Aus allen seinen Wendungen lächelte ihr eine sanfte Schmei-
cheley entgegen; und wenn der Fürst in den Hofsaal trat: so
sprach die feinste Ehrfurcht aus jedem sanften Tritte, womit
er den Boden des Zimmers berührte. Seine Stellung war
der schönste Ausdruck einer liebenswürdigen Bescheidenheit;
und alle Tugenden dienten seiner Begierde der angenehmste
Mann zu seyn. Ohne Liebe und Freundschaft zu fühlen wußte
er die Spröde zu gewinnen, und der Zärtlichen einen Seufzer
abzulocken. Die Flatterhafte sahe sich flüchtig nach ihn um,
und die Ernsthafte verweilte sich gern bey ihm. Kurz in der
ganzen feinen Welt war kein Auge das ihn durch schauete; er

herrschte
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Der junge Rath.
mit einer gewiſſen zaͤrtlichen Manier, uͤber deren Werth man
ſich voͤllig verſteht. Es giebt aber in dieſer feinen Welt noch
Leute welche dieſe Sprache und dieſe Manier beſonders ſtudi-
ret haben, jeden Ausdruck ihrer Augen, jeden Ton ihrer
Stimme, jeden Druck ihrer Hand, und was noch mehr iſt,
ſelbſt einen guten Theil ihres Verſtandes und ihrer Tugenden
in dieſes Geſchaͤfte uͤbertragen, und eine beſondre Wiſſenſchaft
daraus machen. Man kan dergleichen Leute nicht haſſen, ſo
lange ihr Betragen nicht aus Falſchheit herruͤhrt; man muß
ſie auch dulden, wenn es nicht ins abgeſchmackte faͤllt; bey
dem allen aber iſt es doch das Zeichen eines kleinen Genies,
ſo vieles auf den bloßen Ausdruck zu geben, und anſtatt ſich
Wahrheiten und Tugenden zu erwerben, nur immer den Gra-
zien der Figur nachzuſtreben.

Selimor gehoͤrte voͤllig in dieſe Claſſe. Außer jener allge-
meinen Sprache, und den gelaͤufigen Freundſchaftsbezeugungen
gegen alle ſeine Mitbuͤrger in der feinen Welt, hatte er die
Kunſt gefaͤllig zu ſeyn aufs hoͤchſte gebracht. Dorinde mochte
vorlegen oder reden, ſo bezeugte ihr ſein aufmerkſames Auge,
daß er alle ihre Gedanken und Bewegungen dankbar fuͤhlte.
Aus allen ſeinen Wendungen laͤchelte ihr eine ſanfte Schmei-
cheley entgegen; und wenn der Fuͤrſt in den Hofſaal trat: ſo
ſprach die feinſte Ehrfurcht aus jedem ſanften Tritte, womit
er den Boden des Zimmers beruͤhrte. Seine Stellung war
der ſchoͤnſte Ausdruck einer liebenswuͤrdigen Beſcheidenheit;
und alle Tugenden dienten ſeiner Begierde der angenehmſte
Mann zu ſeyn. Ohne Liebe und Freundſchaft zu fuͤhlen wußte
er die Sproͤde zu gewinnen, und der Zaͤrtlichen einen Seufzer
abzulocken. Die Flatterhafte ſahe ſich fluͤchtig nach ihn um,
und die Ernſthafte verweilte ſich gern bey ihm. Kurz in der
ganzen feinen Welt war kein Auge das ihn durch ſchauete; er

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[487/0505] Der junge Rath. mit einer gewiſſen zaͤrtlichen Manier, uͤber deren Werth man ſich voͤllig verſteht. Es giebt aber in dieſer feinen Welt noch Leute welche dieſe Sprache und dieſe Manier beſonders ſtudi- ret haben, jeden Ausdruck ihrer Augen, jeden Ton ihrer Stimme, jeden Druck ihrer Hand, und was noch mehr iſt, ſelbſt einen guten Theil ihres Verſtandes und ihrer Tugenden in dieſes Geſchaͤfte uͤbertragen, und eine beſondre Wiſſenſchaft daraus machen. Man kan dergleichen Leute nicht haſſen, ſo lange ihr Betragen nicht aus Falſchheit herruͤhrt; man muß ſie auch dulden, wenn es nicht ins abgeſchmackte faͤllt; bey dem allen aber iſt es doch das Zeichen eines kleinen Genies, ſo vieles auf den bloßen Ausdruck zu geben, und anſtatt ſich Wahrheiten und Tugenden zu erwerben, nur immer den Gra- zien der Figur nachzuſtreben. Selimor gehoͤrte voͤllig in dieſe Claſſe. Außer jener allge- meinen Sprache, und den gelaͤufigen Freundſchaftsbezeugungen gegen alle ſeine Mitbuͤrger in der feinen Welt, hatte er die Kunſt gefaͤllig zu ſeyn aufs hoͤchſte gebracht. Dorinde mochte vorlegen oder reden, ſo bezeugte ihr ſein aufmerkſames Auge, daß er alle ihre Gedanken und Bewegungen dankbar fuͤhlte. Aus allen ſeinen Wendungen laͤchelte ihr eine ſanfte Schmei- cheley entgegen; und wenn der Fuͤrſt in den Hofſaal trat: ſo ſprach die feinſte Ehrfurcht aus jedem ſanften Tritte, womit er den Boden des Zimmers beruͤhrte. Seine Stellung war der ſchoͤnſte Ausdruck einer liebenswuͤrdigen Beſcheidenheit; und alle Tugenden dienten ſeiner Begierde der angenehmſte Mann zu ſeyn. Ohne Liebe und Freundſchaft zu fuͤhlen wußte er die Sproͤde zu gewinnen, und der Zaͤrtlichen einen Seufzer abzulocken. Die Flatterhafte ſahe ſich fluͤchtig nach ihn um, und die Ernſthafte verweilte ſich gern bey ihm. Kurz in der ganzen feinen Welt war kein Auge das ihn durch ſchauete; er herrſchte H h 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/505>, abgerufen am 23.11.2024.