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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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und Verordnungen, ist der gemeinen etc.
lebt, das andre aber nicht. Wie viel tausend Rechtsfragen
entstehen aus dieser einzigen Verschiedenheit, und müssen ge-
gen den einen so, und gegen den andern anners entschieden
werden, wofern man nicht Gläubiger um ihre Forderungen,
Kinder um erworbene Rechte, Mütter um ihre Sicherheit
bringen will? Wollte man hier sagen, es wäre besser, daß
entweder alle Eheleute in Gemeinschaft, oder alle außer der-
selben lebten: so würde dieses eine unnöthige Einschränkung
der Freyheit, und in vielen Fällen, die man hier nicht an-
geben kan, höchstschädlich seyn. Durch ein allgemeines Ge-
setz läßt sich aber, wenn einmal die eine Haushaltung so und
die andre anders lebt, hier gar keine Veränderung wagen,
wofern man nicht eine Menge von Ungerechtigkeiten begehen
will. Nicht einmal die Erbfolge läßt sich auf eine plötzliche
Art durch ein allgemeines Recht verändern, und in eine
Gleichförmigkeit bringen, ohne sehr viele Familien in Un-
glück und Verwirrung zu stürzen. Verträge gelten gegen
Gesetze, und Besitz und Verjährung haben gleiche Rechte
mit Verträgen, und können ohne große Ungerechtigkeiten zu
begehen nicht zurückgesetzet werden.

In dem ökonomischen Fache veranlassen die Localumstände
noch eine größere Verschiedenheit. Wo an einem Orte das
Holz geschonet werden muß, mag es an einem andern ver-
schwendet werden. Wo hier die Viehtrift im Holze schäd-
lich ist, muß sie an einem andern aus höhern Ursachen ge-
duldet werden. Wo hier die Schweine gekrampfet oder ge-
hütet, oder auf dem Stalle gehalten werden müssen, können sie
an einem andern frey gehen -- Wer kan hier eine General-
forst- oder Markenordnung machen, und verbieten oder zu-
lassen, ohne dem Privateigenthum und eines jeden Forstes
oder dessen Anwohner wahrer Nutzung zu schaden?

Zwar
B 2

und Verordnungen, iſt der gemeinen ꝛc.
lebt, das andre aber nicht. Wie viel tauſend Rechtsfragen
entſtehen aus dieſer einzigen Verſchiedenheit, und muͤſſen ge-
gen den einen ſo, und gegen den andern anners entſchieden
werden, wofern man nicht Glaͤubiger um ihre Forderungen,
Kinder um erworbene Rechte, Muͤtter um ihre Sicherheit
bringen will? Wollte man hier ſagen, es waͤre beſſer, daß
entweder alle Eheleute in Gemeinſchaft, oder alle außer der-
ſelben lebten: ſo wuͤrde dieſes eine unnoͤthige Einſchraͤnkung
der Freyheit, und in vielen Faͤllen, die man hier nicht an-
geben kan, hoͤchſtſchaͤdlich ſeyn. Durch ein allgemeines Ge-
ſetz laͤßt ſich aber, wenn einmal die eine Haushaltung ſo und
die andre anders lebt, hier gar keine Veraͤnderung wagen,
wofern man nicht eine Menge von Ungerechtigkeiten begehen
will. Nicht einmal die Erbfolge laͤßt ſich auf eine ploͤtzliche
Art durch ein allgemeines Recht veraͤndern, und in eine
Gleichfoͤrmigkeit bringen, ohne ſehr viele Familien in Un-
gluͤck und Verwirrung zu ſtuͤrzen. Vertraͤge gelten gegen
Geſetze, und Beſitz und Verjaͤhrung haben gleiche Rechte
mit Vertraͤgen, und koͤnnen ohne große Ungerechtigkeiten zu
begehen nicht zuruͤckgeſetzet werden.

In dem oͤkonomiſchen Fache veranlaſſen die Localumſtaͤnde
noch eine groͤßere Verſchiedenheit. Wo an einem Orte das
Holz geſchonet werden muß, mag es an einem andern ver-
ſchwendet werden. Wo hier die Viehtrift im Holze ſchaͤd-
lich iſt, muß ſie an einem andern aus hoͤhern Urſachen ge-
duldet werden. Wo hier die Schweine gekrampfet oder ge-
huͤtet, oder auf dem Stalle gehalten werden muͤſſen, koͤnnen ſie
an einem andern frey gehen — Wer kan hier eine General-
forſt- oder Markenordnung machen, und verbieten oder zu-
laſſen, ohne dem Privateigenthum und eines jeden Forſtes
oder deſſen Anwohner wahrer Nutzung zu ſchaden?

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[19/0037] und Verordnungen, iſt der gemeinen ꝛc. lebt, das andre aber nicht. Wie viel tauſend Rechtsfragen entſtehen aus dieſer einzigen Verſchiedenheit, und muͤſſen ge- gen den einen ſo, und gegen den andern anners entſchieden werden, wofern man nicht Glaͤubiger um ihre Forderungen, Kinder um erworbene Rechte, Muͤtter um ihre Sicherheit bringen will? Wollte man hier ſagen, es waͤre beſſer, daß entweder alle Eheleute in Gemeinſchaft, oder alle außer der- ſelben lebten: ſo wuͤrde dieſes eine unnoͤthige Einſchraͤnkung der Freyheit, und in vielen Faͤllen, die man hier nicht an- geben kan, hoͤchſtſchaͤdlich ſeyn. Durch ein allgemeines Ge- ſetz laͤßt ſich aber, wenn einmal die eine Haushaltung ſo und die andre anders lebt, hier gar keine Veraͤnderung wagen, wofern man nicht eine Menge von Ungerechtigkeiten begehen will. Nicht einmal die Erbfolge laͤßt ſich auf eine ploͤtzliche Art durch ein allgemeines Recht veraͤndern, und in eine Gleichfoͤrmigkeit bringen, ohne ſehr viele Familien in Un- gluͤck und Verwirrung zu ſtuͤrzen. Vertraͤge gelten gegen Geſetze, und Beſitz und Verjaͤhrung haben gleiche Rechte mit Vertraͤgen, und koͤnnen ohne große Ungerechtigkeiten zu begehen nicht zuruͤckgeſetzet werden. In dem oͤkonomiſchen Fache veranlaſſen die Localumſtaͤnde noch eine groͤßere Verſchiedenheit. Wo an einem Orte das Holz geſchonet werden muß, mag es an einem andern ver- ſchwendet werden. Wo hier die Viehtrift im Holze ſchaͤd- lich iſt, muß ſie an einem andern aus hoͤhern Urſachen ge- duldet werden. Wo hier die Schweine gekrampfet oder ge- huͤtet, oder auf dem Stalle gehalten werden muͤſſen, koͤnnen ſie an einem andern frey gehen — Wer kan hier eine General- forſt- oder Markenordnung machen, und verbieten oder zu- laſſen, ohne dem Privateigenthum und eines jeden Forſtes oder deſſen Anwohner wahrer Nutzung zu ſchaden? Zwar B 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/37>, abgerufen am 28.03.2024.