Und wie viele Ungerechtigkeiten würden nicht in einem Staate, unter dem Scheine das Verdienst zu befördern, vor- genommen werden können? Der Fürst ist nicht allemal ein einsichtsvoller Richter; er kan auch von seiner Höhe nicht alles übersehen. Diesem würde ein Günstling, jenem eine Maitresse Verdienste leihen, und wahrscheinlich würde der dreiste Stümper den bescheidnen Künstler, der gefällige Schmeichler den stillen Redlichen, der unruhige Projectenma- cher den erfahrnen Cameralisten, und das schimmernde alle- mal das wahre verdringen. Der Fürst, wo er wider alle Wahrscheinlichkeit nicht zugleich der größte Mann von Ein- sicht und Redlichkeit wäre, würde sich wenigstens in der größ- ten Verlegenheit befinden; oder sich unter dem Vorwande das Verdienst zu belohnen, zu einem orientalischen Despoten er- heben, der zuerst aus einem ähnlichen Grundsatze abgereiset ist, wie er einen Sclaven zu seinem ersten Minister verord- nete, alle Klassen der Menschen durch einander mischte, und sich allein zum Ungeheuer machte. Wer ruhig in der Welt leben; wer die Süßigkeit der Freundschast genießen; werden Beyfall der Redlichen behalten, und große Endzwecke beför- dern wollte; würde sein Verdienst verläugnen, und sich für alle äußerliche Belohnungen desselben mit der größten Sorg- falt in Acht nehmen müssen.
Wäten wir Menschen nicht so beschaffen, daß jeder nicht die beste Meynung von sich selbst hätte: so möchte es freylich anders seyn. Allein so lange wir unsre jetzige Natur und un- sre Leidenschaften behalten, und so lange es gewisser maßen nöthig ist, daß jeder eine gute Meynung von sich selbst habe, scheinet mir die Beförderung nach Verdiensten gerade das Mittel zu seyn, alles zu verwirren. Schon jetzt ist es im Militairstande eine Art von Gesetz, daß der ältere Officier seinen Abschied nehmen muß, wenn ihm ein jüngerer vorge-
zogen
An einen Officier.
Und wie viele Ungerechtigkeiten wuͤrden nicht in einem Staate, unter dem Scheine das Verdienſt zu befoͤrdern, vor- genommen werden koͤnnen? Der Fuͤrſt iſt nicht allemal ein einſichtsvoller Richter; er kan auch von ſeiner Hoͤhe nicht alles uͤberſehen. Dieſem wuͤrde ein Guͤnſtling, jenem eine Maitreſſe Verdienſte leihen, und wahrſcheinlich wuͤrde der dreiſte Stuͤmper den beſcheidnen Kuͤnſtler, der gefaͤllige Schmeichler den ſtillen Redlichen, der unruhige Projectenma- cher den erfahrnen Cameraliſten, und das ſchimmernde alle- mal das wahre verdringen. Der Fuͤrſt, wo er wider alle Wahrſcheinlichkeit nicht zugleich der groͤßte Mann von Ein- ſicht und Redlichkeit waͤre, wuͤrde ſich wenigſtens in der groͤß- ten Verlegenheit befinden; oder ſich unter dem Vorwande das Verdienſt zu belohnen, zu einem orientaliſchen Deſpoten er- heben, der zuerſt aus einem aͤhnlichen Grundſatze abgereiſet iſt, wie er einen Sclaven zu ſeinem erſten Miniſter verord- nete, alle Klaſſen der Menſchen durch einander miſchte, und ſich allein zum Ungeheuer machte. Wer ruhig in der Welt leben; wer die Suͤßigkeit der Freundſchaſt genießen; werden Beyfall der Redlichen behalten, und große Endzwecke befoͤr- dern wollte; wuͤrde ſein Verdienſt verlaͤugnen, und ſich fuͤr alle aͤußerliche Belohnungen deſſelben mit der groͤßten Sorg- falt in Acht nehmen muͤſſen.
Waͤten wir Menſchen nicht ſo beſchaffen, daß jeder nicht die beſte Meynung von ſich ſelbſt haͤtte: ſo moͤchte es freylich anders ſeyn. Allein ſo lange wir unſre jetzige Natur und un- ſre Leidenſchaften behalten, und ſo lange es gewiſſer maßen noͤthig iſt, daß jeder eine gute Meynung von ſich ſelbſt habe, ſcheinet mir die Befoͤrderung nach Verdienſten gerade das Mittel zu ſeyn, alles zu verwirren. Schon jetzt iſt es im Militairſtande eine Art von Geſetz, daß der aͤltere Officier ſeinen Abſchied nehmen muß, wenn ihm ein juͤngerer vorge-
zogen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0335"n="317"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">An einen Officier.</hi></fw><lb/><p>Und wie viele Ungerechtigkeiten wuͤrden nicht in einem<lb/>
Staate, unter dem Scheine das Verdienſt zu befoͤrdern, vor-<lb/>
genommen werden koͤnnen? Der Fuͤrſt iſt nicht allemal ein<lb/>
einſichtsvoller Richter; er kan auch von ſeiner Hoͤhe nicht<lb/>
alles uͤberſehen. Dieſem wuͤrde ein Guͤnſtling, jenem eine<lb/>
Maitreſſe Verdienſte leihen, und wahrſcheinlich wuͤrde der<lb/>
dreiſte Stuͤmper den beſcheidnen Kuͤnſtler, der gefaͤllige<lb/>
Schmeichler den ſtillen Redlichen, der unruhige Projectenma-<lb/>
cher den erfahrnen Cameraliſten, und das ſchimmernde alle-<lb/>
mal das wahre verdringen. Der Fuͤrſt, wo er wider alle<lb/>
Wahrſcheinlichkeit nicht zugleich der groͤßte Mann von Ein-<lb/>ſicht und Redlichkeit waͤre, wuͤrde ſich wenigſtens in der groͤß-<lb/>
ten Verlegenheit befinden; oder ſich unter dem Vorwande das<lb/>
Verdienſt zu belohnen, zu einem orientaliſchen Deſpoten er-<lb/>
heben, der zuerſt aus einem aͤhnlichen Grundſatze abgereiſet<lb/>
iſt, wie er einen Sclaven zu ſeinem erſten Miniſter verord-<lb/>
nete, alle Klaſſen der Menſchen durch einander miſchte, und<lb/>ſich allein zum Ungeheuer machte. Wer ruhig in der Welt<lb/>
leben; wer die Suͤßigkeit der Freundſchaſt genießen; werden<lb/>
Beyfall der Redlichen behalten, und große Endzwecke befoͤr-<lb/>
dern wollte; wuͤrde ſein Verdienſt verlaͤugnen, und ſich fuͤr<lb/>
alle aͤußerliche Belohnungen deſſelben mit der groͤßten Sorg-<lb/>
falt in Acht nehmen muͤſſen.</p><lb/><p>Waͤten wir Menſchen nicht ſo beſchaffen, daß jeder nicht<lb/>
die beſte Meynung von ſich ſelbſt haͤtte: ſo moͤchte es freylich<lb/>
anders ſeyn. Allein ſo lange wir unſre jetzige Natur und un-<lb/>ſre Leidenſchaften behalten, und ſo lange es gewiſſer maßen<lb/>
noͤthig iſt, daß jeder eine gute Meynung von ſich ſelbſt habe,<lb/>ſcheinet mir die Befoͤrderung nach Verdienſten gerade das<lb/>
Mittel zu ſeyn, alles zu verwirren. Schon jetzt iſt es im<lb/>
Militairſtande eine Art von Geſetz, daß der aͤltere Officier<lb/>ſeinen Abſchied nehmen muß, wenn ihm ein juͤngerer vorge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zogen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[317/0335]
An einen Officier.
Und wie viele Ungerechtigkeiten wuͤrden nicht in einem
Staate, unter dem Scheine das Verdienſt zu befoͤrdern, vor-
genommen werden koͤnnen? Der Fuͤrſt iſt nicht allemal ein
einſichtsvoller Richter; er kan auch von ſeiner Hoͤhe nicht
alles uͤberſehen. Dieſem wuͤrde ein Guͤnſtling, jenem eine
Maitreſſe Verdienſte leihen, und wahrſcheinlich wuͤrde der
dreiſte Stuͤmper den beſcheidnen Kuͤnſtler, der gefaͤllige
Schmeichler den ſtillen Redlichen, der unruhige Projectenma-
cher den erfahrnen Cameraliſten, und das ſchimmernde alle-
mal das wahre verdringen. Der Fuͤrſt, wo er wider alle
Wahrſcheinlichkeit nicht zugleich der groͤßte Mann von Ein-
ſicht und Redlichkeit waͤre, wuͤrde ſich wenigſtens in der groͤß-
ten Verlegenheit befinden; oder ſich unter dem Vorwande das
Verdienſt zu belohnen, zu einem orientaliſchen Deſpoten er-
heben, der zuerſt aus einem aͤhnlichen Grundſatze abgereiſet
iſt, wie er einen Sclaven zu ſeinem erſten Miniſter verord-
nete, alle Klaſſen der Menſchen durch einander miſchte, und
ſich allein zum Ungeheuer machte. Wer ruhig in der Welt
leben; wer die Suͤßigkeit der Freundſchaſt genießen; werden
Beyfall der Redlichen behalten, und große Endzwecke befoͤr-
dern wollte; wuͤrde ſein Verdienſt verlaͤugnen, und ſich fuͤr
alle aͤußerliche Belohnungen deſſelben mit der groͤßten Sorg-
falt in Acht nehmen muͤſſen.
Waͤten wir Menſchen nicht ſo beſchaffen, daß jeder nicht
die beſte Meynung von ſich ſelbſt haͤtte: ſo moͤchte es freylich
anders ſeyn. Allein ſo lange wir unſre jetzige Natur und un-
ſre Leidenſchaften behalten, und ſo lange es gewiſſer maßen
noͤthig iſt, daß jeder eine gute Meynung von ſich ſelbſt habe,
ſcheinet mir die Befoͤrderung nach Verdienſten gerade das
Mittel zu ſeyn, alles zu verwirren. Schon jetzt iſt es im
Militairſtande eine Art von Geſetz, daß der aͤltere Officier
ſeinen Abſchied nehmen muß, wenn ihm ein juͤngerer vorge-
zogen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/335>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.