Forderungen der Noth sind strenger als die Gesetze; man reißt seines Nachbarn Haus nieder, um seines zu retten; aber wehe dem Bösewicht der das Feuer selbst anlegt, um ein Recht zu dieser Rettung zu erlangen, und der die Noth muthwillig ver- ursachet, um deu Fleiß zu erwecken.
Es ist unstreitig hart die Sünden der Väter an den unschul- digen Müttern und Kindern zu rächen; und wir haben aus ei- ner besondern Menschenliebe fast alle die alten Gesetze gemil- dert, welche nur einigermassen dahin würkten. Aber es ist auch sehr hart, daß da, wo zwanzig unangesessene Väter ins Zuchthaus kommen, der Unterhalt von zwanzig Müttern und hundert Kinder, welche sich ohne ihrem Vater nicht ernähren können, dem Kirchspiel oder dem Staat zur Last falle. Hier fordert die größere Bevölkerung wiederum eine nothwendige Strenge; sie fordert, daß Mutter und Kinder mit dem Va- ter, der den Staat unsicher gemacht hat, des Landes verwie- sen werden, sollten sie auch gleich darüber im Elende umkom- men. Es gehört dieses zu den nothwendigen Aufopferungen; welche Religion und Menschenliebe zwar allezeit von selbst mildern werden, die aber doch in den Augen und Anstalten des Gesetzgebers ihre Richtigkeit behalten müssen. Der Ge- setzgeber muß je mehr die Bevölkerung zunimmt, desto stren- ger seinem Plan nachgehen, er muß das Mitleid und die Menschenliebe nicht mit Anstalten beschweren; sondern diesen die süße und würksame Freyheit lassen nach eignen Empfindun- gen zu handeln; welche nur zur Zeit der äussersten Noth um so viel würksamer seyn werden, je minder sie vorher in die gesetzmäßigen Anstalten eingeflochten worden. Die üdrigen Beschwerden welche die zu starke Bevölkerung im Stifte Oß- nabrück nach sich zieht und die noch eine besondre Betrachtung erfordern, sind folgende.
Der
durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
Forderungen der Noth ſind ſtrenger als die Geſetze; man reißt ſeines Nachbarn Haus nieder, um ſeines zu retten; aber wehe dem Boͤſewicht der das Feuer ſelbſt anlegt, um ein Recht zu dieſer Rettung zu erlangen, und der die Noth muthwillig ver- urſachet, um deu Fleiß zu erwecken.
Es iſt unſtreitig hart die Suͤnden der Vaͤter an den unſchul- digen Muͤttern und Kindern zu raͤchen; und wir haben aus ei- ner beſondern Menſchenliebe faſt alle die alten Geſetze gemil- dert, welche nur einigermaſſen dahin wuͤrkten. Aber es iſt auch ſehr hart, daß da, wo zwanzig unangeſeſſene Vaͤter ins Zuchthaus kommen, der Unterhalt von zwanzig Muͤttern und hundert Kinder, welche ſich ohne ihrem Vater nicht ernaͤhren koͤnnen, dem Kirchſpiel oder dem Staat zur Laſt falle. Hier fordert die groͤßere Bevoͤlkerung wiederum eine nothwendige Strenge; ſie fordert, daß Mutter und Kinder mit dem Va- ter, der den Staat unſicher gemacht hat, des Landes verwie- ſen werden, ſollten ſie auch gleich daruͤber im Elende umkom- men. Es gehoͤrt dieſes zu den nothwendigen Aufopferungen; welche Religion und Menſchenliebe zwar allezeit von ſelbſt mildern werden, die aber doch in den Augen und Anſtalten des Geſetzgebers ihre Richtigkeit behalten muͤſſen. Der Ge- ſetzgeber muß je mehr die Bevoͤlkerung zunimmt, deſto ſtren- ger ſeinem Plan nachgehen, er muß das Mitleid und die Menſchenliebe nicht mit Anſtalten beſchweren; ſondern dieſen die ſuͤße und wuͤrkſame Freyheit laſſen nach eignen Empfindun- gen zu handeln; welche nur zur Zeit der aͤuſſerſten Noth um ſo viel wuͤrkſamer ſeyn werden, je minder ſie vorher in die geſetzmaͤßigen Anſtalten eingeflochten worden. Die uͤdrigen Beſchwerden welche die zu ſtarke Bevoͤlkerung im Stifte Oß- nabruͤck nach ſich zieht und die noch eine beſondre Betrachtung erfordern, ſind folgende.
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[13/0031]
durch Nebenwohner, auf die Geſetzgebung.
Forderungen der Noth ſind ſtrenger als die Geſetze; man reißt
ſeines Nachbarn Haus nieder, um ſeines zu retten; aber wehe
dem Boͤſewicht der das Feuer ſelbſt anlegt, um ein Recht zu
dieſer Rettung zu erlangen, und der die Noth muthwillig ver-
urſachet, um deu Fleiß zu erwecken.
Es iſt unſtreitig hart die Suͤnden der Vaͤter an den unſchul-
digen Muͤttern und Kindern zu raͤchen; und wir haben aus ei-
ner beſondern Menſchenliebe faſt alle die alten Geſetze gemil-
dert, welche nur einigermaſſen dahin wuͤrkten. Aber es iſt
auch ſehr hart, daß da, wo zwanzig unangeſeſſene Vaͤter ins
Zuchthaus kommen, der Unterhalt von zwanzig Muͤttern und
hundert Kinder, welche ſich ohne ihrem Vater nicht ernaͤhren
koͤnnen, dem Kirchſpiel oder dem Staat zur Laſt falle. Hier
fordert die groͤßere Bevoͤlkerung wiederum eine nothwendige
Strenge; ſie fordert, daß Mutter und Kinder mit dem Va-
ter, der den Staat unſicher gemacht hat, des Landes verwie-
ſen werden, ſollten ſie auch gleich daruͤber im Elende umkom-
men. Es gehoͤrt dieſes zu den nothwendigen Aufopferungen;
welche Religion und Menſchenliebe zwar allezeit von ſelbſt
mildern werden, die aber doch in den Augen und Anſtalten
des Geſetzgebers ihre Richtigkeit behalten muͤſſen. Der Ge-
ſetzgeber muß je mehr die Bevoͤlkerung zunimmt, deſto ſtren-
ger ſeinem Plan nachgehen, er muß das Mitleid und die
Menſchenliebe nicht mit Anſtalten beſchweren; ſondern dieſen
die ſuͤße und wuͤrkſame Freyheit laſſen nach eignen Empfindun-
gen zu handeln; welche nur zur Zeit der aͤuſſerſten Noth um
ſo viel wuͤrkſamer ſeyn werden, je minder ſie vorher in die
geſetzmaͤßigen Anſtalten eingeflochten worden. Die uͤdrigen
Beſchwerden welche die zu ſtarke Bevoͤlkerung im Stifte Oß-
nabruͤck nach ſich zieht und die noch eine beſondre Betrachtung
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/31>, abgerufen am 28.01.2025.
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