Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Schr. ein. Ehrenmitgl. des löbl. Schneideramts,
ses, daß wenn der Adel solchergestalt zur gemeinen Ehre wird,
man über fünfzig Jahre darauf fallen werde, solchen allem
was von Mutterleibe ächt oder unächt gebohren wird, eben-
falls mitzutheilen; und dann sey Gott dem armen Staate gnä-
dig! Er wird die Handwerker mit baarem Gelde aufmuntern
müssen, und der Fürst von der Ehre, wodurch die Menschen
sich sonst so ziemlich wohlfeil leiten lassen, gar keinen Gebrauch
machen können.

Im Grunde müssen die Leute, welche am Ruder des Staats
klimpern, kein Gefühl von der gemeiuen Ehre haben, und
nachdem sie sich auf eine gewisse Höhe geschwungen, den Rest
der Menschen für einen Haufen Gewürme ansehen, sonst wür-
den sie doch nicht in solche Widersprüche verfallen. In Eng-
land, sagen sie zwar, würde alles ohne Unterscheid in Gil-
den und Zünste aufgenommen. Allein ich bin auch an der
Themse gewesen. In Westmünster kam ich bey einem freyen
Meister an, aber in der City nicht; und dann ist doch noch
ein großer Unterscheid zwischen London oder Paris und einer
deutschen Landstadt. In jener heissen alle Deutsche Barons;
aber wenn sie in ihre Landstädtsche Heymath kommen, packen
sie ihre Reiseherrlichkeit wieder ein, und erkennen, daß die
Ehre unter Nachbars Kindern einen ganz andern Maasstab
als in großen Hauptstädten habe. In der Fremde und in je-
dem großen Orte, ißt, trinkt und spielt man mit Leuten die
Geld haben, und bekümmert sich um ihren Stand nicht; eben
so können in einem großen Reiche allerhand Leute zu großen
Ehren kommen, wenn sie aus einer Provinz in die andre ver-
setzt werden, aber in einem kleinen Städtgen ist es sehr em-
pfindlich, wenn Kesselbüsser, Glas-Pott- und Düppenträ-
ger, Schornsteinfeger, Geuchler, Lotterbuben, Bossenmacher
und andre dergleichen Abentheurer, wie sie in Herrn Wil-

helms

Schr. ein. Ehrenmitgl. des loͤbl. Schneideramts,
ſes, daß wenn der Adel ſolchergeſtalt zur gemeinen Ehre wird,
man uͤber fuͤnfzig Jahre darauf fallen werde, ſolchen allem
was von Mutterleibe aͤcht oder unaͤcht gebohren wird, eben-
falls mitzutheilen; und dann ſey Gott dem armen Staate gnaͤ-
dig! Er wird die Handwerker mit baarem Gelde aufmuntern
muͤſſen, und der Fuͤrſt von der Ehre, wodurch die Menſchen
ſich ſonſt ſo ziemlich wohlfeil leiten laſſen, gar keinen Gebrauch
machen koͤnnen.

Im Grunde muͤſſen die Leute, welche am Ruder des Staats
klimpern, kein Gefuͤhl von der gemeiuen Ehre haben, und
nachdem ſie ſich auf eine gewiſſe Hoͤhe geſchwungen, den Reſt
der Menſchen fuͤr einen Haufen Gewuͤrme anſehen, ſonſt wuͤr-
den ſie doch nicht in ſolche Widerſpruͤche verfallen. In Eng-
land, ſagen ſie zwar, wuͤrde alles ohne Unterſcheid in Gil-
den und Zuͤnſte aufgenommen. Allein ich bin auch an der
Themſe geweſen. In Weſtmuͤnſter kam ich bey einem freyen
Meiſter an, aber in der City nicht; und dann iſt doch noch
ein großer Unterſcheid zwiſchen London oder Paris und einer
deutſchen Landſtadt. In jener heiſſen alle Deutſche Barons;
aber wenn ſie in ihre Landſtaͤdtſche Heymath kommen, packen
ſie ihre Reiſeherrlichkeit wieder ein, und erkennen, daß die
Ehre unter Nachbars Kindern einen ganz andern Maasſtab
als in großen Hauptſtaͤdten habe. In der Fremde und in je-
dem großen Orte, ißt, trinkt und ſpielt man mit Leuten die
Geld haben, und bekuͤmmert ſich um ihren Stand nicht; eben
ſo koͤnnen in einem großen Reiche allerhand Leute zu großen
Ehren kommen, wenn ſie aus einer Provinz in die andre ver-
ſetzt werden, aber in einem kleinen Staͤdtgen iſt es ſehr em-
pfindlich, wenn Keſſelbuͤſſer, Glas-Pott- und Duͤppentraͤ-
ger, Schornſteinfeger, Geuchler, Lotterbuben, Boſſenmacher
und andre dergleichen Abentheurer, wie ſie in Herrn Wil-

helms
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0306" n="288"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schr. ein. Ehrenmitgl. des lo&#x0364;bl. Schneideramts,</hi></fw><lb/>
&#x017F;es, daß wenn der Adel &#x017F;olcherge&#x017F;talt zur gemeinen Ehre wird,<lb/>
man u&#x0364;ber fu&#x0364;nfzig Jahre darauf fallen werde, &#x017F;olchen allem<lb/>
was von Mutterleibe a&#x0364;cht oder una&#x0364;cht gebohren wird, eben-<lb/>
falls mitzutheilen; und dann &#x017F;ey Gott dem armen Staate gna&#x0364;-<lb/>
dig! Er wird die Handwerker mit baarem Gelde aufmuntern<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und der Fu&#x0364;r&#x017F;t von der Ehre, wodurch die Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o ziemlich wohlfeil leiten la&#x017F;&#x017F;en, gar keinen Gebrauch<lb/>
machen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Im Grunde mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Leute, welche am Ruder des Staats<lb/>
klimpern, kein Gefu&#x0364;hl von der gemeiuen Ehre haben, und<lb/>
nachdem &#x017F;ie &#x017F;ich auf eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ho&#x0364;he ge&#x017F;chwungen, den Re&#x017F;t<lb/>
der Men&#x017F;chen fu&#x0364;r einen Haufen Gewu&#x0364;rme an&#x017F;ehen, &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x017F;ie doch nicht in &#x017F;olche Wider&#x017F;pru&#x0364;che verfallen. In Eng-<lb/>
land, &#x017F;agen &#x017F;ie zwar, wu&#x0364;rde alles ohne Unter&#x017F;cheid in Gil-<lb/>
den und Zu&#x0364;n&#x017F;te aufgenommen. Allein ich bin auch an der<lb/>
Them&#x017F;e gewe&#x017F;en. In We&#x017F;tmu&#x0364;n&#x017F;ter kam ich bey einem freyen<lb/>
Mei&#x017F;ter an, aber in der City nicht; und dann i&#x017F;t doch noch<lb/>
ein großer Unter&#x017F;cheid zwi&#x017F;chen London oder Paris und einer<lb/>
deut&#x017F;chen Land&#x017F;tadt. In jener hei&#x017F;&#x017F;en alle Deut&#x017F;che Barons;<lb/>
aber wenn &#x017F;ie in ihre Land&#x017F;ta&#x0364;dt&#x017F;che Heymath kommen, packen<lb/>
&#x017F;ie ihre Rei&#x017F;eherrlichkeit wieder ein, und erkennen, daß die<lb/>
Ehre unter Nachbars Kindern einen ganz andern Maas&#x017F;tab<lb/>
als in großen Haupt&#x017F;ta&#x0364;dten habe. In der Fremde und in je-<lb/>
dem großen Orte, ißt, trinkt und &#x017F;pielt man mit Leuten die<lb/>
Geld haben, und beku&#x0364;mmert &#x017F;ich um ihren Stand nicht; eben<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nnen in einem großen Reiche allerhand Leute zu großen<lb/>
Ehren kommen, wenn &#x017F;ie aus einer Provinz in die andre ver-<lb/>
&#x017F;etzt werden, aber in einem kleinen Sta&#x0364;dtgen i&#x017F;t es &#x017F;ehr em-<lb/>
pfindlich, wenn Ke&#x017F;&#x017F;elbu&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, Glas-Pott- und Du&#x0364;ppentra&#x0364;-<lb/>
ger, Schorn&#x017F;teinfeger, Geuchler, Lotterbuben, Bo&#x017F;&#x017F;enmacher<lb/>
und andre dergleichen Abentheurer, wie &#x017F;ie in Herrn Wil-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">helms</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0306] Schr. ein. Ehrenmitgl. des loͤbl. Schneideramts, ſes, daß wenn der Adel ſolchergeſtalt zur gemeinen Ehre wird, man uͤber fuͤnfzig Jahre darauf fallen werde, ſolchen allem was von Mutterleibe aͤcht oder unaͤcht gebohren wird, eben- falls mitzutheilen; und dann ſey Gott dem armen Staate gnaͤ- dig! Er wird die Handwerker mit baarem Gelde aufmuntern muͤſſen, und der Fuͤrſt von der Ehre, wodurch die Menſchen ſich ſonſt ſo ziemlich wohlfeil leiten laſſen, gar keinen Gebrauch machen koͤnnen. Im Grunde muͤſſen die Leute, welche am Ruder des Staats klimpern, kein Gefuͤhl von der gemeiuen Ehre haben, und nachdem ſie ſich auf eine gewiſſe Hoͤhe geſchwungen, den Reſt der Menſchen fuͤr einen Haufen Gewuͤrme anſehen, ſonſt wuͤr- den ſie doch nicht in ſolche Widerſpruͤche verfallen. In Eng- land, ſagen ſie zwar, wuͤrde alles ohne Unterſcheid in Gil- den und Zuͤnſte aufgenommen. Allein ich bin auch an der Themſe geweſen. In Weſtmuͤnſter kam ich bey einem freyen Meiſter an, aber in der City nicht; und dann iſt doch noch ein großer Unterſcheid zwiſchen London oder Paris und einer deutſchen Landſtadt. In jener heiſſen alle Deutſche Barons; aber wenn ſie in ihre Landſtaͤdtſche Heymath kommen, packen ſie ihre Reiſeherrlichkeit wieder ein, und erkennen, daß die Ehre unter Nachbars Kindern einen ganz andern Maasſtab als in großen Hauptſtaͤdten habe. In der Fremde und in je- dem großen Orte, ißt, trinkt und ſpielt man mit Leuten die Geld haben, und bekuͤmmert ſich um ihren Stand nicht; eben ſo koͤnnen in einem großen Reiche allerhand Leute zu großen Ehren kommen, wenn ſie aus einer Provinz in die andre ver- ſetzt werden, aber in einem kleinen Staͤdtgen iſt es ſehr em- pfindlich, wenn Keſſelbuͤſſer, Glas-Pott- und Duͤppentraͤ- ger, Schornſteinfeger, Geuchler, Lotterbuben, Boſſenmacher und andre dergleichen Abentheurer, wie ſie in Herrn Wil- helms

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/306
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/306>, abgerufen am 23.11.2024.