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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Die Abmeyerung eine Erzählung.
dammt, gepfändet, und nach einigen kummervollen Jahren,
zuletzt mit meiner Frauen und sechs Kindern des Erbes, was
ich dreyßig Jahr im Schweisse meines Angesichts gebauet
hatte, entsetzt. Indessen brachte der Verkauf des meinigen
noch so viel auf, daß meine Schulden insgesamt hätten bezah-
let werden können, wenn die Unkosten nicht zu viel davon
weggenommen hätten; und ich hatte wenigstens die Beruhi-
gung, daß ich nicht als ein unredlicher Mann gehandelt hätte.

Ach Henrich, du hättest unsern Abzug sehen sollen! Er würde
dir gewiß mitleidige Thränen abgepreßt haben. Meine Frau
hatte ihr jüngstes, das damals zehn Jahr alt war, bey der
Hand; und zween andre faßten ihren Rock an um sie zu hal-
ten, oder mit fortgezogen zu werden; zween andre schrien
ihr nach und fleheten, sie mögte sie doch mitnehmen, wohin
sie auch gienge. Ich eilte mit meinem ältesten, um nicht von
den Gerichtsbedienten aus dem Hause gewiesen zu werden,
durch die Seitenthür in den Garten, und ohne mich umzu-
sehen, fort. Keiner von uns hatte einmal daran gedacht,
das letzte Brodt, was uns noch übrig geblieben war, mitzu-
nehmen. Ich weiß nicht, ob du dich noch unsers alten Trü-
warts erinnerst? das arme Thier! ich werde es Zeitlebens
nicht vergessen. Vor Alter blind und entkräftet konnte er uns
kaum nachfolgen. Zittern kroch er uns bis zu dem Stachel-
beerenbusche nach, der wie du weißt, bey der Thüre nach
der Wiese stand, und wo er sich sonst zu sonnen pflegte. Hier
legte er sich nieder. Wir andern giengen fort, ich rief ihm,
er wedelte mit dem Schwanze ohne aufzustehen; ich lockte ihn
und schrie Trüwart, Trüwart; er heulte noch einmal und
starb. Auch ich hätte mein Grab bey ihm finden können;
aber es gefiel Gott, mein Leben für meine Kinder zu
fristen.

Hier
Mösers patr. Phantas. II. Th. Q

Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung.
dammt, gepfaͤndet, und nach einigen kummervollen Jahren,
zuletzt mit meiner Frauen und ſechs Kindern des Erbes, was
ich dreyßig Jahr im Schweiſſe meines Angeſichts gebauet
hatte, entſetzt. Indeſſen brachte der Verkauf des meinigen
noch ſo viel auf, daß meine Schulden insgeſamt haͤtten bezah-
let werden koͤnnen, wenn die Unkoſten nicht zu viel davon
weggenommen haͤtten; und ich hatte wenigſtens die Beruhi-
gung, daß ich nicht als ein unredlicher Mann gehandelt haͤtte.

Ach Henrich, du haͤtteſt unſern Abzug ſehen ſollen! Er wuͤrde
dir gewiß mitleidige Thraͤnen abgepreßt haben. Meine Frau
hatte ihr juͤngſtes, das damals zehn Jahr alt war, bey der
Hand; und zween andre faßten ihren Rock an um ſie zu hal-
ten, oder mit fortgezogen zu werden; zween andre ſchrien
ihr nach und fleheten, ſie moͤgte ſie doch mitnehmen, wohin
ſie auch gienge. Ich eilte mit meinem aͤlteſten, um nicht von
den Gerichtsbedienten aus dem Hauſe gewieſen zu werden,
durch die Seitenthuͤr in den Garten, und ohne mich umzu-
ſehen, fort. Keiner von uns hatte einmal daran gedacht,
das letzte Brodt, was uns noch uͤbrig geblieben war, mitzu-
nehmen. Ich weiß nicht, ob du dich noch unſers alten Truͤ-
warts erinnerſt? das arme Thier! ich werde es Zeitlebens
nicht vergeſſen. Vor Alter blind und entkraͤftet konnte er uns
kaum nachfolgen. Zittern kroch er uns bis zu dem Stachel-
beerenbuſche nach, der wie du weißt, bey der Thuͤre nach
der Wieſe ſtand, und wo er ſich ſonſt zu ſonnen pflegte. Hier
legte er ſich nieder. Wir andern giengen fort, ich rief ihm,
er wedelte mit dem Schwanze ohne aufzuſtehen; ich lockte ihn
und ſchrie Truͤwart, Truͤwart; er heulte noch einmal und
ſtarb. Auch ich haͤtte mein Grab bey ihm finden koͤnnen;
aber es gefiel Gott, mein Leben fuͤr meine Kinder zu
friſten.

Hier
Möſers patr. Phantaſ. II. Th. Q
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[241/0259] Die Abmeyerung eine Erzaͤhlung. dammt, gepfaͤndet, und nach einigen kummervollen Jahren, zuletzt mit meiner Frauen und ſechs Kindern des Erbes, was ich dreyßig Jahr im Schweiſſe meines Angeſichts gebauet hatte, entſetzt. Indeſſen brachte der Verkauf des meinigen noch ſo viel auf, daß meine Schulden insgeſamt haͤtten bezah- let werden koͤnnen, wenn die Unkoſten nicht zu viel davon weggenommen haͤtten; und ich hatte wenigſtens die Beruhi- gung, daß ich nicht als ein unredlicher Mann gehandelt haͤtte. Ach Henrich, du haͤtteſt unſern Abzug ſehen ſollen! Er wuͤrde dir gewiß mitleidige Thraͤnen abgepreßt haben. Meine Frau hatte ihr juͤngſtes, das damals zehn Jahr alt war, bey der Hand; und zween andre faßten ihren Rock an um ſie zu hal- ten, oder mit fortgezogen zu werden; zween andre ſchrien ihr nach und fleheten, ſie moͤgte ſie doch mitnehmen, wohin ſie auch gienge. Ich eilte mit meinem aͤlteſten, um nicht von den Gerichtsbedienten aus dem Hauſe gewieſen zu werden, durch die Seitenthuͤr in den Garten, und ohne mich umzu- ſehen, fort. Keiner von uns hatte einmal daran gedacht, das letzte Brodt, was uns noch uͤbrig geblieben war, mitzu- nehmen. Ich weiß nicht, ob du dich noch unſers alten Truͤ- warts erinnerſt? das arme Thier! ich werde es Zeitlebens nicht vergeſſen. Vor Alter blind und entkraͤftet konnte er uns kaum nachfolgen. Zittern kroch er uns bis zu dem Stachel- beerenbuſche nach, der wie du weißt, bey der Thuͤre nach der Wieſe ſtand, und wo er ſich ſonſt zu ſonnen pflegte. Hier legte er ſich nieder. Wir andern giengen fort, ich rief ihm, er wedelte mit dem Schwanze ohne aufzuſtehen; ich lockte ihn und ſchrie Truͤwart, Truͤwart; er heulte noch einmal und ſtarb. Auch ich haͤtte mein Grab bey ihm finden koͤnnen; aber es gefiel Gott, mein Leben fuͤr meine Kinder zu friſten. Hier Möſers patr. Phantaſ. II. Th. Q

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/259>, abgerufen am 24.11.2024.