Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Vom Gläubiger Bremen kennt man keinen Stillestand, den Richter undObrigkeit ertheilen. Es ist ein Raub, den der Richter be- geht, wenn er einem Gläubiger das seinige vorenthält, oder Schuld daran ist, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner mit Unglücksfällen heimsucht: so muß er und nicht der Gläubiger leiden. Die Gesetze a) haben dem Gläubiger das Seinige auf den Fall nicht abgesprochen, wenn der Schuldner unglücklich werden würde. Die Gesetz- geber wusten die Möglichkeit der Unglücksfälle vorher. Sie veränderten aber das allgemeine Gesetz, daß jeder ohne Auf- enthalt zu seinem Rechte und Eigenthum verholfen werden müste, darum nicht. Sie liessen vielmehr dies Recht gehen so weit es konnte, und bis zur Knechtschaft des Schuldners. Die Kayser Gratian und Theodosius erklärten sich auf die gewissenhafteste Art: daß sie sich nie der Vollkommenheit ih- rer Macht bedienen wollten, einem Schuldner Ausstand zu geben; und wenn es ja geschähe, ihre Rescripte von dem einzigen Falle verstanden haben wollten, wo der Schuldner hinlängliche Bürgschaft stellen könnte. Es kan auch kein Reichsfürst nach den Reichsgesetzen, und ohne allen Credit aus seinen Ländern zu verbannen, minder Vorsicht gebrauchen, als bey dem Reichsabschied von 1654 gebrauchet worden. Auf a) Quid tu tam imprudentes judicas fuisse maiores
nostros, ut non intelligerent iniquissimum esse eo- dem loco haberi eum, qui pecuniam quam a cre- ditore acceperat, libidine aut alea absumsit, & eum qui incendio aut latrocinio aut alio quodam casu tristiori aliena cum suis perdidit? Nullam excusa- tionem receperunt ut homines scirent fidem utique praestandum. Satius enim erat a paucis etiam ju- stam exceptionem non accipi quam ab omnibus aliquam tentari. seneca de benef. VII. 26. Vom Glaͤubiger Bremen kennt man keinen Stilleſtand, den Richter undObrigkeit ertheilen. Es iſt ein Raub, den der Richter be- geht, wenn er einem Glaͤubiger das ſeinige vorenthaͤlt, oder Schuld daran iſt, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner mit Ungluͤcksfaͤllen heimſucht: ſo muß er und nicht der Glaͤubiger leiden. Die Geſetze a) haben dem Glaͤubiger das Seinige auf den Fall nicht abgeſprochen, wenn der Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Geſetz- geber wuſten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie veraͤnderten aber das allgemeine Geſetz, daß jeder ohne Auf- enthalt zu ſeinem Rechte und Eigenthum verholfen werden muͤſte, darum nicht. Sie lieſſen vielmehr dies Recht gehen ſo weit es konnte, und bis zur Knechtſchaft des Schuldners. Die Kayſer Gratian und Theodoſius erklaͤrten ſich auf die gewiſſenhafteſte Art: daß ſie ſich nie der Vollkommenheit ih- rer Macht bedienen wollten, einem Schuldner Ausſtand zu geben; und wenn es ja geſchaͤhe, ihre Reſcripte von dem einzigen Falle verſtanden haben wollten, wo der Schuldner hinlaͤngliche Buͤrgſchaft ſtellen koͤnnte. Es kan auch kein Reichsfuͤrſt nach den Reichsgeſetzen, und ohne allen Credit aus ſeinen Laͤndern zu verbannen, minder Vorſicht gebrauchen, als bey dem Reichsabſchied von 1654 gebrauchet worden. Auf a) Quid tu tam imprudentes judicas fuiſſe maiores
noſtros, ut non intelligerent iniquiſſimum eſſe eo- dem loco haberi eum, qui pecuniam quam a cre- ditore acceperat, libidine aut alea abſumſit, & eum qui incendio aut latrocinio aut alio quodam caſu triſtiori aliena cum ſuis perdidit? Nullam excuſa- tionem receperunt ut homines ſcirent fidem utique præſtandum. Satius enim erat a paucis etiam ju- ſtam exceptionem non accipi quam ab omnibus aliquam tentari. ſeneca de benef. VII. 26. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0226" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vom Glaͤubiger</hi></fw><lb/> Bremen kennt man keinen Stilleſtand, den Richter und<lb/> Obrigkeit ertheilen. Es iſt ein Raub, den der Richter be-<lb/> geht, wenn er einem Glaͤubiger das ſeinige vorenthaͤlt, oder<lb/> Schuld daran iſt, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn<lb/> Gott den Schuldner mit Ungluͤcksfaͤllen heimſucht: ſo muß<lb/> er und nicht der Glaͤubiger leiden. Die Geſetze <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Quid tu tam imprudentes judicas fuiſſe maiores<lb/> noſtros, ut non intelligerent iniquiſſimum eſſe eo-<lb/> dem loco haberi eum, qui pecuniam quam a cre-<lb/> ditore acceperat, libidine aut alea abſumſit, & eum<lb/> qui incendio aut latrocinio aut alio quodam caſu<lb/> triſtiori aliena cum ſuis perdidit? Nullam excuſa-<lb/> tionem receperunt ut homines ſcirent fidem utique<lb/> præſtandum. Satius enim erat a paucis etiam ju-<lb/> ſtam exceptionem non accipi quam ab omnibus<lb/> aliquam tentari. <hi rendition="#k">ſeneca</hi> de benef. VII.</hi> 26.</note> haben<lb/> dem Glaͤubiger das Seinige auf den Fall nicht abgeſprochen,<lb/> wenn der Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Geſetz-<lb/> geber wuſten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie<lb/> veraͤnderten aber das allgemeine Geſetz, daß jeder ohne Auf-<lb/> enthalt zu ſeinem Rechte und Eigenthum verholfen werden<lb/> muͤſte, darum nicht. Sie lieſſen vielmehr dies Recht gehen<lb/> ſo weit es konnte, und bis zur Knechtſchaft des Schuldners.<lb/> Die Kayſer Gratian und Theodoſius erklaͤrten ſich auf die<lb/> gewiſſenhafteſte Art: daß ſie ſich nie der Vollkommenheit ih-<lb/> rer Macht bedienen wollten, einem Schuldner Ausſtand zu<lb/> geben; und wenn es ja geſchaͤhe, ihre Reſcripte von dem<lb/> einzigen Falle verſtanden haben wollten, wo der Schuldner<lb/> hinlaͤngliche Buͤrgſchaft ſtellen koͤnnte. Es kan auch kein<lb/> Reichsfuͤrſt nach den Reichsgeſetzen, und ohne allen Credit<lb/> aus ſeinen Laͤndern zu verbannen, minder Vorſicht gebrauchen,<lb/> als bey dem Reichsabſchied von 1654 gebrauchet worden.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Auf</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [208/0226]
Vom Glaͤubiger
Bremen kennt man keinen Stilleſtand, den Richter und
Obrigkeit ertheilen. Es iſt ein Raub, den der Richter be-
geht, wenn er einem Glaͤubiger das ſeinige vorenthaͤlt, oder
Schuld daran iſt, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn
Gott den Schuldner mit Ungluͤcksfaͤllen heimſucht: ſo muß
er und nicht der Glaͤubiger leiden. Die Geſetze a) haben
dem Glaͤubiger das Seinige auf den Fall nicht abgeſprochen,
wenn der Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Geſetz-
geber wuſten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie
veraͤnderten aber das allgemeine Geſetz, daß jeder ohne Auf-
enthalt zu ſeinem Rechte und Eigenthum verholfen werden
muͤſte, darum nicht. Sie lieſſen vielmehr dies Recht gehen
ſo weit es konnte, und bis zur Knechtſchaft des Schuldners.
Die Kayſer Gratian und Theodoſius erklaͤrten ſich auf die
gewiſſenhafteſte Art: daß ſie ſich nie der Vollkommenheit ih-
rer Macht bedienen wollten, einem Schuldner Ausſtand zu
geben; und wenn es ja geſchaͤhe, ihre Reſcripte von dem
einzigen Falle verſtanden haben wollten, wo der Schuldner
hinlaͤngliche Buͤrgſchaft ſtellen koͤnnte. Es kan auch kein
Reichsfuͤrſt nach den Reichsgeſetzen, und ohne allen Credit
aus ſeinen Laͤndern zu verbannen, minder Vorſicht gebrauchen,
als bey dem Reichsabſchied von 1654 gebrauchet worden.
Auf
a) Quid tu tam imprudentes judicas fuiſſe maiores
noſtros, ut non intelligerent iniquiſſimum eſſe eo-
dem loco haberi eum, qui pecuniam quam a cre-
ditore acceperat, libidine aut alea abſumſit, & eum
qui incendio aut latrocinio aut alio quodam caſu
triſtiori aliena cum ſuis perdidit? Nullam excuſa-
tionem receperunt ut homines ſcirent fidem utique
præſtandum. Satius enim erat a paucis etiam ju-
ſtam exceptionem non accipi quam ab omnibus
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