Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
über die Abäußerungs- oder Abmeyerungsurs.

Die ganze Blendung, welche man sich bisher hierüber ge-
macht hat, rührt einzig und allein davon her, daß die mehr-
sten gemeinen Lasten in neuern Zeiten mit Gelde bestritten
und zu einer Generalcasse bezahlet worden, und der Staat
hierauf nicht so genau darnach gesehen, ob er dieses Geld aus
eines Heuermanns, Pächters, Winners oder eines Wehr-
festers Händen empfangen; folgends seine ganze Aufmerk-
samkeit auf die Ermächtigung des Geldes gerichtet und sich
um die Wirthschaft der Freyen zum großen Nachtheil der
reihepflichtigen Leibeignen fast gar nicht mehr bekümmert;
ein Fehler, dessen Folgen immer gefährlicher werden müssen,
da viele, die sich frey kaufen, ihre Holzungen angreifen, Län-
dereyen veräußern, auch wohl ihr ganzes Erbe Stücksweise
verheuren, und ihren ganzen Haushalt eingehen lassen; ohne
daß der Beamte, der die Rechte der reihepflichtigen Gesell-
schaft zu vertheidigen hat, sich in diesem Stücke um ihre
Wirthschaft bekümmern und in die Stelle der Gutsherrlichen
Localcontrolle treten darf.

Nichts beweiset den geringen Unterschied unter Leibeignen
und Freyen, welche auf reihepflichtigen Höfen sitzen, deut-
licher, als die Bemühungen der Rechtsgelehrten, welche
von der unvollkommenen Freyheit der Bauern gehandelt;
und die Zeugnisse der Beamten und Richter, wodurch sie alle
sogenannten Freyen in Leibeigne umgeschaffen haben. Der
Uebergang von der einen Art zur andern ist in dem Falle, wo
sie in einer Reihe stehen, fast unmerklich; aber der Grund
davon keinesweges eine ehemalige Sclaverey, wie jene Ge-
lehrte behaupten, und manche gern schließen mögten, son-
dern der simple Satz, welchen ich nicht besser als mit den
Worten des Verfassers du Traite des vertus et des recom-
penses
ausdrucken kan. Dieser sagt: L'assemblage de toutes

les
L 3
uͤber die Abaͤußerungs- oder Abmeyerungsurſ.

Die ganze Blendung, welche man ſich bisher hieruͤber ge-
macht hat, ruͤhrt einzig und allein davon her, daß die mehr-
ſten gemeinen Laſten in neuern Zeiten mit Gelde beſtritten
und zu einer Generalcaſſe bezahlet worden, und der Staat
hierauf nicht ſo genau darnach geſehen, ob er dieſes Geld aus
eines Heuermanns, Paͤchters, Winners oder eines Wehr-
feſters Haͤnden empfangen; folgends ſeine ganze Aufmerk-
ſamkeit auf die Ermaͤchtigung des Geldes gerichtet und ſich
um die Wirthſchaft der Freyen zum großen Nachtheil der
reihepflichtigen Leibeignen faſt gar nicht mehr bekuͤmmert;
ein Fehler, deſſen Folgen immer gefaͤhrlicher werden muͤſſen,
da viele, die ſich frey kaufen, ihre Holzungen angreifen, Laͤn-
dereyen veraͤußern, auch wohl ihr ganzes Erbe Stuͤcksweiſe
verheuren, und ihren ganzen Haushalt eingehen laſſen; ohne
daß der Beamte, der die Rechte der reihepflichtigen Geſell-
ſchaft zu vertheidigen hat, ſich in dieſem Stuͤcke um ihre
Wirthſchaft bekuͤmmern und in die Stelle der Gutsherrlichen
Localcontrolle treten darf.

Nichts beweiſet den geringen Unterſchied unter Leibeignen
und Freyen, welche auf reihepflichtigen Hoͤfen ſitzen, deut-
licher, als die Bemuͤhungen der Rechtsgelehrten, welche
von der unvollkommenen Freyheit der Bauern gehandelt;
und die Zeugniſſe der Beamten und Richter, wodurch ſie alle
ſogenannten Freyen in Leibeigne umgeſchaffen haben. Der
Uebergang von der einen Art zur andern iſt in dem Falle, wo
ſie in einer Reihe ſtehen, faſt unmerklich; aber der Grund
davon keinesweges eine ehemalige Sclaverey, wie jene Ge-
lehrte behaupten, und manche gern ſchließen moͤgten, ſon-
dern der ſimple Satz, welchen ich nicht beſſer als mit den
Worten des Verfaſſers du Traité des vertus et des recom-
penſes
ausdrucken kan. Dieſer ſagt: L’aſſemblage de toutes

les
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0183" n="165"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">u&#x0364;ber die Aba&#x0364;ußerungs- oder Abmeyerungsur&#x017F;.</hi> </fw><lb/>
        <p>Die ganze Blendung, welche man &#x017F;ich bisher hieru&#x0364;ber ge-<lb/>
macht hat, ru&#x0364;hrt einzig und allein davon her, daß die mehr-<lb/>
&#x017F;ten gemeinen La&#x017F;ten in neuern Zeiten mit Gelde be&#x017F;tritten<lb/>
und zu einer Generalca&#x017F;&#x017F;e bezahlet worden, und der Staat<lb/>
hierauf nicht &#x017F;o genau darnach ge&#x017F;ehen, ob er die&#x017F;es Geld aus<lb/>
eines Heuermanns, Pa&#x0364;chters, Winners oder eines Wehr-<lb/>
fe&#x017F;ters Ha&#x0364;nden empfangen; folgends &#x017F;eine ganze Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit auf die Erma&#x0364;chtigung des Geldes gerichtet und &#x017F;ich<lb/>
um die Wirth&#x017F;chaft der Freyen zum großen Nachtheil der<lb/>
reihepflichtigen Leibeignen fa&#x017F;t gar nicht mehr beku&#x0364;mmert;<lb/>
ein Fehler, de&#x017F;&#x017F;en Folgen immer gefa&#x0364;hrlicher werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
da viele, die &#x017F;ich frey kaufen, ihre Holzungen angreifen, La&#x0364;n-<lb/>
dereyen vera&#x0364;ußern, auch wohl ihr ganzes Erbe Stu&#x0364;ckswei&#x017F;e<lb/>
verheuren, und ihren ganzen Haushalt eingehen la&#x017F;&#x017F;en; ohne<lb/>
daß der Beamte, der die Rechte der reihepflichtigen Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft zu vertheidigen hat, &#x017F;ich in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke um ihre<lb/>
Wirth&#x017F;chaft beku&#x0364;mmern und in die Stelle der Gutsherrlichen<lb/>
Localcontrolle treten darf.</p><lb/>
        <p>Nichts bewei&#x017F;et den geringen Unter&#x017F;chied unter Leibeignen<lb/>
und Freyen, welche auf reihepflichtigen Ho&#x0364;fen &#x017F;itzen, deut-<lb/>
licher, als die Bemu&#x0364;hungen der Rechtsgelehrten, welche<lb/>
von <hi rendition="#fr">der unvollkommenen Freyheit der Bauern</hi> gehandelt;<lb/>
und die Zeugni&#x017F;&#x017F;e der Beamten und Richter, wodurch &#x017F;ie alle<lb/>
&#x017F;ogenannten <hi rendition="#fr">Freyen</hi> in Leibeigne umge&#x017F;chaffen haben. Der<lb/>
Uebergang von der einen Art zur andern i&#x017F;t in dem Falle, wo<lb/>
&#x017F;ie in einer Reihe &#x017F;tehen, fa&#x017F;t unmerklich; aber der Grund<lb/>
davon keinesweges eine ehemalige Sclaverey, wie jene Ge-<lb/>
lehrte behaupten, und manche gern &#x017F;chließen mo&#x0364;gten, &#x017F;on-<lb/>
dern der &#x017F;imple Satz, welchen ich nicht be&#x017F;&#x017F;er als mit den<lb/>
Worten des Verfa&#x017F;&#x017F;ers <hi rendition="#aq">du Traité des vertus et des recom-<lb/>
pen&#x017F;es</hi> ausdrucken kan. Die&#x017F;er &#x017F;agt: <hi rendition="#aq">L&#x2019;a&#x017F;&#x017F;emblage de toutes</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">les</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0183] uͤber die Abaͤußerungs- oder Abmeyerungsurſ. Die ganze Blendung, welche man ſich bisher hieruͤber ge- macht hat, ruͤhrt einzig und allein davon her, daß die mehr- ſten gemeinen Laſten in neuern Zeiten mit Gelde beſtritten und zu einer Generalcaſſe bezahlet worden, und der Staat hierauf nicht ſo genau darnach geſehen, ob er dieſes Geld aus eines Heuermanns, Paͤchters, Winners oder eines Wehr- feſters Haͤnden empfangen; folgends ſeine ganze Aufmerk- ſamkeit auf die Ermaͤchtigung des Geldes gerichtet und ſich um die Wirthſchaft der Freyen zum großen Nachtheil der reihepflichtigen Leibeignen faſt gar nicht mehr bekuͤmmert; ein Fehler, deſſen Folgen immer gefaͤhrlicher werden muͤſſen, da viele, die ſich frey kaufen, ihre Holzungen angreifen, Laͤn- dereyen veraͤußern, auch wohl ihr ganzes Erbe Stuͤcksweiſe verheuren, und ihren ganzen Haushalt eingehen laſſen; ohne daß der Beamte, der die Rechte der reihepflichtigen Geſell- ſchaft zu vertheidigen hat, ſich in dieſem Stuͤcke um ihre Wirthſchaft bekuͤmmern und in die Stelle der Gutsherrlichen Localcontrolle treten darf. Nichts beweiſet den geringen Unterſchied unter Leibeignen und Freyen, welche auf reihepflichtigen Hoͤfen ſitzen, deut- licher, als die Bemuͤhungen der Rechtsgelehrten, welche von der unvollkommenen Freyheit der Bauern gehandelt; und die Zeugniſſe der Beamten und Richter, wodurch ſie alle ſogenannten Freyen in Leibeigne umgeſchaffen haben. Der Uebergang von der einen Art zur andern iſt in dem Falle, wo ſie in einer Reihe ſtehen, faſt unmerklich; aber der Grund davon keinesweges eine ehemalige Sclaverey, wie jene Ge- lehrte behaupten, und manche gern ſchließen moͤgten, ſon- dern der ſimple Satz, welchen ich nicht beſſer als mit den Worten des Verfaſſers du Traité des vertus et des recom- penſes ausdrucken kan. Dieſer ſagt: L’aſſemblage de toutes les L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/183
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/183>, abgerufen am 05.05.2024.