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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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des angehenden Hagestolzen.
aber in aller Welt bewegen, eine solche Last auf meine Hör-
ner zu nehmen?

Bey dem allen sollte es mir doch sehr leid seyn, wenn man
von mir glaubte, daß ich ein Feind der Moden und ein Be-
wundrer der Zeiten wäre, worinn die Urtanten ein paar
Haarlocken unter dem Namen von Favoriten in die Nacht-
mützen neheten. Nein dieses bin ich nicht, und selbst diejenige,
die ich am mehrsten verehre, ist ein Frauenzimmer für alle
Zeiten und alle Gesellschaften. Sie folgt der Mode und ge-
bietet ihr, wie sie will. Sie ziert sich heute mit einem
Striche von Cammertuch, und sitzt morgen auf dem Thron
aller Moden, ohne dabey zu gewinnen oder zu verlieren;
außer daß ich heute Du und morgen Sie zu ihr sagen mögte.
Ihre Regierung ist wie der Friede in einem mächtigen Reiche.
Man kennt die Macht die ihn erhält, und fühlt sie nie;
wenn ein überflüßiger Aufwand der Armuth Hohn sprechen
kan, sieht man sie reinlich und nett, mit Gefühl und Ge-
schmack ungeputzt. Fordert ein Tag zu seiner Ehre mehrern
Glanz: so scheidet die Linie der Armuth, das angemessene
vom ausschweifenden; und selbst der Ueberfluß, wenn ihn
die Ehre durchaus erfordert, borgt bey ihr die bescheidene
Mine des Nothwendigen. Dasjenige, was sie nicht haben
kan oder will, entbehrt sie ohne Röthe, und fühlt sich zu
Fuße so groß als in einer vergoldeten Carosse. Ihr Anzug
ist nach jeder Mode und über alle, ohne daß man es bemerkt;
aber auch ohne daß man an ihr etwas vermißt; und nichts
gleicht derselben was die Seele betrift, als die Schöne, wo-
von der schwärmersche Petrarch oder sein Nachahmer sagt,
daß sie vor dem Richterstuhl, vor welchem einst unvollbrach-
tes Wollen und kaum empfundene Gedanken büßen müßten, ihre
holden Augen in stiller Hofnung empor richten dürfte ........

Aber
Mösers patr. Phantas. II. Th. G

des angehenden Hageſtolzen.
aber in aller Welt bewegen, eine ſolche Laſt auf meine Hoͤr-
ner zu nehmen?

Bey dem allen ſollte es mir doch ſehr leid ſeyn, wenn man
von mir glaubte, daß ich ein Feind der Moden und ein Be-
wundrer der Zeiten waͤre, worinn die Urtanten ein paar
Haarlocken unter dem Namen von Favoriten in die Nacht-
muͤtzen neheten. Nein dieſes bin ich nicht, und ſelbſt diejenige,
die ich am mehrſten verehre, iſt ein Frauenzimmer fuͤr alle
Zeiten und alle Geſellſchaften. Sie folgt der Mode und ge-
bietet ihr, wie ſie will. Sie ziert ſich heute mit einem
Striche von Cammertuch, und ſitzt morgen auf dem Thron
aller Moden, ohne dabey zu gewinnen oder zu verlieren;
außer daß ich heute Du und morgen Sie zu ihr ſagen moͤgte.
Ihre Regierung iſt wie der Friede in einem maͤchtigen Reiche.
Man kennt die Macht die ihn erhaͤlt, und fuͤhlt ſie nie;
wenn ein uͤberfluͤßiger Aufwand der Armuth Hohn ſprechen
kan, ſieht man ſie reinlich und nett, mit Gefuͤhl und Ge-
ſchmack ungeputzt. Fordert ein Tag zu ſeiner Ehre mehrern
Glanz: ſo ſcheidet die Linie der Armuth, das angemeſſene
vom ausſchweifenden; und ſelbſt der Ueberfluß, wenn ihn
die Ehre durchaus erfordert, borgt bey ihr die beſcheidene
Mine des Nothwendigen. Dasjenige, was ſie nicht haben
kan oder will, entbehrt ſie ohne Roͤthe, und fuͤhlt ſich zu
Fuße ſo groß als in einer vergoldeten Caroſſe. Ihr Anzug
iſt nach jeder Mode und uͤber alle, ohne daß man es bemerkt;
aber auch ohne daß man an ihr etwas vermißt; und nichts
gleicht derſelben was die Seele betrift, als die Schoͤne, wo-
von der ſchwaͤrmerſche Petrarch oder ſein Nachahmer ſagt,
daß ſie vor dem Richterſtuhl, vor welchem einſt unvollbrach-
tes Wollen und kaum empfundene Gedanken buͤßen muͤßten, ihre
holden Augen in ſtiller Hofnung empor richten duͤrfte ........

Aber
Möſers patr. Phantaſ. II. Th. G
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[97/0115] des angehenden Hageſtolzen. aber in aller Welt bewegen, eine ſolche Laſt auf meine Hoͤr- ner zu nehmen? Bey dem allen ſollte es mir doch ſehr leid ſeyn, wenn man von mir glaubte, daß ich ein Feind der Moden und ein Be- wundrer der Zeiten waͤre, worinn die Urtanten ein paar Haarlocken unter dem Namen von Favoriten in die Nacht- muͤtzen neheten. Nein dieſes bin ich nicht, und ſelbſt diejenige, die ich am mehrſten verehre, iſt ein Frauenzimmer fuͤr alle Zeiten und alle Geſellſchaften. Sie folgt der Mode und ge- bietet ihr, wie ſie will. Sie ziert ſich heute mit einem Striche von Cammertuch, und ſitzt morgen auf dem Thron aller Moden, ohne dabey zu gewinnen oder zu verlieren; außer daß ich heute Du und morgen Sie zu ihr ſagen moͤgte. Ihre Regierung iſt wie der Friede in einem maͤchtigen Reiche. Man kennt die Macht die ihn erhaͤlt, und fuͤhlt ſie nie; wenn ein uͤberfluͤßiger Aufwand der Armuth Hohn ſprechen kan, ſieht man ſie reinlich und nett, mit Gefuͤhl und Ge- ſchmack ungeputzt. Fordert ein Tag zu ſeiner Ehre mehrern Glanz: ſo ſcheidet die Linie der Armuth, das angemeſſene vom ausſchweifenden; und ſelbſt der Ueberfluß, wenn ihn die Ehre durchaus erfordert, borgt bey ihr die beſcheidene Mine des Nothwendigen. Dasjenige, was ſie nicht haben kan oder will, entbehrt ſie ohne Roͤthe, und fuͤhlt ſich zu Fuße ſo groß als in einer vergoldeten Caroſſe. Ihr Anzug iſt nach jeder Mode und uͤber alle, ohne daß man es bemerkt; aber auch ohne daß man an ihr etwas vermißt; und nichts gleicht derſelben was die Seele betrift, als die Schoͤne, wo- von der ſchwaͤrmerſche Petrarch oder ſein Nachahmer ſagt, daß ſie vor dem Richterſtuhl, vor welchem einſt unvollbrach- tes Wollen und kaum empfundene Gedanken buͤßen muͤßten, ihre holden Augen in ſtiller Hofnung empor richten duͤrfte ........ Aber Möſers patr. Phantaſ. II. Th. G

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/115>, abgerufen am 23.11.2024.