eine haute lice. Das erste was ich besehe, ist die Milchkam- mer. Nach dieser beurtheile ich die Wirthin; und das ge- sunde Kind, welches mir in einem reinlichen und stumpfen Rocke entgegen springet, küße ich mit Empfindung, wenn ich die Staatspuppen unserer Frau Amtschreiberin sehr gelassen vorbey neigen sehe.
Und so sollten Sie auch denken, wertheste Freundin, wenn Sie zu uns kämen. Sie sollten sich des Städtischen Zwanges und der kostbaren Beschäftigungen, wozu Sie der Müßig- gang verdammet, auf dem Lande entschlagen, den Athem aus freyer Luft schöpfen, und mit aller Empfindung eines befrey- ten Sclavens auf einem tanzenden Fuße um die gesegneten Fluren hüpfen. In der Hauptstadt können und müssen Sie ganz anders leben. Leute welche in Bedienung stehen, welche den ganzen Vormittag ihre Arbeit haben, und gleichsam in einem vergüldeten Kerker wohnen, woraus sie nicht zu jeder Stunde gehen können, haben ganz andere Arten von Ergötz- lichkeiten nöthig. Ihre Frauen befinden sich durch die Um- stände an ein gleiches Joch gefesselt. Die Assembleen, repas, Soupes fins, und alle Arten von Spielen werden ihnen mit der Zeit zu unentbehrlichen Bedürfnissen. Ich lasse Ihnen also solche mit Recht. Ich schenke Ihnen Bälle, Comödien. Redouten und alles was dazu gehöret, im Kauf; ich bin über- zeuget, daß Sie sich oft dabey in ihrer Art vollkommen erfreuen; ich glaube daß die Pracht der Meubles, Nippes und ajuste- mens die besten Puppen für solche große Kinder sind. Allein, eben diese Forderungen auf das Land zu erstrecken; diejenigen zu verachten, welche solche nicht erfüllen; darüber noch wohl gar zu spotten, und auf solche Art den nützlichsten Theil der Menschen, welche auch ihre Schwachheiten haben, zu einer thörigten Nachahmung zu verführen, dieses ist wahrlich Sünde.
Ver-
Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande
eine haute lice. Das erſte was ich beſehe, iſt die Milchkam- mer. Nach dieſer beurtheile ich die Wirthin; und das ge- ſunde Kind, welches mir in einem reinlichen und ſtumpfen Rocke entgegen ſpringet, kuͤße ich mit Empfindung, wenn ich die Staatspuppen unſerer Frau Amtſchreiberin ſehr gelaſſen vorbey neigen ſehe.
Und ſo ſollten Sie auch denken, wertheſte Freundin, wenn Sie zu uns kaͤmen. Sie ſollten ſich des Staͤdtiſchen Zwanges und der koſtbaren Beſchaͤftigungen, wozu Sie der Muͤßig- gang verdammet, auf dem Lande entſchlagen, den Athem aus freyer Luft ſchoͤpfen, und mit aller Empfindung eines befrey- ten Sclavens auf einem tanzenden Fuße um die geſegneten Fluren huͤpfen. In der Hauptſtadt koͤnnen und muͤſſen Sie ganz anders leben. Leute welche in Bedienung ſtehen, welche den ganzen Vormittag ihre Arbeit haben, und gleichſam in einem verguͤldeten Kerker wohnen, woraus ſie nicht zu jeder Stunde gehen koͤnnen, haben ganz andere Arten von Ergoͤtz- lichkeiten noͤthig. Ihre Frauen befinden ſich durch die Um- ſtaͤnde an ein gleiches Joch gefeſſelt. Die Aſſembleen, repas, Soupés fins, und alle Arten von Spielen werden ihnen mit der Zeit zu unentbehrlichen Beduͤrfniſſen. Ich laſſe Ihnen alſo ſolche mit Recht. Ich ſchenke Ihnen Baͤlle, Comoͤdien. Redouten und alles was dazu gehoͤret, im Kauf; ich bin uͤber- zeuget, daß Sie ſich oft dabey in ihrer Art vollkommen erfreuen; ich glaube daß die Pracht der Meubles, Nippes und ajuſte- mens die beſten Puppen fuͤr ſolche große Kinder ſind. Allein, eben dieſe Forderungen auf das Land zu erſtrecken; diejenigen zu verachten, welche ſolche nicht erfuͤllen; daruͤber noch wohl gar zu ſpotten, und auf ſolche Art den nuͤtzlichſten Theil der Menſchen, welche auch ihre Schwachheiten haben, zu einer thoͤrigten Nachahmung zu verfuͤhren, dieſes iſt wahrlich Suͤnde.
Ver-
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Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande
eine haute lice. Das erſte was ich beſehe, iſt die Milchkam-
mer. Nach dieſer beurtheile ich die Wirthin; und das ge-
ſunde Kind, welches mir in einem reinlichen und ſtumpfen
Rocke entgegen ſpringet, kuͤße ich mit Empfindung, wenn ich
die Staatspuppen unſerer Frau Amtſchreiberin ſehr gelaſſen
vorbey neigen ſehe.
Und ſo ſollten Sie auch denken, wertheſte Freundin, wenn
Sie zu uns kaͤmen. Sie ſollten ſich des Staͤdtiſchen Zwanges
und der koſtbaren Beſchaͤftigungen, wozu Sie der Muͤßig-
gang verdammet, auf dem Lande entſchlagen, den Athem aus
freyer Luft ſchoͤpfen, und mit aller Empfindung eines befrey-
ten Sclavens auf einem tanzenden Fuße um die geſegneten
Fluren huͤpfen. In der Hauptſtadt koͤnnen und muͤſſen Sie
ganz anders leben. Leute welche in Bedienung ſtehen, welche
den ganzen Vormittag ihre Arbeit haben, und gleichſam in
einem verguͤldeten Kerker wohnen, woraus ſie nicht zu jeder
Stunde gehen koͤnnen, haben ganz andere Arten von Ergoͤtz-
lichkeiten noͤthig. Ihre Frauen befinden ſich durch die Um-
ſtaͤnde an ein gleiches Joch gefeſſelt. Die Aſſembleen, repas,
Soupés fins, und alle Arten von Spielen werden ihnen mit
der Zeit zu unentbehrlichen Beduͤrfniſſen. Ich laſſe Ihnen
alſo ſolche mit Recht. Ich ſchenke Ihnen Baͤlle, Comoͤdien.
Redouten und alles was dazu gehoͤret, im Kauf; ich bin uͤber-
zeuget, daß Sie ſich oft dabey in ihrer Art vollkommen erfreuen;
ich glaube daß die Pracht der Meubles, Nippes und ajuſte-
mens die beſten Puppen fuͤr ſolche große Kinder ſind. Allein,
eben dieſe Forderungen auf das Land zu erſtrecken; diejenigen
zu verachten, welche ſolche nicht erfuͤllen; daruͤber noch wohl
gar zu ſpotten, und auf ſolche Art den nuͤtzlichſten Theil der
Menſchen, welche auch ihre Schwachheiten haben, zu einer
thoͤrigten Nachahmung zu verfuͤhren, dieſes iſt wahrlich
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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