Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Pro und Contra der Wochenmärkte.
lichkeit aufopfern? zu diesem Preise sollen Mütter und Kinder
Marktläuferinnen werden; und Vater und Söhne täglich die
Landstraßen belaufen, zu Hause keine Verpfiegung finden und
in den Schenken hängen bleiben? Nein, mein Freund!
diese Forderung der Bürger in kleinen Städten ist zu hart;
die Aufopferung ist zu groß für den Staat; und das Wohl-
leben aller Städte bezahlt das Verderben so vieler Landleute
nicht. Ich sage nichts von der großen Verwöhnung der
Dienstboten in den Städten, welche durch die Bequemlichkeit
der Märkte von aller harten Arbeit zurückgebracht und bloße
Zimmerputzerinnen werden. Gleichwohl verdient sie auch
eine Betrachtung. Aus den Städten sollten geschickte Mütter
aufs Land kommen. In dieser Absicht dienten die Töchter
der Landleute ehedem gern in Städten. Allein da, wo die
Köchin alles [vo]m Wochenmarkte holet, vermehret sich ein
weichliches faules Zwittergeschlecht von Gesinde, was dem
Bürger zum Weibe nicht gut genug ist, und der Landmann
nicht gebrauchen kan, zuletzt aber, wenn es, wiedie Drohne,
aus dem Korbe gestoßen wird, dem Staate zur last fällt.

Sehen Sie dagegen unsre alte einfältige Verfassung an,
Der Landmann kommt nur mit Fudern zur Stadt, und bringt
in Großen was er zu verkaufen hat. Seine Weiber und
Kinder kommen nicht anders dahin als an Sonn- und Feyer-
tagen, wann sie ohnedem kommen müssen. An diesen Tagen
bringen sie ihre Kleinigkeiten mit, und wann sie sich dann
auch einmahl von dem Gewinn etwas zu gute thun: so sind
der Sonn- und Feyertage doch zu wenig um ein beständiges
Jucken in ihren Füßen zu unterhalten. Die Werkeltage
über sitzen sie zu Hause, spinnen ihr Garn, weben ihr Linnen,
oder kneten ihre Butter ein, und bringen dann auf einmahl
die Frucht ihrer Arbeit zur Stadt: erhalten die Bezahlung

nicht

Das Pro und Contra der Wochenmaͤrkte.
lichkeit aufopfern? zu dieſem Preiſe ſollen Muͤtter und Kinder
Marktlaͤuferinnen werden; und Vater und Soͤhne taͤglich die
Landſtraßen belaufen, zu Hauſe keine Verpfiegung finden und
in den Schenken haͤngen bleiben? Nein, mein Freund!
dieſe Forderung der Buͤrger in kleinen Staͤdten iſt zu hart;
die Aufopferung iſt zu groß fuͤr den Staat; und das Wohl-
leben aller Staͤdte bezahlt das Verderben ſo vieler Landleute
nicht. Ich ſage nichts von der großen Verwoͤhnung der
Dienſtboten in den Staͤdten, welche durch die Bequemlichkeit
der Maͤrkte von aller harten Arbeit zuruͤckgebracht und bloße
Zimmerputzerinnen werden. Gleichwohl verdient ſie auch
eine Betrachtung. Aus den Staͤdten ſollten geſchickte Muͤtter
aufs Land kommen. In dieſer Abſicht dienten die Toͤchter
der Landleute ehedem gern in Staͤdten. Allein da, wo die
Koͤchin alles [vo]m Wochenmarkte holet, vermehret ſich ein
weichliches faules Zwittergeſchlecht von Geſinde, was dem
Buͤrger zum Weibe nicht gut genug iſt, und der Landmann
nicht gebrauchen kan, zuletzt aber, wenn es, wiedie Drohne,
aus dem Korbe geſtoßen wird, dem Staate zur laſt faͤllt.

Sehen Sie dagegen unſre alte einfaͤltige Verfaſſung an,
Der Landmann kommt nur mit Fudern zur Stadt, und bringt
in Großen was er zu verkaufen hat. Seine Weiber und
Kinder kommen nicht anders dahin als an Sonn- und Feyer-
tagen, wann ſie ohnedem kommen muͤſſen. An dieſen Tagen
bringen ſie ihre Kleinigkeiten mit, und wann ſie ſich dann
auch einmahl von dem Gewinn etwas zu gute thun: ſo ſind
der Sonn- und Feyertage doch zu wenig um ein beſtaͤndiges
Jucken in ihren Fuͤßen zu unterhalten. Die Werkeltage
uͤber ſitzen ſie zu Hauſe, ſpinnen ihr Garn, weben ihr Linnen,
oder kneten ihre Butter ein, und bringen dann auf einmahl
die Frucht ihrer Arbeit zur Stadt: erhalten die Bezahlung

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0406" n="388"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">Pro</hi> und <hi rendition="#aq">Contra</hi> der Wochenma&#x0364;rkte.</hi></fw><lb/>
lichkeit aufopfern? zu die&#x017F;em Prei&#x017F;e &#x017F;ollen Mu&#x0364;tter und Kinder<lb/>
Marktla&#x0364;uferinnen werden; und Vater und So&#x0364;hne ta&#x0364;glich die<lb/>
Land&#x017F;traßen belaufen, zu Hau&#x017F;e keine Verpfiegung finden und<lb/>
in den Schenken ha&#x0364;ngen bleiben? Nein, mein Freund!<lb/>
die&#x017F;e Forderung der Bu&#x0364;rger in kleinen Sta&#x0364;dten i&#x017F;t zu hart;<lb/>
die Aufopferung i&#x017F;t zu groß fu&#x0364;r den Staat; und das Wohl-<lb/>
leben aller Sta&#x0364;dte bezahlt das Verderben &#x017F;o vieler Landleute<lb/>
nicht. Ich &#x017F;age nichts von der großen Verwo&#x0364;hnung der<lb/>
Dien&#x017F;tboten in den Sta&#x0364;dten, welche durch die Bequemlichkeit<lb/>
der Ma&#x0364;rkte von aller harten Arbeit zuru&#x0364;ckgebracht und bloße<lb/>
Zimmerputzerinnen werden. Gleichwohl verdient &#x017F;ie auch<lb/>
eine Betrachtung. Aus den Sta&#x0364;dten &#x017F;ollten ge&#x017F;chickte Mu&#x0364;tter<lb/>
aufs Land kommen. In die&#x017F;er Ab&#x017F;icht dienten die To&#x0364;chter<lb/>
der Landleute ehedem gern in Sta&#x0364;dten. Allein da, wo die<lb/>
Ko&#x0364;chin alles <supplied>vo</supplied>m Wochenmarkte holet, vermehret &#x017F;ich ein<lb/>
weichliches faules Zwitterge&#x017F;chlecht von Ge&#x017F;inde, was dem<lb/>
Bu&#x0364;rger zum Weibe nicht gut genug i&#x017F;t, und der Landmann<lb/>
nicht gebrauchen kan, zuletzt aber, wenn es, wiedie Drohne,<lb/>
aus dem Korbe ge&#x017F;toßen wird, dem Staate zur la&#x017F;t fa&#x0364;llt.</p><lb/>
        <p>Sehen Sie dagegen un&#x017F;re alte einfa&#x0364;ltige Verfa&#x017F;&#x017F;ung an,<lb/>
Der Landmann kommt nur mit Fudern zur Stadt, und bringt<lb/>
in Großen was er zu verkaufen hat. Seine Weiber und<lb/>
Kinder kommen nicht anders dahin als an Sonn- und Feyer-<lb/>
tagen, wann &#x017F;ie ohnedem kommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. An die&#x017F;en Tagen<lb/>
bringen &#x017F;ie ihre Kleinigkeiten mit, und wann &#x017F;ie &#x017F;ich dann<lb/>
auch einmahl von dem Gewinn etwas zu gute thun: &#x017F;o &#x017F;ind<lb/>
der Sonn- und Feyertage doch zu wenig um ein be&#x017F;ta&#x0364;ndiges<lb/>
Jucken in ihren Fu&#x0364;ßen zu unterhalten. Die Werkeltage<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;itzen &#x017F;ie zu Hau&#x017F;e, &#x017F;pinnen ihr Garn, weben ihr Linnen,<lb/>
oder kneten ihre Butter ein, und bringen dann auf einmahl<lb/>
die Frucht ihrer Arbeit zur Stadt: erhalten die Bezahlung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0406] Das Pro und Contra der Wochenmaͤrkte. lichkeit aufopfern? zu dieſem Preiſe ſollen Muͤtter und Kinder Marktlaͤuferinnen werden; und Vater und Soͤhne taͤglich die Landſtraßen belaufen, zu Hauſe keine Verpfiegung finden und in den Schenken haͤngen bleiben? Nein, mein Freund! dieſe Forderung der Buͤrger in kleinen Staͤdten iſt zu hart; die Aufopferung iſt zu groß fuͤr den Staat; und das Wohl- leben aller Staͤdte bezahlt das Verderben ſo vieler Landleute nicht. Ich ſage nichts von der großen Verwoͤhnung der Dienſtboten in den Staͤdten, welche durch die Bequemlichkeit der Maͤrkte von aller harten Arbeit zuruͤckgebracht und bloße Zimmerputzerinnen werden. Gleichwohl verdient ſie auch eine Betrachtung. Aus den Staͤdten ſollten geſchickte Muͤtter aufs Land kommen. In dieſer Abſicht dienten die Toͤchter der Landleute ehedem gern in Staͤdten. Allein da, wo die Koͤchin alles vom Wochenmarkte holet, vermehret ſich ein weichliches faules Zwittergeſchlecht von Geſinde, was dem Buͤrger zum Weibe nicht gut genug iſt, und der Landmann nicht gebrauchen kan, zuletzt aber, wenn es, wiedie Drohne, aus dem Korbe geſtoßen wird, dem Staate zur laſt faͤllt. Sehen Sie dagegen unſre alte einfaͤltige Verfaſſung an, Der Landmann kommt nur mit Fudern zur Stadt, und bringt in Großen was er zu verkaufen hat. Seine Weiber und Kinder kommen nicht anders dahin als an Sonn- und Feyer- tagen, wann ſie ohnedem kommen muͤſſen. An dieſen Tagen bringen ſie ihre Kleinigkeiten mit, und wann ſie ſich dann auch einmahl von dem Gewinn etwas zu gute thun: ſo ſind der Sonn- und Feyertage doch zu wenig um ein beſtaͤndiges Jucken in ihren Fuͤßen zu unterhalten. Die Werkeltage uͤber ſitzen ſie zu Hauſe, ſpinnen ihr Garn, weben ihr Linnen, oder kneten ihre Butter ein, und bringen dann auf einmahl die Frucht ihrer Arbeit zur Stadt: erhalten die Bezahlung nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/406
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/406>, abgerufen am 29.07.2024.