Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Die Spinnstube, wehnten Köpfe unser heutigen Welt lachen über dergleichenGemählde. Allein mein Trost ist: Homer wird in England, wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande Gerechtigkeit wiederfahren läßt, mehr gelesen und bewun- dert, als in dem ganzen übrigen Theile von Europa; und es gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigsten Stande nicht umgehen können, ohne unsre Würde zu verlie- ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfschenke am Feuer mit vernünftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der Encyclopedie, sondern aus Erfahrung wissen, und aus eignem Verstande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit größer seyn werden, als orientalische Prinzen, die, um nicht klein zu schei- nen, sich einschliessen müssen. Wenn wir dächten, wie wir denken sollten: so müßte uns der Umgang mit ländlichen un- verdorbenen und unverstelleten Originalen ein weit angeneh- mer Schauspiel geben, als die Bühne, worauf einige abge- richtete Personen ein auswendig gelerntes Stück in einem geborgten Affekte daher schwatzen. Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit, linde
Die Spinnſtube, wehnten Koͤpfe unſer heutigen Welt lachen uͤber dergleichenGemaͤhlde. Allein mein Troſt iſt: Homer wird in England, wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt, mehr geleſen und bewun- dert, als in dem ganzen uͤbrigen Theile von Europa; und es gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigſten Stande nicht umgehen koͤnnen, ohne unſre Wuͤrde zu verlie- ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfſchenke am Feuer mit vernuͤnftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der Encyclopedie, ſondern aus Erfahrung wiſſen, und aus eignem Verſtande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit groͤßer ſeyn werden, als orientaliſche Prinzen, die, um nicht klein zu ſchei- nen, ſich einſchlieſſen muͤſſen. Wenn wir daͤchten, wie wir denken ſollten: ſo muͤßte uns der Umgang mit laͤndlichen un- verdorbenen und unverſtelleten Originalen ein weit angeneh- mer Schauſpiel geben, als die Buͤhne, worauf einige abge- richtete Perſonen ein auswendig gelerntes Stuͤck in einem geborgten Affekte daher ſchwatzen. Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit, linde
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Spinnſtube,</hi></fw><lb/> wehnten Koͤpfe unſer heutigen Welt lachen uͤber dergleichen<lb/> Gemaͤhlde. Allein mein Troſt iſt: Homer wird in England,<lb/> wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande<lb/> Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt, mehr geleſen und bewun-<lb/> dert, als in dem ganzen uͤbrigen Theile von Europa; und es<lb/> gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigſten<lb/> Stande nicht umgehen koͤnnen, ohne unſre Wuͤrde zu verlie-<lb/> ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfſchenke am Feuer<lb/> mit vernuͤnftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der<lb/> Encyclopedie, ſondern aus Erfahrung wiſſen, und aus eignem<lb/> Verſtande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit groͤßer ſeyn<lb/> werden, als orientaliſche Prinzen, die, um nicht klein zu ſchei-<lb/> nen, ſich einſchlieſſen muͤſſen. Wenn wir daͤchten, wie wir<lb/> denken ſollten: ſo muͤßte uns der Umgang mit laͤndlichen un-<lb/> verdorbenen und unverſtelleten Originalen ein weit angeneh-<lb/> mer Schauſpiel geben, als die Buͤhne, worauf einige abge-<lb/> richtete Perſonen ein auswendig gelerntes Stuͤck in einem<lb/> geborgten Affekte daher ſchwatzen.</p><lb/> <p>Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit,<lb/> welche er zu ſtark fuͤhlte, nicht mehr mit der ihm ſonſt eignen<lb/> Gelaſſenheit ausdruͤckte, unterbrach ſie ihn damit, daß ſie<lb/> ſagte: ſie wuͤrde ſichs von Ariſten als die erſte Gefaͤlligkeit<lb/> ausbitten, daß er ſeiner Mutter Spinnſtube wieder in den<lb/> vorigen Stand ſetzen lieſſe. Und ſie begleitete dieſe ihre Bitte<lb/> mit einem ſo ſanften Blicke, daß er auf einmal die Satyre<lb/> vergaß, und ihr unter einer einzigen Bedingung den vollkom-<lb/> menſten Gehorſam verſprach. Selinde wollte zwar Anfangs<lb/> keine Bedingung gelten laſſen. Doch ſagte ſie endlich, die<lb/> Bedingungen eines geliebten Freundes, koͤnnen nichts widri-<lb/> ges haben, und ich weis zum voraus, daß ſie zu unſerm ge-<lb/> meinſchaftlichen Vergnuͤgen ſeyn werde. Ariſt erklaͤrte ſich<lb/> alſo, und es ward von allen Seiten gut gefunden, daß Se-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">linde</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0068]
Die Spinnſtube,
wehnten Koͤpfe unſer heutigen Welt lachen uͤber dergleichen
Gemaͤhlde. Allein mein Troſt iſt: Homer wird in England,
wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande
Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt, mehr geleſen und bewun-
dert, als in dem ganzen uͤbrigen Theile von Europa; und es
gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigſten
Stande nicht umgehen koͤnnen, ohne unſre Wuͤrde zu verlie-
ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfſchenke am Feuer
mit vernuͤnftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der
Encyclopedie, ſondern aus Erfahrung wiſſen, und aus eignem
Verſtande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit groͤßer ſeyn
werden, als orientaliſche Prinzen, die, um nicht klein zu ſchei-
nen, ſich einſchlieſſen muͤſſen. Wenn wir daͤchten, wie wir
denken ſollten: ſo muͤßte uns der Umgang mit laͤndlichen un-
verdorbenen und unverſtelleten Originalen ein weit angeneh-
mer Schauſpiel geben, als die Buͤhne, worauf einige abge-
richtete Perſonen ein auswendig gelerntes Stuͤck in einem
geborgten Affekte daher ſchwatzen.
Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit,
welche er zu ſtark fuͤhlte, nicht mehr mit der ihm ſonſt eignen
Gelaſſenheit ausdruͤckte, unterbrach ſie ihn damit, daß ſie
ſagte: ſie wuͤrde ſichs von Ariſten als die erſte Gefaͤlligkeit
ausbitten, daß er ſeiner Mutter Spinnſtube wieder in den
vorigen Stand ſetzen lieſſe. Und ſie begleitete dieſe ihre Bitte
mit einem ſo ſanften Blicke, daß er auf einmal die Satyre
vergaß, und ihr unter einer einzigen Bedingung den vollkom-
menſten Gehorſam verſprach. Selinde wollte zwar Anfangs
keine Bedingung gelten laſſen. Doch ſagte ſie endlich, die
Bedingungen eines geliebten Freundes, koͤnnen nichts widri-
ges haben, und ich weis zum voraus, daß ſie zu unſerm ge-
meinſchaftlichen Vergnuͤgen ſeyn werde. Ariſt erklaͤrte ſich
alſo, und es ward von allen Seiten gut gefunden, daß Se-
linde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |